Afghanistan-Konferenz in Bonn:Ernstes Spiel im Konferenzzirkus

Ab Samstag an diskutieren in Bonn 100 Delegationen über die Zukunft Afghanistans. Ging es bei der ersten dieser Konferenzen vor zehn Jahren noch um Träume von Sicherheit und Freiheit, ist das Ziel nunmehr nur noch Schadensbegrenzung.

Stefan Kornelius

Das Weiße Haus in Washington verschwendet üblicherweise nicht viele Worte, um zu erklären, warum der Präsident etwas nicht tut. Diesmal war es anders. Diesmal war es eine politische Willensentscheidung erster Güte: Präsident Barack Obama wird keine Entschuldigung aussprechen an die pakistanische Regierung für den Luftangriff von Nato-Einheiten auf einen Grenzposten. 24 pakistanische Soldaten waren dabei am Wochenende getötet worden.

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Amerikanische Soldaten treffen sich mit Dorfbewohnern in der Provinz Helmand: So friedlich verlief der Truppeneinsatz von etwa 50 Nationen nur selten.

(Foto: REUTERS)

Warum Obama schweigt? Weil es sich bei dem Zwischenfall möglicherweise nicht um ein Versehen gehandelt hat, sondern um eine Falle: Amerika sollte pakistanische Soldaten treffen, damit Pakistan in blinder Empörung reagieren kann. Und damit Pakistan einen Grund hat, der Konferenz über die Zukunft Afghanistans fernzubleiben, die am Wochenende in Bonn beginnt und am Montag ihren Höhepunkt erleben wird.

Wer nicht um drei Ecken denken kann und Politik als Abfolge ethischer Entscheidungen sieht, sollte sich mit Afghanistan am besten nicht mehr beschäftigen. Die Bonner Konferenz und die Nachrichten aus der Region sind eng miteinander verwoben. Die Dramaturgie ist manchmal schwer zu erkennen - zu viele Akteure bevölkern die Bühne, zu viele Handlungen laufen parallel.

Unbestritten aber ist, dass der Einsatz von etwa 50 Nationen in der Region seinem Ende zugeht, und dass damit die vielleicht dramatischste Phase anbricht: der kontrollierte Abzug und die Machtübergabe. In der Schrittfolge bis zum Abzug ist die Konferenz deswegen genauso wichtig wie die geheimen Verhandlungen über einen Friedensvertrag mit den Taliban.

2014 ist das Schlüsseldatum, zu dem Obama das Ende des Kampfeinsatzes angekündigt hat - aus innenpolitischen Motiven dürfte es nicht nur für den Amerikaner gerne auch etwas früher sein. In einer fast unüberschaubaren Sequenz von Konferenzen und Vermittlungsmissionen wird seit Obamas Ankündigung versucht, das Terrain für diesen Moment zu bereiten. Dabei kollidieren immer wieder widerstreitende Interessen:

// Pakistan: Militär und Geheimdienst wollen (zumindest in Teilen) die Kontrolle über die Taliban und damit über Afghanistan behalten, gleichzeitig aber auch islamistische Machtgelüste im eigenen Land unterdrücken, die Nuklearwaffen unter Kontrolle halten und für all dies amerikanisches Geld erhalten.

// USA: Die Amerikaner wollen einerseits abziehen und viel Geld sparen, andererseits wollen sie Afghanistan (und Pakistan) in vertrauenswürdigen Händen wissen, also Einfluss behalten, möglichst ein paar Drohnen-Basen gegen Terroristen betreiben dürfen und keine Angst vor dem Nukleararsenal haben müssen.

// Afghanistan: Die Regierung und ihr Präsident Hamid Karsai wollen zunächst am Leben und an der Macht bleiben, sie wollen eine Rückkehr der Gewaltherrscher der Taliban verhindern und einen verlässlichen Machtausgleich mit den moderaten Kräften der Taliban aushandeln. Über die Interessen der Taliban ist wenig bekannt - einheitlich sind auch sie nicht, eine Mehrheit sucht aber den Friedensschluss.

// Europa: Insbesondere Deutschland will vor allem raus aus Afghanistan und keinen Scherbenhaufen hinterlassen - deswegen sind die Deutschen als Vermittler so glaubwürdig. Ihre Interessen haben keinen doppelten Boden.

In dieser Interessen-Matrix treffen sich nun 100 Delegationen in Bonn, darunter 80 Regierungen. Ihr oberstes Ziel: Die afghanische Regierung und Bevölkerung müssen nach der Konferenz verlässlich wissen, dass nach 2014 keine Anarchie ausbricht. Das afghanische Trauma trägt nämlich die Jahreszahl 1993 - jenes Datum, zu dem nach dem Abzug der Sowjets der Bürgerkrieg in voller Brutalität ausbrach. Kurz darauf waren die Taliban an der Macht. Geschichte darf sich nicht wiederholen, dafür müssen die 100 Delegationen bürgen: mit warmen Worten, Geld, politischen Programmen, ihrem Willen.

Aber Bonn ist nur ein wichtiger, öffentlicher Schritt hin zum Abzugstermin. Der eigentliche Schauplatz der Übergangsverhandlungen ist für das Publikum nicht einsehbar. Diese Verhandlungen finden statt in privaten und weniger privaten Liegenschaften, Hotelzimmern, Residenzen. Schon seit mehr als einem Jahr halten sich die Gerüchte, dass die Taliban mit ihren Gegnern im Gespräch sind - mit der afghanischen Regierung, aber indirekt auch mit den USA.

Direkte Gespräche sind unwahrscheinlich, dazu ist die wichtigste Forderung der Taliban nicht erfüllt: ein sicherer, neutraler Verhandlungsort außerhalb der Region, etwa in Katar am Arabischen Golf. Außerdem scheint die US-Regierung intern unentschlossen zu sein: verhandeln oder noch warten? Ein Machtwort von Obama wäre für die Konferenz das größte Geschenk. Das wird aber nicht kommen.

Also werden sich die Delegierten mit dem öffentlichen Teil der Machtübergabe beschäftigen: Was bleibt nach 2014? Wer finanziert dann den Staat Afghanistan? Muss die afghanische Verfassung neu geschrieben werden, weil vor zehn Jahren - ebenfalls auf dem Petersberg - viel zu idealistische Vorstellungen über den Charakter eines afghanischen Einheitsstaates entwickelt wurden? Viele Fragen, wenige Antworten. Zu spüren aber ist, dass sich hinter dem Konferenzzirkus ein ernstes Spiel entwickelt. Was vor zehn Jahren in Bonn begann, wird nun von dort aus wieder abgewickelt.

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