Afghanistan:Merkel warnt vor übereiltem Abzug vom Hindukusch

Afghanistan: In Sicherheit gebracht: Zahlreiche Menschen sind aus Kundus nach Kabul geflüchtet, um den Kämpfen zwischen Armee und Taliban zu entgehen.

In Sicherheit gebracht: Zahlreiche Menschen sind aus Kundus nach Kabul geflüchtet, um den Kämpfen zwischen Armee und Taliban zu entgehen.

(Foto: Shah Marai/AFP)

Tausende fliehen vor Kämpfen zwischen Taliban und Armee.

Im Nordosten Afghanistans sind Tausende Zivilisten vor Kämpfen zwischen den radikalislamischen Taliban und Sicherheitskräften geflohen. Wie der norwegische Flüchtlingsrat am Sonntag weiter mitteilte, sind zwei Bezirke in der Provinz Kundus besonders betroffen. Einer sei am Samstag in die Hände der Extremisten gefallen. In Kundus war bis 2013 auch die Bundeswehr stationiert. Die Taliban hatten bis zur US-geführten Intervention 2001 große Teile des Landes kontrolliert. Im Zuge ihrer diesjährigen Frühjahrsoffensive haben sie ihre Angriffe in der Provinz Kundus verstärkt.

Hunderte Familien seien aus dem Bezirk Kala-e Sal geflohen, der nun von den Extremisten kontrolliert werde, teilte der Norwegische Flüchtlingsrat mit. Im Distrikt Chanabad gingen die Kämpfe am Sonntag weiter. "Wir haben alles zurückgelassen", sagte der 29-jährige Rahman Gerdi, der mit Frau und zwei Töchtern aus Ak Tapa floh. "Ich habe Angst, dass nun alles geplündert wird." Die Taliban greifen seit Umwandlung des US-geführten Kampfeinsatzes in einen Ausbildungseinsatz und der damit verbundenen Reduzierung der Stärke der ausländischen Truppen Ende 2014 wieder verstärkt an. In Kundus hatten sie 2015 und 2016 vorübergehend die gleichnamige Provinzhauptstadt erobert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte unterdessen vor einem übereilten Abzug des ausländischen Militärs vom Hindukusch. Sie halte es für ausgesprochen wichtig, dass der sehr langfristige Einsatz in Afghanistan, bei dem auch Deutschland Verantwortung übernommen habe, nicht zu früh beendet werde, sagte sie in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft. "Die Ereignisse, wie wir sie jetzt erleben, zeigen auch, dass unsere Anwesenheit, auch unsere Unterstützung im Sinne der Beratung und im Sinne des Trainings, noch dringend erforderlich ist." Momentan sind noch knapp 1000 deutsche Soldaten als Teil des Beratungseinsatzes der Nato in Afghanistan.

Bis 2013 hatte die Bundeswehr in Kundus ein Feldlager betrieben, in dem zeitweise knapp 2000 deutsche Soldaten stationiert waren. Es war der gefährlichste Einsatzort der Truppe: 18 deutsche Soldaten starben in der Region durch Anschläge und im Gefecht. Seit die Taliban Kundus im Herbst 2015 erstmals überrannten, ist fast ständig wieder eine Handvoll deutscher Soldaten in Kundus, um die afghanischen Kommandeure in deren Lager oberhalb der Stadt zu beraten.

Mit Spannung erwarten die internationalen Truppensteller die Afghanistan-Strategie der Regierung von Donald Trump. Der neue US-Präsident hat von seinem Vorgänger Barack Obama den längsten Krieg der amerikanischen Geschichte geerbt. Nach Jahren des Abzugs erwägen die USA derzeit offenbar einen Kurswechsel und die Entsendung von 3000 bis 5000 zusätzlichen Soldaten an den Hindukusch. Das Thema dürfte auch beim Nato-Gipfel am 25. Mai eine Rolle spielen. Aktuell kontrollieren die Regierungstruppen nach US-Schätzungen nur 60 Prozent des Landes. Seit Jahresbeginn wurden mehr als 1000 afghanische Sicherheitskräfte getötet. Trotz der angespannten Sicherheitslage setzt die Bundesregierung verstärkt darauf, abgelehnte afghanische Asylbewerber in ihre Heimat abzuschieben.

50 Menschen sterben bei Kämpfen zwischen pakistanischen und afghanischen Grenztruppen

Trump will die Verbündeten der USA im Kampf gegen Extremistenorganisationen weltweit stärker in die Pflicht nehmen. Das Vorgehen gegen Islamisten müsse verstärkt und die Kosten für die USA müssten gesenkt werden, heißt es in einem Entwurf für eine neue Anti-Terror-Strategie, den die Nachrichtenagentur Reuters am Freitag einsehen konnte. "Um die Ziele im Anti-Terror-Kampf zu erreichen, werden wir versuchen, teure und groß angelegte US-Militäraktionen zu vermeiden und uns vermehrt Partnern zuwenden, um die Verantwortung im Kampf gegen Terrorgruppen zu teilen", heißt es darin. Zugleich räumt die US-Regierung ein, dass die Terrorgefahr nie endgültig gebannt werden könne.

Das Papier ist nach Angaben aus Regierungskreisen nicht zu verwechseln mit der separaten Strategie zur Bekämpfung der Extremistenmiliz IS, die im Auftrag Trumps ebenfalls ausgearbeitet wird. US-Truppen sind derzeit unter anderem in den Kriegen im Irak, in Syrien und Afghanistan im Einsatz. Was Trumps Ziel, Militärinterventionen zu vermeiden, für diese Einsätze bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Derzeit sind noch 8400 US-Soldaten am Hindukusch.

Wie fragil die Situation in der Region ist, zeigt auch der anhaltende Konflikt zwischen der afghanischen und der pakistanischen Regierung. Bei Gefechten an der Grenze zwischen beiden Ländern wurden fast 50 Menschen getötet. Fünf afghanische Kontrollpunkte seien zerstört worden, teilte die pakistanische Armee am Sonntag mit. Erst am Freitag waren bei einem Grenzgefecht zwischen afghanischen und pakistanischen Truppen auf beiden Seiten der Grenze 15 Menschen getötet worden. Nach pakistanischen Angaben feuerten dabei afghanische Sicherheitskräfte auf einen Konvoi von Mitarbeitern einer Volkszählung im Grenzgebiet, der von Soldaten eskortiert wurde. Der Polizeichef der afghanischen Provinz Kandahar, Abdul Rasik, sagte dagegen, die Pakistaner hätten das Gefecht begonnen und warf Islamabad vor, die Volkszählung als Mittel zu benutzen, Grenzübertritte von militanten Extremisten von Pakistan nach Afghanistan zu verschleiern. Beide Regierungen werfen sich immer wieder gegenseitig vor, den Aufständischen der anderen Seite Unterschlupf zu gewähren. Der Grenzübergang Chaman wurde wegen des tödlichen Gefechts zunächst geschlossen.

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