Aids:Fälle mit Risiken und Nebenwirkungen

Bei HIV-Infizierten in Südafrika wird aggressiv für die Vitamin-Präparate des umstrittene deutschen Arztes Dr. Matthias Rath geworben - Kritiker laufen Sturm, doch die Regierung hält sich bedeckt.

Michael Bitala

Khayelitsha, im Oktober - Vor ein paar Jahren noch hätte es keine solchen Szenen in einer Klinik für Aidskranke gegeben, schon gar nicht in einem Township wie Khayelitsha, einem elenden Slum in der Nähe von Kapstadt. Es sind wohl 60, 70 Menschen, die im Wartesaal der staatlichen "Ubuntu-Klinik Site B" sitzen. Die meisten wirken entspannt, sie plaudern, lesen, scherzen, und zwischen den Bänken toben Kinder herum, sie rennen um die Wette oder kicken eine Plastikflasche vor sich her. Keiner sieht aus, als sei er krank, keiner hustet blechern, keiner ist stark abgemagert, keiner hat Hautausschläge an den Händen oder im Gesicht. Von der "Slim-Disease", wie Aids in Afrika genannt wird, der Krankheit, die die Menschen schlank macht, ist hier jedenfalls nichts zu sehen.

Da ist zum Beispiel diese hochgewachsene, freundliche Frau. "Mein Name ist Ntombizanele Skota", sagt sie, "ich bin 27 Jahre alt, habe eine zweieinhalbjährige Tochter und wiege 74,5 Kilo."

Noch bevor man fragen kann, warum sie zur Begrüßung auch ihr Gewicht bis aufs letzte Pfund angibt, fährt sie fort: "Vor zwei Jahren wog ich 30 Kilo. Ich war Haut und Knochen, sterbenskrank." Danach greift sie nach ihrer Tochter Anga, die am Boden spielt, und setzt sie sich auf den Schoß. "Mein Kind ist HIV-negativ, ebenso mein Mann." Und als ob medizinisches Fachwissen über HIV und Aids Allgemeingut wäre, erläutert sie auch noch ihre rosa Krankenakte, auf der der Wert ihrer so genannten CD4-Zellen notiert ist. Vor zwei Jahren, bei Beginn der Therapie mit Anti-Aids-Medikamenten, lag er bei 44, sechs Monate später bei 364, nun lautet er 573. Wobei man wissen muss, dass dieser Wert anzeigt, wie sehr das Immunsystem geschwächt ist. In den USA zum Beispiel gelten HIV-positive Menschen mit einem Wert unter 200 als aidskrank. "Ohne die Tabletten wäre ich längst tot", sagt Ntombizanele Skota, "am Anfang bekam ich Krämpfe in den Beinen, aber die waren nach ein paar Wochen vorbei. Heute kann ich gut mit der Medizin leben." Sie müsse nur alle vier Wochen in die Klinik kommen, um untersucht zu werden und um die Monatsration an Pillen abzuholen.

Verwirrung bei Patienten

Und dann erzählt Ntombizanele Skota etwas, das fast jeder Patient, mit dem man im Wartesaal spricht, so ähnlich erlebt hat. "Vor ein paar Wochen stand eine Frau vor meiner Tür, es war schon dunkel, ich kannte sie nicht, aber sie war wohl aus Khayelitsha und wusste, dass ich HIV-positiv bin und Tabletten nehme." Von diesen Arzneien könne man sterben, habe sie gesagt, sie seien sehr gefährlich. Ob sie nicht mitkommen wolle, sie könne Vitamine von ihr bekommen, die viel gesünder und wirksamer seien.

"Ich habe die Frau wieder weggeschickt", sagt Ntombizanele Skota, "ich war halb tot und lebe jetzt wieder, und ich habe ein Kind bekommen, das sich trotz meiner Infektion nicht mit dem Virus angesteckt hat. Warum sollte ich auf die Medikamente verzichten?" Aber von diesen Vitaminen und dem "German Doctor" Matthias Rath habe in Khayelitsha wohl jeder schon gehört. "Das hat sich wie ein Buschfeuer ausgebreitet", sagt Ntombizanele Skota, überall im Township werde für diese Vitamine geworben und vor den Aids-Medikamenten gewarnt. "Viele Bewohner glauben, sie müssen sterben, wenn sie die Aids-Medizin nehmen. Aber das ist Unsinn, das sieht man doch an mir."

Ntombizanele Skota ist, wie gesagt, keine Ausnahme. Viele berichten von ähnlichen Erlebnissen, und wer diese Personen sind, die an den Haustüren der Slumbewohner für Vitamine werben, und wer sie schickt, ist nicht bekannt. Fest steht nur, dass der Stuttgarter Arzt Matthias Rath und seine Gesundheitsstiftung seit Monaten eine aggressive Kampagne gegen die so genannten antiretroviralen Medikamente in Südafrika führen. In Anzeigen, auf Flugblättern und Plakaten behaupten sie, dass diese Arzneien giftig seien, schwere Nebenwirkungen hätten und oft auch tödlich seien.

Schon im Mai hatte der umstrittene Vitaminhändler für weltweites Aufsehen gesorgt, als er Anzeigen in der New York Times und der International Herald Tribune veröffentlichte: "Stoppt den Aids-Völkermord durch das Pharmakartell!", hieß es, und: Mikronährstoffe - das sind Vitamine, Aminosäuren oder Mineralien -, könnten den Verlauf von Aids umkehren. Zwar wurden in einer gemeinsamen Stellungnahme der Weltgesundheitsorganisation, des Kinderhilfswerks Unicef und von UNAids, der Aids-Organisation der Vereinten Nationen, die Anzeigen als "irreführend" und "gefährlich" bezeichnet, aber vor allem eine Passage in dieser Werbung sorgt in Südafrika für immer mehr Wirbel. Rath schrieb nämlich: "In Khayelitsha, einem Township von Kapstadt, Südafrika, führten wir eine klinische Pilotstudie an HIV-positiven Patienten mit Aids im fortgeschrittenen Stadium durch, die noch nie antiretrovirale Medikamente eingenommen hatten." Weiter hieß es: "Schon nach dem ersten Monat der Studie waren die Ergebnisse der klinischen Untersuchungen und der Bluttests verblüffend. Die Patienten in den am weitesten fortgeschrittenen Aids-Stadien zeigten die markantesten Verbesserungen der Immunfunktion."

Die Stiftung schweigt

Nun sind Raths Behauptungen bislang reine Glaubenssache. Um ihren Wahrheitsgehalt festzustellen, bräuchte es unabhängige klinische Tests, die die Wirksamkeit dieser hoch dosierten Vitaminpräparate auf HIV-positive Patienten überprüfen. In Südafrika aber hat seine Kampagne einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Zum einen ist hier eine der höchsten Aids-Raten der Welt zu finden, etwa fünf Millionen der 45 Millionen Einwohner sind infiziert, zum anderen werfen seine Gegner dem deutschen Arzt vor, bislang keine Genehmigung vom medizinischen Kontrollrat für "klinische Studien" zu haben.

Neben Dutzenden Zeitungstexten gibt es inzwischen Beschwerden, offene Briefe, eine Anfrage im Parlament, ungezählte Gerichtsverfahren und Vorwürfe. Fasst man den Streit zusammen, dann geht es im Kern um Folgendes: Sollten die Mikronährstoffe die von Rath propagierte Wirkung haben, dann wäre ein natürliches Mittel gegen die Immunschwächekrankheit gefunden, dann wäre der deutsche Arzt wirklich der Revolutionär, als der er sich gerne sieht. Sollten diese aber gegen Aids nichts ausrichten, dann könnte dies zum ziemlich schnellen Tod von Erkrankten führen, die im Vertrauen auf die Mikronährstoffe lebensverlängernde, antiretrovirale Medikamente ablehnten. Und genau diesen Effekt befürchten die Gegner Raths.

Wie schwer sich diese aber tun, Belege für das angeblich gefährliche Treiben der Rath-Stiftung zu finden, zeigt der Fall von Marietta Ndziba. Im Juni hatte sie der deutsche Arzt auf einer Pressekonferenz in Kapstadt vorgestellt. Vor sechs Jahren, erzählte die junge Frau, habe sie von ihrer HIV-Infektion erfahren und im Laufe der Zeit sei sie kränker und kränker geworden. "So gab ich auf. Ich war krank, ich hatte Durchfall, und ich übergab mich. Ich konnte nicht laufen und ich konnte nicht einmal reden." Im Februar dieses Jahres aber habe sie von den Vitaminen gehört. Sie habe diese genommen und schon nach fünf Tagen gespürt, dass sich etwas in ihrem Körper veränderte. "Nun kann ich reden, ich kann sprechen, ich habe vor nichts mehr Angst. Ich danke Gott, dass er die Vitamine nach Südafrika gebracht hat." Und weil sie von der Wirksamkeit der Mikronährstoffe so überzeugt war, wurde sie die Chefin einer Unterstützergruppe für das Vitaminprogramm im Kapstädter Township Guguletu.

Marietta Ndziba ist am 8. Oktober gestorben, laut Medienberichten an einer nicht bekannt gegebenen Krankheit. Rückschlüsse auf ihre Vitamintherapie verbieten sich deshalb - andernfalls muss man mit einer Klage der Rath-Stiftung rechnen.

Ein paar Meter von der Ubuntu-Klinik entfernt liegt das Büro der "Ärzte ohne Grenzen" (MSF). Hier ist die Medizinerin Marta Darder anzutreffen, und wenn man sagt, dass sie wütend ist, dann ist das untertrieben. "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel Zeit und wie viele Nerven uns Rath und seine Stiftung kosten. Dabei hätten wir viel wichtigere Dinge zu erledigen." MSF unterhält gemeinsam mit der Provinzverwaltung drei Gesundheitsstationen in Khayelitsha, in denen fast 2000 Erwachsene und Kinder mit antiretroviralen Arzneien behandelt werden. Einem Bericht der Hilfsorganisation zufolge sind drei Jahre nach dem Beginn der Medikamentenbehandlung noch vier von fünf Patienten am Leben, ohne die Arzneien hätte die Hälfte von ihnen das erste Jahr nicht überlebt. Fast alle Todesfälle, so Marta Darder, seien darauf zurückzuführen, dass sich die Patienten bei Behandlungsbeginn bereits in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium befanden. "Niemand bezweifelt, dass Aids-Medikamente Nebenwirkungen haben", sagt sie, "aber zum einen treten sie eher selten auf, zum anderen würden die Patienten ohne die Arzneien ziemlich schnell sterben."

Seit ein paar Monaten aber kämen immer mehr Infizierte in die Kliniken, die durch die Vitamin-Propaganda verwirrt seien. "Viele fragen, ob die Aids-Medikamente giftig sind und ob sie nicht besser die Vitamine nehmen sollen." Dies aber wäre nach Ansicht der Ärztin verheerend: Wenn Patienten die Medikamente absetzten, würde nicht nur deren Immunsystem wieder geschwächt werden, es entwickelten sich auch Resistenzen gegen die Aids-Medikamente. "Die Konsequenzen können Sie sich ja vorstellen", sagt Darder. In einer Presseerklärung von MSF heißt es dann auch, dass die Organisation "entsetzt" sei über die Kampagne der Dr-Rath-Stiftung, die "gezielt falsche Informationen verbreitet und so eine gefährliche Verwirrung unter den HIV-Patienten schafft". Zur herkömmlichen Therapie gehöre neben den Aids-Arzneien auch eine Nahrungsergänzung mit Vitaminen, es sei deshalb "schädlich, diese beiden Elemente in einer öffentlichen Diskussion gegeneinander auszuspielen".

Ende September haben 199 Wissenschaftler, Mediziner und Mitarbeiter im Gesundheitswesen einen ähnlichen Protest veröffentlicht. In einem offenen Brief an den Gesundheitsminister der Provinz Westkap, Pierre Uys, äußerten sie ihre "Empörung über die ungehinderten Aktivitäten der Dr-Rath-Gesundheitsstiftung". In deren Namen, so heißt es, "werden unsere Patienten mit Propaganda überschwemmt, die sie dazu aufruft, mit der lebensrettenden Medizin aufzuhören". Es solle sofort etwas unternommen werden.

Doch sowohl Pierre Uys als auch andere staatliche Stellen reagieren, wenn überhaupt, nur sehr zögerlich. Der medizinische Kontrollrat des Landes verkündet zwar immer wieder, dass der Fall untersucht werde, aber bislang gibt es kein Ergebnis. Es fällt jedoch auf, dass in Südafrika ein Plakat im Namen der Stiftung kursiert, auf dem die Anzeige aus der New York Times zu sehen ist, nur heißt es dort nicht mehr "klinische Pilotstudie", sondern "kontrolliertes Ernährungsprogramm".

Der Hauptgrund für das Zögern der staatlichen Stellen ist vermutlich die Haltung der südafrikanischen Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang. Sie ist nicht nur im Land heftig umstritten, sie wurde auch weltweit verspottet, nachdem sie Aidskranken wiederholt Rote Beete, Knoblauch und Olivenöl als Medizin empfohlen hatte. Eine gute Ernährung, so die Ministerin, sei viel gesünder als diese Aids-Medikamente. Kein Wunder also, dass Rath in ihr eine Verbündete im Kampf gegen die Pharma-Industrie sieht, und Tshabalala-Msimang verkündete ihre Unterstützung ja auch auf einer Pressekonferenz: "Dr. Raths Arbeit stimmt mit unserem Programm überein und ergänzt es." Nach Angaben der Tageszeitung Cape Times antwortete sie schriftlich auf eine Parlamentsanfrage: "Ich werde mich von Dr. Rath nur distanzieren, wenn nachgewiesen wird, dass die Vitaminergänzungen, die er verschreibt, giftig sind für Menschen, die mit HIV infiziert sind."

Natürlich wüsste man gerne, wie die Rath-Stiftung zu all dem steht. Ob sie unabhängige Belege für die Wirksamkeit ihrer Vitaminpräparate gegen Aids hat. Was sie zu den Vorwürfen sagt, dass es angeblich schon Todesfälle gegeben habe, weil Patienten auf die Aids-Arzneien verzichteten und lieber Vitamine nahmen. Ob sie eine offizielle Genehmigung für ihre klinische Pilotstudie habe. Ob sie eine Erlaubnis dafür habe, die hoch dosierten Vitaminpräparate in Südafrika zu verteilen. Und ob es möglich sei, mit HIV-Infizierten zu sprechen, die an der Studie der Stiftung teilgenommen haben. Doch der Repräsentant in Südafrika, Ralf Langner, lehnt - noch bevor er die erste dieser Fragen gehört hat - ein Interview mit der SZ ab und bittet, im Berliner Büro anzurufen. Und von dort wird man nach Holland weiterverwiesen, zum Vize-Präsidenten Chris Fairhurst. Dieser möchte zunächst eine E-Mail mit all den Fragen, nach einer Woche lässt er über eine Sekretärin telefonisch mitteilen, dass er keine Stellung nehmen werde.

Marta Darder von den Ärzten ohne Grenzen wundert sich jedenfalls über das Vorgehen der Rath-Stiftung. "Was ist denn das für ein Verhalten?", fragt sie in ihrem Büro. Da mache die Stiftung weltweit Werbung mit der klinischen Studie in Khayelitsha, aber in diesem Township sei kein einziges offizielles Rath-Büro zu finden. Es sei auch unklar, wo die Tests stattgefunden haben. In einer Klinik? In Privathäusern? In öffentlichen Gebäuden? "Das ist doch alles sehr komisch", sagt die Ärztin.

Beim Hinausgehen fällt dann noch diese Karikatur auf, die an der Bürowand hängt. Sie stammt aus der südafrikanischen Zeitung Sunday Times. Zwei Figuren sind darauf zu sehen, die eine stellt Gesundheitsministerin Tshabalala-Msimang dar, die als "Dr. Do-Little" bezeichnet wird, die andere "Dr. Rath". In einer gemeinsamen Sprechblase ist zu lesen: "Bist du HIV-positiv? Nimm keine giftigen antiretroviralen Medikamente! Nimm unser Vitamin-Heilmittel! Du wirst an Aids sterben, aber du stirbst gesund!"

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