Afghanistan und die Nato:Die neue Macht der Taliban

Aufständische fordern in Afghanistan Nato-Truppen zum offenen Kampf heraus - sogar die Hauptstadt Kabul ist fast umzingelt.

Peter Münch

Sie hören nicht auf, sie kämpfen weiter, sie töten und sterben in großer Zahl. Als am Mittwoch in Kabul der eilig aus Paris angereiste Präsident Nicolas Sarkozy der am Vortag gefallenen zehn französischen Soldaten gedachte, da forderten die Taliban die internationalen Truppen schon wieder im Osten des Landes heraus.

Afghanistan und die Nato: Afghanistans Präsident Hamid Karsai ist auf dem Tiefpunkt seiner Macht. Nicolas Sarkozy und er machten am Mittwoch gute Miene zum bösen Spiel der Taliban.

Afghanistans Präsident Hamid Karsai ist auf dem Tiefpunkt seiner Macht. Nicolas Sarkozy und er machten am Mittwoch gute Miene zum bösen Spiel der Taliban.

(Foto: Foto: dpa)

Mindestens 20 Tote wurden aus den Provinzen Khost und Paktika gemeldet, allesamt Aufständische, und auch aus dem Norden berichtete die Bundeswehr von einem Feuergefecht.

Doch an Kämpfern scheint es den Taliban und ihren Verbündeten nicht zu mangeln. Trotz beständig schwerer Verluste, die von der Nato-geführten Isaf-Truppe wie Siegesmeldungen verkündet werden, rücken die Koran-Krieger immer weiter vor.

Und wer die Schauplätze der jüngsten Anschläge und Angriffe auf der Landkarte einträgt, kommt zu einem alarmierenden Befund: Kabul, die Hauptstadt des neu zu bauenden Afghanistan, scheint von den alten Kräften fast umzingelt zu sein.

Die Pflicht des Präsidenten

Keine 50 Kilometer östlich von Kabul hatte am Montagabend Frankreichs blutiges Debakel begonnen. Die Soldaten waren im Bezirk Surobi in einen Hinterhalt von etwa 100 Kämpfern geraten, die Gefechte dauerten einen ganzen Tag. Frankreichs Armee hatte den Einsatz in dieser Gegend erst kürzlich von den US-Truppen übernommen, nachdem Sarkozy auf Bitten der Nato das französische Afghanistan-Kontingent um 700 auf 2600 Mann aufgestockt hatte. Nun sieht sich der Präsident offensichtlich in der Pflicht, auch in Zeiten schmerzhafter Rückschläge die Fahne hochzuhalten.

"Die beste Weise, euren Kameraden die Treue zu halten, ist es, weiterzumachen, den Kopf zu heben, professionell zu handeln", mahnte Sarkozy am Mittwoch bei der Trauerfeier in Kabul. Vom notwendigen Kampf gegen den internationalen Terrorismus und für "die Freiheit der Welt" sprach er. In Zeiten tiefster Verletzung wollte er ein Zeichen der Unbeugsamkeit setzen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Taliban systematisch mit Anschlägen gegen ausländische Soldaten vorgeht.

Die neue Macht der Taliban

Dabei weiß auch er genau, dass nun in Frankreich ebenso wie in anderen Nato-Staaten wieder die Diskussion um Sinn und Gefahren des Afghanistan-Einsatzes aufkommen wird. Und die Taliban wissen das auch. Gezielt greifen sie deshalb oft gerade dort an, wo neue ausländische Truppen eingesetzt werden, und mit aller Macht treiben sie die Todesstatistik nach oben.

2008 droht so das verlustreichste Jahr seit Vertreibung der Fundamentalisten von der Macht Ende 2001 zu werden. Inoffiziellen Schätzungen zufolge kostete die Gewalt in diesem Jahr schon etwa 3400 Menschen das Leben. In den vergangenen drei Monaten starben am Hindukusch mehr ausländische Truppe n als im Irak, seit Januar beklagen die Nato-Truppen schon 188 tote Soldaten in Afghanistan.

Noch mehr als die Zahlen erschreckt die Isaf-Strategen aber die immer ausgefeiltere militärische Strategie der Taliban. Neben Selbstmord-Attentätern in den Städten und vergrabenen Bomben an den Überlandstraßen fordern sie die Nato auch wieder verstärkt zum offenen Kampf heraus. So griff zum Beispiel zu Wochenbeginn ein Taliban-Trupp mit mehreren Selbstmord-Bombern plus militärischer Rückendeckung den US-Stützpunkt Camp Salerno in der Ostprovinz Khost an. Der Angriff wurde früh entdeckt und schlug weitgehend fehl. Gewarnt aber ist die Isaf allemal.

Präsident Karsai ist auf dem Tiefpunkt seiner Macht

Das Ziel aller Angriffe ist klar: Die Aufständischen wollen das Land unregierbar machen und die fremden Truppen vertreiben. Das welt- und regionalpolitische Umfeld scheint ihnen dabei in die Hände zu spielen. Die Amerikaner sind beschäftigt mit dem Präsidentschaftswahlkampf, die meisten Europäer würden am liebsten gar nicht mehr an ihren Afghanistan-Einsatz erinnert, und im benachbarten Pakistan, wo die Taliban ihre Rückzugsgebiete haben, tut sich nach dem Rücktritt von Präsident Pervez Musharraf womöglich ein Machtvakuum auf.

In Kabul hat indessen Präsident Hamid Karsai den vorläufigen Tiefpunkt seiner Macht erreicht. Zwar hat er diese Woche seine erneute Kandidatur für die Präsidentenwahl 2009 angekündigt. Die meisten seiner Landsleute aber sind tief enttäuscht von seiner Politik.

Die Taliban schlagen also Profit aus dem Chaos, für das sie eigentlich verantwortlich gemacht werden müssten. In Scharen laufen ihnen die Freiwilligen zu, und sie kämpfen im Verbund mit anderen Fundamentalisten. Einer davon ist der berüchtigte paschtunische Kriegsherr Gulbuddin Hekmatyar. Schon im Krieg gegen die Sowjetunion und später im Bürgerkrieg gehörte die von wilden Schluchten durchzogene Gegend um Surabi, wo nun die Franzosen starben, zu seinem Einflussgebiet. Auch heute sollen dort seine Kämpfer im Einsatz sein. Hekmatyar jedoch wird gewiss noch eine andere Region im Blick haben. Seine Heimat liegt im Norden, in der Provinz Kundus. Dort ist die Bundeswehr stationiert.

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