Ahmadinedschad vor der UN:Der radikale Provokateur

Kühl lächelnd hat Irans Präsident Ahmadinedschad seinen Auftritt vor den Vereinten Nationen inszeniert: Mit wüsten Verschwörungstheorien provozierte er US-Amerikaner und Westeuropäer. Und alle haben sich genau so verhalten, wie er es wohl geplant hat.

Christian Wernicke

Niemand wusste, was genau er diesmal sagen würde. Und doch war es ein Eklat nach Plan. "Natürlich waren wir vorbereitet", erzählt am Tag drauf ein westlicher UN-Diplomat, "wir ahnten, dass der Iraner wieder irgendeine Rakete abschießen würde."

UN-Vollversammlung - Mahmud Ahmadinedschad

In vielen Augen ein finsterer Zeitgenosse: Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen.

(Foto: dpa)

Weshalb die meisten US- und EU-Diplomaten am späten Donnerstagnachmittag New Yorker Zeit, da der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad sich mit einem feinen Lächeln auf den Lippen und allerlei Zetteln in der Hand hinter dem marmornen Rednerpult der UN-Generalversammlung aufbaute, von vornherein nur mit einer Gesäßhälfte auf ihren hellblauen Polsterstühle saßen.

Gespannt starrten sie auf den bärtigen Mann mit dem offenen Hemdkragen und dem etwas billigen Anzug. Und ab und an blickten sie zurück - dorthin, wo die beiden amerikanischen Delegierten hockten. So viel war klar: "Sobald die gehen, müssen wir uns auch bewegen."

Es dauerte nicht lange. Nicht einmal ein Viertel seiner Rede hatte Mahmud Ahmadinedschad zum Vortrag gebracht, da begann der Abmarsch. Erst standen die Amerikaner auf, dann Briten und Deutsche und mit ihnen Repräsentanten aus den 25 übrigen EU-Staaten. Plus Australier und Neuseeländer, Kanadier und Costa-Ricaner. 33 Länder stimmten mit den Füßen ab gegen Teherans Philippika.

Später wurden Kommuniqués nachgereicht: Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle bedauerte, dass der Iraner "sich so verirrt" habe, die EU-Außenministerin Catherine Ashton geißelte dessen "inakzeptable Vorwürfe". Aus dem Umfeld von Barack Obama raunte es später, der Präsident habe die Einlassungen seines Amtskollegen als "empörend und widerwärtig empfunden".

Am Morgen danach erklärte Obama dem persischen Dienst von BBC: "Es war beleidigend. Es war abscheulich. Und ein solches Statement gerade hier in Manhattan abzugeben, wo Familien allen Glaubens und aller Ethnien ihre Angehörigen verloren haben, ist unentschuldbar."

Losgetreten hatte Ahmadinedschad die Proteste mit seinen Gedanken über "das globale Management und die herrschenden Strukturen". So jedenfalls lautete in seinem Manuskript die gefettete Überschrift von jenem Unterkapitel, in dem der Iraner sich über den 11. September 2001 ausließ. Ahmadinedschad baute Satz für Satz sein Gedankengebäude auf.

Er erinnerte daran, damals hätten "fast alle Regierungen und bekannten Persönlichkeiten" sofort "diesen Vorfall" verurteilt. Nur habe dann "eine Propaganda-Maschine" losgelegt, und am Ende seien Afghanistan und der Irak besetzt worden. Irans Präsident lässt offen, ob er die offizielle Zahl von fast 3000 Toten selbst glaubt - "so wurde gesagt". Aber Tatsache ist für ihn, "dass bis heute in Afghanistan und im Irak Hunderttausende Menschen getötet und Millionen verwundet und vertrieben wurden".

Schon nach diesen Worten hielt es die beiden US-Diplomaten, die Washington im Plenarsaal hatte verweilen lassen, kaum mehr auf ihren Stühlen. Eine Minute später waren sie weg. Denn da hatte Ahmadinedschad seine Spekulationen über die Täter und Hintermänner der Anschläge vor der Staatenwelt ausgebreitet. Neben der Theorie, dass ein mächtiges Terrornetz die Anschläge verübt habe ("das ist die Sicht, die amerikanische Staatsmänner vertreten"), gebe es die Deutung, dass eine Terrorgruppe zwar die Taten begangen, aber "von der amerikanischen Regierung unterstützt" worden sei ("Diese Sicht hat weniger Befürworter").

Nein, der Iraner ließ keinen Zweifel, dass er eine andere Erklärung für wahr hält: "Dass einige Teile in der US-Regierung die Angriffe orchestriert haben", dozierte Ahmadinedschad mit erhobenem Zeigefinger. Die finsteren Motive reichte er prompt nach: "Um den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft und deren Kontrolle des Mittleren Ostens umzukehren, mit dem Ziel, das zionistische Regime zu retten."

Den 11. September 2001 als Akt imperialistischer Verzweiflung, obendrein als pro-israelisches Blutkomplott? "Die Mehrheit des amerikanischen Volkes sowie andere Nationen und Politiker stimmen mit dieser Sicht überein", verkündete der iranische Präsident weiter. Kein Wunder, dass im UN-Saal der Exodus des Westens begann.

Draußen auf der Straße befeuerte die Kunde von Ahmadinedschads Ausfall einige tausend überwiegend iranische Demonstranten, die die Unterdrückung und Todesstrafe per Steinigung in der Islamischen Republik anprangerten. Unter ihnen befand sich auch Rudy Giuliani, der frühere Bürgermeister von New York, der sich noch immer leise Hoffnungen macht, irgendwann einmal US-Präsident zu werden. Derartig "verrückte Bemerkungen" würden ihn überraschen, bekundete Giuliani, "aber das ist nur ein Beleg mehr dafür, warum es diesem Mann und Iran nicht erlaubt sein darf, Nuklearwaffen zu haben".

Der Kommentar des Ex-Bürgermeisters weist die Richtung. Die UN-Rede des iranischen Präsidenten, in den Abendnachrichten von allen TV-Sendern ausgebreitet, dürfte unter Amerikanern den kruden Eindruck nähren, dass Ahmadinedschad ein vielleicht irrer, auf jeden Fall finsterer Zeitgenosse ist. Das kann sich schnell vermischen mit den jüngsten Aufwallungen gegen Muslime. Oder auch den Konflikt befeuern, der am anderen Ende von Manhattan gärt: Die Proteste gegen den Bau der "Moschee von Ground Zero", an deren Rand einzelne Christenmenschen demonstrativ Exemplare des Korans zerrissen hatten.

Ahmadinedschad hat das angeprangert. Und ausgekostet. Plötzlich hielt er im Plenum einen grünen Koran in der rechten und eine blaue Bibel in der linken Hand: "Ich respektiere beide." Nur, bei diesem Glaubensbekenntnis war der Plenarsaal schon zu einem Drittel leer.

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