Afghanistan:Karsai und die Nato: Brüskierte Beschützer

Die Bundesregierung macht sich Sorgen über die neue Selbständigkeit von Afghanistans Präsident Karsai. Der kritisiert unverhohlen die Nato - und droht sogar damit, zu den Taliban überzulaufen.

Stefan Braun und Tobias Matern

Nein, sagt Dirk Niebel. Aufgefallen sei ihm nichts. Es habe keine Vorwarnung gegeben, keine Andeutung, geschweige denn ein scharfes Wort.

So jedenfalls hat der Bundesentwicklungshilfeminister sein Treffen mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai Ende der vergangenen Woche erlebt. Einer Woche, in der Niebel zum ersten Mal als Minister deutsche Soldaten und Entwicklungshelfer in Afghanistan besuchte.

Und einer Woche, an deren Ende nicht nur drei deutsche Soldaten getötet und weitere verwundet wurden, sondern in der ebendieser Hamid Karsai auch noch einen politischen Eklat auslöste.

Wenn stimmt, was afghanische und ausländische Medien berichten, dann hat er vor tausend Stammesfürsten die Offensive der internationalen Schutztruppe Isaf in Frage gestellt - und darüber hinaus sogar mit einem Überlaufen zu den Taliban gedroht.

Das ist schwer zu verdauender Stoff für eine internationale Gemeinschaft, die unter den Belastungen in Afghanistan ächzt. Und es ist eine Belastung mehr für die Bundesregierung, die zu Hause mehr und mehr um Zustimmung für den Einsatz kämpfen muss. "Mir machen Karsais jüngste Äußerungen Sorgen", sagt Niebel.

Und er betont das besonders mit Blick auf die Tatsache, dass jetzt auch die US-Amerikaner unter dem Befehlshaber Stanley McChrystal das Konzept des vernetzten Ansatzes von zivilem Aufbau und militärischer Stabilisierung übernommen hätten. Wann, wenn nicht jetzt, sollte es endlich besser werden?

Devise: Ruhe bewahren

Niebel hat als bislang letzter deutscher Minister Karsai getroffen. Und er kann von seinem halbstündigen Gespräch berichten, dass Karsai "charmant und sehr freundlich" gewesen sei, dass er die deutschen Investitionen gelobt habe ("egal wo ihr investiert, Hauptsache, ihr investiert") - und dass er über den Krieg, die Nato-Frühjahrsoffensive und die Schwierigkeiten damit kein Wort verloren habe.

Nur eines, so Niebel, hätte er gerne anders gehabt: "Karsai wollte, dass wir ihm unsere Hilfsgelder direkt zur Verfügung stellen." Eine solche Direktzahlung, im Fachjargon Budgethilfe, habe er aber "strikt abgelehnt". Karsai wünscht sich das seit langem, für die Bundesregierung ist das aber auch aus Angst vor Korruption undenkbar.

Karsai und das Image der Marionette

Ob die Bundesregierung auf Karsais Äußerungen reagiert, erscheint bislang unwahrscheinlich. Eine endgültige Antwort darauf wird es in dieser Nachosterwoche kaum geben. Sie zählt zu den ganz wenigen Wochen im Jahr, in denen es keine Kabinettssitzung gibt und deshalb auch keine Staatssekretärsrunde, in der das Handeln der Regierung zentral abgestimmt würde. Aus dem Auswärtigen Amt jedenfalls ist die Devise zu hören: Ruhe bewahren und die Äußerungen nicht überbewerten.

Die Opposition hingegen fordert, genau hinzuhören. "Karsai gilt als Marionette der USA. Wenn er jetzt die fremden Truppen als Eindringlinge bezeichnet und Militäraktionen von der Zustimmung der Stammesältesten abhängig machen will, dann scheint er die bisherige Vorgehensweise der USA und ihrer Verbündeten mehr und mehr in Zweifel zu ziehen", urteilt Linken-Chef Oskar Lafontaine.

Ohnehin zeigten die Ereignisse: "Mit Krieg ist Afghanistan nicht zu befrieden". Für die Linke bleibe es dabei, sagt Lafontaine: "Die Bundeswehr muss aus Afghanistan abgezogen werden."

Karsai kennt Afghanistans Geschichte

Präsident Karsai bemüht sich jedenfalls massiv darum, sein politisches Überleben zu sichern für den Fall, dass die Nato scheitert. Er kennt die afghanische Geschichte: Als die Taliban 1996 nach Kabul kamen, machten sie Jagd auf Mohammed Nadschibullah. Nachdem sie ihn gefasst hatten, richteten sie den einst von der Sowjetunion eingesetzten Präsidenten hin.

Auch wenn die Islamisten nicht unmittelbar davor stehen, die Macht in Kabul wieder komplett zu übernehmen - Karsai arbeitet daran, das Image einer fremdgesteuerten Marionette abzustreifen. Denn der Paschtune, der nach dem Sturz der Taliban 2001 auf der Petersberger Konferenz vom Westen installiert wurde, weiß: Als Präsident von rein ausländischen Gnaden würde er spätestens dann abgesetzt werden, wenn die Schutzmacht abgezogen ist.

Karsai brüskiert fast täglich genau diese Protektoren, greift die USA und die Nato an. Ein afghanischer Abgeordneter sagte der Süddeutschen Zeitung am Dienstag, der Präsident habe jüngst bei einem Gespräch mit Parlamentariern erklärt, er müsse sich vielleicht bald selbst den Taliban anschließen, wenn der Westen ihn weiter so herablassend behandle.

"Das meint er sicher nicht ganz ernst, aber er lässt im Moment einen unsachlichen Kommentar nach dem anderen über den Westen fallen, um seine angebliche Unabhängigkeit zu demonstrieren", sagte der Abgeordnete. Zuvor hatte Karsai erklärt, er werde die Nato-Offensive in der Taliban-Hochburg Kandahar blockieren, wenn die Bevölkerung nicht dahinterstehe.

Die Taliban, mit denen Karsai bald Friedensgespräche führen will, rückte er in die Nähe von Freiheitskämpfern. Besonders Karsais Verhältnis zu den USA gilt als angespannt. Präsident Barack Obama hatte ihn nach seinem jüngsten Besuch in Kabul aufgefordert, mehr im Kampf gegen die Korruption zu tun.

Karsais Äußerungen führten inzwischen zu einer bemerkenswerten Reaktion in Washington: Das Weiße Haus erwägt, das geplante Treffen von Obama mit Karsai abzublasen.

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