Akkreditierung für NSU-Prozess:Wachsende Empörung über OLG München

Keine türkischen und griechischen Medien beim NSU-Prozess im Oberlandesgericht München zugelassen

Der umgebaute Gerichtssaal für den NSU-Prozess im Oberlandesgericht München.

(Foto: dpa)

Bürokratisch, intransparent, unglücklich: Kein einziger türkischer Medien-Vertreter ist für den NSU-Prozess am Oberlandesgericht München akkreditiert. Politiker, Journalistenverbände und türkische Vertreter fordern vehement eine Korrektur dieser Entscheidung.

Kein einziger türkischer oder griechischer Journalist ist vom Oberlandesgericht München (OLG) zum NSU-Prozess zuglessen worden. Und das, obwohl vor allem türkisch- und griechischstämmige Männer die Opfer der Neonazi-Bande aus Zwickau waren. Der Aufschrei ist nun groß; türkische Vertreter, Journalistenverbände und Politiker sind empört. Sie alle fordern eine Korrektur des Verfahrens.

Die Vergabe strikt nach Reihenfolge der Anmeldungen sei bürokratisch, die Nichtberücksichtigung türkischer Medien nicht geeignet, das verloren gegangene Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat wieder herzustellen, wurde kritisiert. Die Opfer von acht der zehn Morde, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) zugeschrieben werden, waren türkischer Abstammung.

"Ich frage mich, was das Gericht eigentlich will?"

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sprach am Dienstag von einem unglaublichen Vorgang. "Ich frage mich, was das Gericht eigentlich will? Will es die türkische Öffentlichkeit aus dem Prozess ausschließen?"

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) bedauert die Platzvergabe als "sehr unglückliche Entscheidung". Diese schade dem Vertrauen der deutschen Muslime in die Aufarbeitung der Mordserie, sagte sein Vorsitzender Aiman Mazyek der dpa in Köln.

Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe muss sich vom 17. April an zusammen mit vier mutmaßlichen Helfern verantworten. Im Gerichtssaal gibt es jeweils 50 Plätze für Journalisten und gut 50 für Zuschauer. Journalisten ohne fest reservierten Platz können nachrücken, wenn Kollegen mit fester Akkreditierung nicht rechtzeitig erscheinen.

Allein sieben öffentlich-rechtliche Sender zugelassen

Unter den 50 zugelassenen Medien sind sieben öffentlich-rechtliche Sender (BR, MDR, WDR, SWR, NDR, ZDF und Deutschlandfunk), die Nachrichtenagenturen dpa, dapd und Reuters sowie diverse Tageszeitungen und Magazine. Das Angebot der Bild-Zeitung, zugunsten der türkischen Tageszeitung Hürriyet auf ihren Platz verzichten, dürfte laut Gericht an den Akkreditierungsbedingungen scheitern.

Gerichtssprecherin Margarete Nötzel sagte, ein solcher Tausch sei nicht möglich. Jeder Journalist müsse namentlich sowie für das Medium akkreditiert sein. Eine Nachmeldung sei nicht möglich. "Wir können nicht im Nachhinein die Akkreditierungsbedingungen ändern."

Oberlandesgericht bleibt hart

Damit kann auch ein Pressebüro entgegen eigener Aussage keinen türkischsprachigen Journalisten in den Prozess entsenden. Dieser war dem Vernehmen nach nachgemeldet worden. Es handelte sich um einen festen freien Mitarbeiter der Zeitung Sabah. Der stellvertretende Chefredakteur der Sabah-Europa-Ausgabe, Ismail Erel, sagte, es sei der Zeitung auch wichtig, als Medium akkreditiert zu werden. Er habe gewusst, dass die Akkreditierungen nach Eingang behandelt werden sollten. "Dass es ein Rennen ist, unter die ersten 50 zu kommen, wusste ich so nicht."

Ein für einen garantierten Platz im Gerichtssaal akkreditiertes Pressebüro verzichtete unterdessen auf seinen Platz. Die Bildagentur Mandoga Media gebe ihren Platz frei und habe das dem Gericht bereits mitgeteilt, sagte Inhaber Alexander Sandvoss. Auch diesen Platz werde kein Medium fest reserviert bekommen, sagte Nötzel. Jedoch könnten dann am jeweiligen Verhandlungstag andere Journalisten nachrücken.

Sharing-Modell vorgeschlagen

Der Chefredakteur von neues deutschland, Tom Strohschneider, schlug in einem Brief an Chefredaktionen anderer Medien ein Sharing-Modell mit einem türkischen Medium vor. "Wir werden uns bemühen, einen Kollegen bzw. eine Kollegin eines türkischen Mediums über unseren Ausweis nachzumelden", erklärte Strohschneider. "Wir hoffen, dass das Gericht im Interesse einer allgemeinen Lösungssuche keinen Einwand gegen diese Überlegung hat."

SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierten das Verfahren. "Das Oberlandesgericht sollte seine Haltung überdenken und sich nicht auf irgendwelche formelle Begründungen zurückziehen", verlangte Gabriel. Özdemir sagte: "Sich nun allein auf die zeitliche Reihenfolge der Akkreditierungsanträge zu berufen, ist nur bürokratisch."

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte der Süddeutschen Zeitung, nötig sei "größtmögliche Transparenz und Offenheit, um bei Menschen hierzulande und in der Türkei für neues Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat zu sorgen". Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU-Terrors, Barbara John, ging in der Mitteldeutschen Zeitung davon aus, dass das Akkreditierungsverfahren noch geändert wird.

Oberlandesgericht verteidigt seine Entscheidung

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sowie der Verein der Auslandspresse verlangten, die Akkreditierungsbestimmungen zu überarbeiten. Die Geschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen und Journalisten Union (dju), Cornelia Haß, forderte eine Übertragung des Prozesses in einen Pressearbeitsraum. Anders als von der Justiz behauptet wäre dies keine "öffentlichen Vorführung".

Das Oberlandesgericht verteidigte das Verfahren erneut. Alternativ zur Vergabe nach Eingang sei das Losverfahren von der Rechtsprechung als zulässig anerkannt worden. "Bei dieser Sachlage hat sich der Senat in richterlicher Unabhängigkeit für das Prinzip der Berücksichtigung nach der Reihenfolge des Eingangs entschieden." Auch auf den Plätzen für Zuschauer könnten rechtzeitig kommende Medienvertreter Plätze einnehmen, erläuterte das OLG.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: