Afghanistan:Kein Ort ist mehr sicher

Afghanistan: Nach dem Taliban-Angriff auf die spanische Botschaft machen Reinigungskräfte in der Nähe des Tatorts sauber.

Nach dem Taliban-Angriff auf die spanische Botschaft machen Reinigungskräfte in der Nähe des Tatorts sauber.

(Foto: Rahmat Gul/AP)

In Afghanistan zeigen die Taliban mit einer spektakulären Anschlagserie ihre Schlagkraft - trotz ihrer zunehmenden inneren Spaltung.

Von Tobias Matern

Wieder einmal haben sie eine Spur der Verwüstung hinter sich her gezogen. In einer der vielen Hochsicherheitszonen von Kabul zündeten die Taliban vor der spanischen Botschaft in der Nacht zu Samstag eine Autobombe, attackierten ein Gästehaus und lieferten sich mehrstündige Feuergefechte mit den Sicherheitskräften. Zehn Menschen starben, darunter zwei spanische Polizisten. Für die afghanische Zivilbevölkerung zementiert sich das Gefühl: Es gibt keinen Ort, an dem man sich sicher fühlen kann, noch nicht einmal die schwer bewachten Festungen in der Hauptstadt sind vor den Guerilla-Taktiken der Taliban gefeit.

Ein Taliban-Sprecher verbreitet siegesgewisse Parolen, Aktionen wie in Kabul seien ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Ziel: "Unsere Kämpfer zerstören den Feind und erobern Gelände im ganzen Land." Zu erwarten, dass sie aufgäben, sei pure "Dummheit". Dass die Taliban aufgeben - damit rechnet tatsächlich längst kein Beobachter mehr. Dennoch kann auch der neue Anschlag in Kabul nicht über Probleme hinwegtäuschen, die auf der Führungsebene der Islamisten deutlich werden. Nach wie vor seien die Islamisten zwar ein gewaltiger Machtfaktor, attestiert ihnen der Kabuler Politikanalyst Haroun Mir - gerade Überraschungsangriffe wie am Wochenende belegen dies. Doch die Taliban seien extrem zersplittert, "innere Machtkämpfe setzen der Bewegung zu", sagt Mir.

Die Terrormiliz zersplittert in ihrem Führungsstreit immer mehr

Nachdem der Tod des übermächtigen Taliban-Chefs Mullah Omar im Sommer bekannt geworden war, übernahm Mullah Akhtar Mansur offiziell den Posten. Mansur habe zwei Probleme, sagt der renommierte Taliban-Experte Ahmed Rashid: Einige interne Rivalen, die ihm die Gefolgschaft verweigern und der Aufstieg des sogenannten Islamischen Staates, der in einigen Provinzen bereits eine ernsthafte Konkurrenz für die Islamisten darstelle. "Mansur verliert seine Kontrolle deutlich schneller als zu erwarten war", sagt Rashid. Die afghanische Regierung und auch einige Taliban-Kommandeure lancieren, dass der Islamisten-Führer während eines kürzlich abgehaltenen Treffens der Taliban in der pakistanischen Stadt Quetta bei einer Schießerei schwer verwundet worden sei.

Dieses internes Machtgerangel ist neu bei den Taliban: Seit ihrer Gründung vor mehr als 20 Jahren hätten sie sich immer durch ihre extreme Loyalität untereinander ausgezeichnet, schreibt Borhan Osman vom Kabuler Afghanistan Analysts Network in einer gerade veröffentlichten Studie. Doch seit Mansur die Führung übernommen habe, sei es damit vorbei. Trotz der Führungskrise bescheinigt aber nicht nur Osman den Taliban nach wie vor die Fähigkeit, den afghanischen Sicherheitskräften Verluste zufügen zu können.

Das belegen nicht nur die Kämpfe an der spanischen Botschaft. Ein paar Tage zuvor überfielen Taliban-Milizen den Flughafen von Kandahar, bei den Gefechten mit den Sicherheitskräften starben 61 Menschen. Und die zeitweilige Einnahme von Kundus im Herbst ist ein weiterer Beleg für die immense Schlagkraft der Islamisten. Die Taliban hatten die Provinzhauptstadt im Norden des Landes, in der bis vor zwei Jahren die Bundeswehr stationiert war, Ende September überrannt und bis Mitte Oktober kontrolliert. Nach einem Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen vom Wochenende starben in dieser Zeit mindestens 289 Zivilisten. Bei einem US-Luftangriff auf ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen (MSF) kamen während der Taliban-Besatzung in Kundus nach neuen Erkenntnissen mindestens 42 Menschen ums Leben.

Die Regierung von Präsident Ashraf Ghani bemüht sich mit aller Macht um eine Wiederbelebung der Friedensgespräche mit den Taliban. Zumindest die Reihen der internationalen Akteure sind dabei deutlich geschlossener als in der Vergangenheit. Den Amerikanern ist nach dem großflächigen Abzug ihrer Kampftruppen mehr denn je an einer Verhandlungslösung gelegen. Aus Pakistan, dessen Sicherheitsapparat enge Kontakte zu den Taliban unterhalten soll, kommen Signale, den Prozess konstruktiv zu begleiten. Neuerdings treten auch die Chinesen im afghanischen Machtpoker aktiver in Erscheinung: Peking ist enger Verbündeter Pakistans und könnte auf Islamabad als Vermittler von Friedensgesprächen einwirken. Das zentrale Problem ist aber: Von den Taliban zu sprechen, ist im Moment nicht möglich. Sie seien so fragmentiert, dass "zum jetzigen Zeitpunkt Verhandlungen sehr unwahrscheinlich sind", sagt der Taliban-Kenner Rashid.

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