Massenausbruch in Afghanistan:Taliban-Fluchttunnel reichte bis in Gefängniszelle

Den Taliban ist ein Coup gelungen, der die afghanischen Sicherheitskräfte bis auf Weiteres beschädigt. Durch einen riesigen Fluchttunnel haben sie rund 500 Getreue aus dem Gefängnis in Kandahar befreit.

Tobias Matern

Wie jeden Morgen erschienen die Gefängniswärter zum Dienst, doch viele der Gefangenen waren verschwunden. Die Taliban haben in Afghanistan am Montag Hunderten Insassen einer Haftanstalt in der Stadt Kandahar zur Flucht verholfen.

Massenausbruch in Afghanistan: Der 300 Meter lange Tunnel reichte bis in die Zellen einzelner Häftlinge. In Afghanistan sind knapp 500 Insassen einer Haftanstalt geflohen.

Der 300 Meter lange Tunnel reichte bis in die Zellen einzelner Häftlinge. In Afghanistan sind knapp 500 Insassen einer Haftanstalt geflohen.

(Foto: AFP)

Monatelang hatten die Aufständischen dafür nach eigenen Angaben in der gleichnamigen Unruheprovinz einen Tunnel zum Gefängnis gegraben. Dieser soll mehr als 300 Meter lang gewesen sein und bis zu den Zellen einzelner Insassen gereicht haben. Der Leiter der Haftanstalt erklärte, es werde noch untersucht, ob der unterirdische Zugang von außen oder innen gebuddelt worden ist.

Nicht der erste Massenausbruch aus dem Gefängnis

Die Behörden teilten mit, 476 Häftlinge seien aus dem Gefängnis entkommen. Die Taliban, die zu Übertreibungen neigen, gaben die Zahl mit 541 an. Übereinstimmend hieß es aus beiden Quellen, unter den Entkommenen seien Kämpfer und Kommandeure der Aufständischen gewesen. Es war nicht der erste Massenausbruch aus dem Gefängnis in Kandahar. Bereits vor drei Jahren hatten die bewaffneten Regierungsgegner mehr als 1000 Gefangene aus der Haftanstalt befreit.

Die Flucht begann in der Nacht zu Montag. In einer Stellungnahme der Taliban unmittelbar nach der Aktion hieß es, die Vorbereitungen hätten fünf Monate gedauert. Nur drei Inhaftierte seien vorab über den Plan informiert worden. Sie hätten die Mitgefangenen nachts geweckt und zum Tunnel geleitet.

Auch für den Fall, dass die Sicherheitskräfte während der Flucht Alarm geschlagen hätten, wollen die Taliban nach eigener Darstellung vorgesorgt haben: In ihrer Mitteilung heißt es, Selbstmordattentäter und Kämpfer seien in unmittelbarer Nähe des Gefängnisses stationiert worden. Ihr Einsatz sei aber nicht erforderlich gewesen. Provinzgouverneur Turjalai Wessa sagte, einige der geflohenen Männer seien inzwischen wieder verhaftet worden. Er erhob schwere Vorwürfe gegen das Gefängnispersonal.

Obwohl die Taliban in den vergangenen Monaten geschwächt worden sind, ist es ihnen mit der Aktion erneut gelungen, die afghanischen Sicherheitskräfte zu düpieren. Bis 2014 will der Westen seine Kampftruppen vom Hindukusch abziehen. Das Konzept der Nato sieht vor, vom Sommer dieses Jahres an die Verantwortung für die Sicherheit in afghanische Hände zu übergeben. Sieben Regionen sind dafür ausgesucht worden. Darunter ist unter anderem auch die im Einflussbereich der Bundeswehr liegende Stadt Masar-i-Scharif in Nordafghanistan. Dort hatte Anfang des Monats ein wütender Mob nach dem Freitagsgebet das Büro der Vereinten Nationen gestürmt. Die afghanische Polizei hatte der aufgebrachten Menge wenig entgegenzusetzen. Zwölf Menschen starben bei der Attacke.

"Ohne Frage ein Rückschlag"

Aus Sicht von Isaf-General Josef Blotz in Kabul ist die Gefangenenbefreiung in Kandahar "ohne Frage ein Rückschlag" für die Bemühungen der Nato, den Süden Afghanistans zu stabilisieren, wie er am Montag im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung einräumte. Die Nato werde den einheimischen Sicherheitskräften so gut wie möglich dabei behilflich sein, die geflohenen Taliban "wieder dingfest zu machen". Nun müsse "Schadensbegrenzung" betrieben werden, sagte Blotz.

Für die Isaf gab es in diesem Jahr im Süden Afghanistans nicht die sonst übliche Winterpause, während der die Kampfhandlungen abnehmen. Das Bündnis habe mit afghanischen Einheiten zusammen Tag für Tag Operationen gegen die Taliban durchgeführt, sagte Blotz. Er zeigte sich überzeugt, das Bündnis sei im Kampf gegen die Taliban "derzeit in der Offensive".

Momentan seien die Angriffe auf Nato-Truppen und einheimische Sicherheitskräfte abgeflaut. Grund dafür dürfte auch die Mohn-Ernte sein, die Grundlage für den Opiumhandel ist. Die Aufständische nehmen den Bauern dafür Steuern ab. Das Geld aus dem Drogen-Geschäft ist ein wesentlicher Teil, mit dem sie ihren Kampf finanzieren. Die Zahl der Attacken auf die Isaf und afghanische Truppen im Süden Afghanistans werde nach dem Einholen der Ernte sicherlich wieder zunehmen, sagt Blotz.

Von den etwa 140.000 Nato-Truppen in Afghanistan ist der Großteil im Süden stationiert. Die von US-Präsident Barack Obama 2010 vollzogene Aufstockung amerikanischer Truppen hat nach Ansicht unabhängiger Beobachter dazu geführt, die Macht der Taliban in Regionen wie Kandahar einzuschränken. Jedoch sind sie weiterhin stark genug, um spektakuläre Aktionen wie am Montag zu organisieren. Auch lassen sie bislang trotz des Werbens der afghanischen Regierung keine Bereitschaft erkennen, Friedensverhandlungen aufzunehmen.

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