Afghanistan:Russland und die Taliban: Die Gegner von einst

Afghanistan: Auch sechzehn Jahre nach der US-Invasion sind die Taliban in Afghanistan ein Machtfaktor, der militärisch nicht zu besiegen ist.

Auch sechzehn Jahre nach der US-Invasion sind die Taliban in Afghanistan ein Machtfaktor, der militärisch nicht zu besiegen ist.

(Foto: AP)
  • Washington beschuldigt Moskau, Waffen an die Taliban in Afghanistan zu liefern.
  • Das Außenministerium in Moskau weist die Anschuldigungen als "Lügen" zurück.
  • Immerhin bestätigt Russland, die Kontakte zu den Taliban intensiviert zu haben. Dies diene jedoch einzig dazu, sie zu einer Zusammenarbeit im Friedensprozess.

Von Julian Hans, Moskau, und Tobias Matern

John Nicholson weiß genau, was er da sagt. Er gehe davon aus, dass Russland den Taliban Waffen liefere, sagte der Oberkommandeur der amerikanischen und internationalen Truppen in Afghanistan. Nicht zum ersten Mal erheben Vertreter des amerikanischen Militärs solche Vorwürfe gegen Moskau, aber so deutlich hat es bislang noch niemand formuliert. Kürzlich hatte General Curtis Scaparrotti, der Oberkommandierende der Nato in Europa, bei einer Anhörung im Kongress in Washington von einem "erhöhten Einfluss" der Russen und "möglichen Lieferungen an die Taliban" gesprochen. Nun verschärft Nicholson den Ton.

Das Außenministerium in Moskau wies die Anschuldigungen routiniert als "Lügen" zurück. "Im Unterschied zu den amerikanischen Regierungsbehörden gibt es keine Zusammenarbeit des russischen Verteidigungsministeriums mit Organisationen, die von den UN als terroristisch eingestuft werden", sagte Armeesprecher Igor Konaschenkow. "Es kann sie auch nicht geben." Er legte den Amerikanern nahe, sie sollten sich auf ihre Einsatzplanung konzentrieren, statt anderen die Schuld für ihre Misserfolge zuzuschieben.

Die Regierung Trump hat einen Konflikt geerbt

Tatsächlich ist die Liste der Misserfolge in Afghanistan lang, die Regierung von Präsident Donald Trump hat einen Konflikt geerbt, der militärisch nicht zu gewinnen ist. Die Taliban und die von 13 000 internationalen Soldaten unterstützten afghanischen Sicherheitskräfte befinden sich in einem Patt: Keine Seite gewinnt diesen Krieg, keine verliert ihn. Die Islamisten haben genug Macht, um alle Kabuler Angebote für Friedensgespräche auszuschlagen. Noch ist nicht erkennbar, ob Trump eine neue Strategie auf dem Weg zum Frieden plant. Jüngst hat er Milizen des sogenannten Islamischen Staats (IS) in Afghanistan mit dem größten konventionellen Sprengkörper der US-Streitkräfte bombardieren lassen, aber eine diplomatische Offensive, um die Taliban zu Verhandlungen zu bewegen, ist nicht erkennbar.

Aus Sicht der afghanischen Regierung sind aber nicht nur die Taliban und der IS das Problem, sondern auch der Einfluss ausländischer Mächte. Kabul sieht sich als Spielball der Nachbarn und Russlands, wie so oft in der bewegten afghanischen Geschichte. "Wir machen uns große Sorgen über die russische, iranische und pakistanische Unterstützung für die Taliban", bestätigt ein hochrangiger afghanischer Regierungsvertreter der Süddeutschen Zeitung die amerikanischen Vorwürfe in Richtung Moskau. "Diese Länder sollten aufhören, den Taliban zu helfen und lieber die afghanische Regierung unterstützen", fordert der Mann, der zwar offen spricht, namentlich aber nicht zitiert werden will, weil das Thema diplomatisch heikel ist.

Kabul weiß: Für Friedensgespräche braucht es eine breite internationale Unterstützung, dürfen weder USA, China noch die Anrainerstaaten den Prozess untergraben. Nach wie vor gilt Pakistan in Kabul als zentrale Quelle des Übels. Islamabad unterstütze die Taliban und torpediere damit die Friedensbemühungen, heißt es in Afghanistan immer wieder. Aus pakistanischer Sicht gelten die Taliban in Teilen noch als steuerbare Truppe, die für die Nachkriegsordnung am Hindukusch im Ringen um Einfluss in Stellung gehalten werden soll. Dass nun auch zunehmend Russland auf die Taliban setzt, wird in Kabul beunruhigt aufgenommen.

Eine Aufwertung der Taliban will Moskau in den Kontakten nicht erkennen

Moskau bestätigt immerhin, die Kontakte zu den Taliban intensiviert zu haben. Dies diene jedoch einzig dazu, sie zu einer Zusammenarbeit im Friedensprozess unter der Führung Kabuls zu bewegen. Dafür müssten sie laut dem russischen Außenministerium drei Bedingungen erfüllen: Anerkennung der afghanischen Verfassung, Entwaffnung und Abbruch aller Verbindungen mit dem IS und al-Qaida. Eine Aufwertung der Taliban will Moskau in den Kontakten nicht erkennen. Schließlich habe sich auch die Führung aus Kabul mit den Gegnern getroffen, was einer Anerkennung als Verhandlungspartner gleichkomme. Das weist Kabul nicht zurück, Fortschritte habe dies aber auch nicht gebracht. "Die Anstrengungen für den Frieden haben nicht dazu geführt, dass die Kämpfe nachlassen", sagt der afghanische Regierungsvertreter.

Das US-russische Verhältnis wird durch die widerstrebenden Interessen in Afghanistan einer zusätzlichen Belastungsprobe ausgesetzt. Die Zeiten, in denen die Sorge um eine Ausbreitung der Islamisten in Afghanistan und den Ländern Zentralasiens Moskau und Washington zusammenbrachte, sind vorbei. 2009 hatte Moskau den USA die Nutzung des russischen Luftraums für die Operation in Afghanistan gestattet und später gar erlaubt, dass Flugzeuge den Militärflughafen Uljanowsk für die Versorgung der Truppe nutzen. Es war die engste Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften beider Länder, die es nach dem Kalten Krieg gegeben hat. Russland verhielt sich bei einer Operation von Nato-Kräften praktisch wie ein Verbündeter.

Inzwischen ist der Ton in Moskau umgeschlagen. Das staatlich gelenkte Fernsehen kommentiert die Misserfolge bei der Stabilisierung des Landes mit Häme. Den Amerikanern geht es also nicht besser, als es der Sowjetunion im Afghanistan-Krieg zwischen 1979 und 1989 erging. Damals starben 15 000 sowjetische Soldaten; der Abzug und die Schmach der Niederlage waren ein Zeichen der Schwäche der Sowjetunion, die sich kurz darauf auflöste. Je klarer sich abzeichnet, dass die Taliban eine bedeutende Kraft in Afghanistan bleiben werden, desto wichtiger ist es für Moskau, Kontakt zu ihnen zu halten. Sie werden als Partei in einem innerafghanischen Konflikt gesehen, die nicht danach strebt, sich über das Land hinaus auszubreiten - anders als al-Qaida und die Terrormiliz IS, von denen eine Bedrohung für die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien ausgeht. Aus ihnen kamen wohl auch die mutmaßlichen Attentäter, die unter anderem den Anschlag auf die U-Bahn in Sankt Petersburg Anfang April verübt haben sollen.

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