Afrikanische Flüchtlinge in Israel:Eindringlinge im Heiligen Land

Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben wurde bitter enttäuscht. In Israel stoßen Flüchtlinge aus Afrika nur auf Elend, Rassismus und Gewalt. Zehntausende von ihnen leben unter katastrophalen Bedingungen in Parks und Flüchtlingsbaracken. Die Hetzpolitik der Regierung heizt die Stimmung zunehmend auf.

Peter Münch

Auch die Sonne kann gnadenlos sein in Tel Aviv. Am Mittag brennt sie hoch vom Himmel, und die Schattenplätze werden knapp im Levinsky-Park im schäbigen Süden der Metropole. Unter den Bäumen hocken Gruppen schwarzer Männer, sie liegen ausgestreckt auf den Bänken, und sogar der Spielplatz mit den bunten Rutschen und Schaukeln gehört nicht mehr den Kindern. Hier sammeln sich die Hoffnungslosen, die Ausgestoßenen und die Ängstlichen, und mittendrin steht Guy Yosef und sagt: "Es ist eine Schande. Ich bin ein Flüchtling, und sie behandeln mich wie einen Kriminellen."

Afrikanische Flüchtlinge in Israel: Afrikanische Flüchtlinge kampieren unter elenden Bedingungen im Levinsky-Park. Im armen Süden Tel Avivs ist die Lage besonders dramatisch.

Afrikanische Flüchtlinge kampieren unter elenden Bedingungen im Levinsky-Park. Im armen Süden Tel Avivs ist die Lage besonders dramatisch.

(Foto: AFP)

Guy Yosef ist einer von 60.000. Ein Afrikaner, der die Heimat hinter sich gelassen hat, um in Israel vielleicht so etwas wie sein Glück zu finden. Er stammt aus Sudan, aus Darfur, das bekannt ist für Völkermord und Verfolgung. Mit 16 Jahren musste er fliehen, seitdem hat er nichts mehr gehört von den Eltern und den sieben Geschwistern.

Er war im Gefängnis und in vielerlei Gefahren, er hat weite Wege durch endlose Wüsten zurückgelegt, bis er vor fünf Jahren auf dem Sinai über die Grenze nach Israel geschleust wurde. Als Tellerwäscher und Koch hat er sich durchgeschlagen im Verborgenen. Mit 24 Jahren hat er ein Leben hinter sich, das reich ist allein an Rückschlägen. Und vor sich hat er nichts als eine Wand von Drohungen.

Israels Politiker hetzen gegen Flüchtlinge

Er und die 60.000 aus dem Schatten des Landes sind plötzlich ins gleißende Licht der öffentlichen Debatten gezerrt worden. Von Flüchtlingen spricht dabei kaum mehr einer, auch nicht von Asylbewerbern oder Migranten. Für die Presse und für die Politiker sind sie nur die Mistanenim, die Eindringlinge. Premierminister Benjamin Netanjahu warnt vor einer "Überflutung" und sieht bereits "den jüdischen Charakter Israels in Gefahr". Sein Justizminister spricht von einer "nationalen Plage", eine Abgeordnete seiner Likud-Partei von einem "Krebsgeschwür in unserem Körper".

Doch niemand soll in dieser Frage Eli Jischai überflügeln. Der Innenminister von der ultra-orthodoxen Schas-Partei heizt die Stimmung an mit Gruselgeschichten über HIV-infizierte Afrikaner. Er droht, alle Flüchtlinge einzusperren und verspricht, schon in einem Jahr wäre kein einziger mehr im Land, wenn man ihm nur die nötigen Instrumente an die Hand gäbe.

"Jischai blufft doch nur", sagt Segal Rosen, doch sie sieht dabei nicht so aus, als würde sie das beruhigen. Vielmehr hält sie die Politik der Regierung in Jerusalem für brandgefährlich. Jeden Tag ist sie als Mitarbeiterin einer Menschenrechtsorganisation, der "Hotline für Wanderarbeiter", rund um den Levinsky-Park im Einsatz. Sie kennt die Lage und auch die Rechtslage, sie weiß, "dass es bei einem Großteil der Flüchtlinge unmöglich ist, sie zu deportieren, weil in Ländern wie Sudan und Eritrea ihr Leben in Gefahr ist". Aber sie sieht auch, welche Ängste die Debatte nährt bei den Flüchtlingen und welche Wut sie schürt bei vielen Israelis.

Tatsächlich steht Israel derzeit weit mehr im Fokus der weltweiten Flüchtlingsbewegungen als Europa. Schließlich ist es der einzige westliche Industriestaat, den die Afrikaner auf dem Landweg erreichen können. Doch wenn sie die Grenze mit Hilfe beduinischer Schlepperbanden überschritten haben, bleibt ihnen keine andere Wahl als der Weg in den Untergrund. Der Staat gewährt keinerlei Hilfe, sie bekommen keine Arbeitserlaubnis, und Asylanträge werden nur in Ausnahmefällen überhaupt angenommen.

Fast so schlimm wie zu Hause

In den mehr als sechs Jahrzehnten seit der Staatsgründung habe Israel lediglich 157 Asylbewerber anerkannt, berichtet Rosen. Die Flüchtlinge würden systematisch in einem unsicheren Status gehalten und mit Ausweisung oder Internierung bedroht. "Aber es nutzt nichts, sie alle einzusperren", sagt sie, "sie werden weiter kommen, weil es immer noch besser ist als zu Hause."

African refugees and migrant workers  stand in charity food line in south Tel Aviv

Schlange vor der Essensausgabe in Tel Aviv. Viele Flüchtlinge sind auf Hilfe von Wohltätigkeitsorganisationen angewiesen. Aus der Politik hören sie nur Beschimpfungen.

(Foto: REUTERS)

Schlimm muss es sein zu Hause, wenn es hier besser sein soll in diesem nach Schweiß und Exkrementen stinkenden Schlafraum, der sich in einem Hinterhof nahe des Tel Aviver Busbahnhofs versteckt. "Hier übernachten bis zu 200 Leute", sagt Segal Rosen, "eine einzige Toilette gibt es und eine Dusche."

Auf zerschlissenen Matratzen liegen die Männer dicht an dicht, manche stehen auf, um bei Sonnenaufgang auf dem Tagelöhner-Strich einen Job zu ergattern, andere bleiben den ganzen Tag liegen in diesem Rattenloch. Sie haben sowieso kein Geld, um draußen in einem der Läden CDs aus Eritrea zu kaufen. Sie haben keine Lust, in einen der Gottesdienste für Christen aus Sudan zu gehen. Und sie haben Angst, gejagt oder gefangen zu werden.

Denn die Stimmung ist aufgeheizt im Süden von Tel Aviv. Als wir mit einem Flüchtling auf der Straße sprechen, hält ein Mann auf dem Motorroller an und sagt: "Nachts müsst ihr wiederkommen, wenn die ganzen Afrikaner israelische Mädchen vergewaltigen." Von Saufgelagen erzählt er und von Schlägereien, "erst gestern sind wieder drei Israelis angegriffen worden".

Eskalation der Gewalt

Im Mai mündete eine Demonstration der alteingesessenen Bewohner gegen die neuen in Gewalt, Schwarze wurden durch die Straßen gehetzt und Läden geplündert. Brandbomben flogen bereits in mehrere Flüchtlingsunterkünfte und in einen Kindergarten.

"Ich verstehe die Wut der Anwohner" sagt Assaf Zamir, "aber mit Gewalt und Rassismus wird eine rote Linie überschritten." Zamir ist Vize-Bürgermeister von Tel Aviv, vom zwölften Stock des Rathauses aus überblickt er Glanz und Elend seiner Stadt, die schicken Strände im Norden und die Slums im Süden. Was sich da unten zusammenbraut, das nennt er "eine Zeitbombe". Mindestens 40.000 Flüchtlinge bedeuteten in den südlichen Vierteln unhaltbare Zustände, und er fühlt sich mit den Problemen alleingelassen von der Regierung. "Es gibt keine Einwanderungspolitik", klagt er, "und die Grenzen sind offen."

An der Grenzfrage arbeitet die Regierung, sie lässt auf dem Sinai einen 270 Kilometer langen Zaun errichten, der den Menschenschmuggel stoppen soll. Zudem hat Netanjahu vor einigen Tagen einen "Notfallplan" vorgelegt, der die Internierung von Flüchtlingen vorsieht. In der Negev-Wüste werden Lager und Zeltstädte für mindestens 30.000 Flüchtlinge gebaut. Zudem wurden bereits in einer für die Kameras der Abendnachrichten inszenierten Menschenjagd ein paar Dutzend Südsudanesen festgenommen, die Anfang nächster Woche in ihre Heimat abgeschoben werden sollen.

Für Guy Yosef aus Darfur, der sich seit fünf Jahren schon in Tel Aviv durchschlägt, sind das Alarmzeichen. Er träumt von einer Ausbildung in den USA, und über das Internet hat er sich beworben für ein College-Stipendium. "Irgendwann kann ich vielleicht in mein Land zurückgehen und mit dem, was ich gelernt habe, etwas verändern", sagt er. Aber erst einmal will er weg aus Israel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: