Afghanistan:Geld gegen Fortschritte

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Kinder freuen sich an einer Trinkstation am Rande Kabuls über sauberes Wasser. Die Entwicklung in dem vom Krieg geschundenen Land in Zentralasien geht nur langsam voran. Afghanistan leidet unter dem Kampf gegen die Taliban, aber auch unter Misswirtschaft. (Foto: Omar Sobhani/Reuters)

Auf der Geberkonferenz soll wieder ein Finanzpaket geschnürt werden, das den Staat am Hindukusch stabilisiert. Doch es gibt Bedingungen: Deutschland etwa wünscht sich unter anderem die Rücknahme von Flüchtlingen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Afghanistan fordert mehr direkte Finanzhilfe von den internationalen Geldgebern. "Es ist entscheidend, dass die afghanische Regierung mehr Kontrolle über die Entwicklungshilfe bekommt", sagte Finanzminister Eklin Hakimi am Dienstag vor Beginn der Afghanistan-Konferenz in Brüssel. Die Forderung nach mehr direkter Budgethilfe wird von der Europäischen Union, dem Mitausrichter der Konferenz, unterstützt. Der EU-Kommissar für Entwicklungshilfe, Neven Mimica, unterzeichnete mit Hakimi einen "Vertrag für den Staatsaufbau". Im Rahmen der Vereinbarung sollen in den kommenden beiden Jahren 200 Millionen Euro in den Staatshaushalt fließen. Im Gegenzug macht Afghanistan Reformzusagen. Die Vereinbarung demonstriere das Vertrauen der EU in das afghanische Reformprogramm, sagte Mimica. "Ich kann versichern, dass Ihr Geld gut verwendet wird", entgegnete Hakimi.

An der Brüsseler Konferenz nehmen an diesem Mittwoch Vertreter von mehr als 70 Staaten und 20 internationalen Organisationen teil. Sie steht in einer Reihe mit zahlreichen Konferenzen seit 2001 auf dem Petersberg bei Bonn, die alle dem Zweck dienten, den Staat in Afghanistan aufzubauen, zu stabilisieren und zu finanzieren. Zuletzt 2012 in Tokio hatte die internationale Gemeinschaft vier Milliarden jährlicher Hilfe für vier Jahre zugesagt. Nun sind Finanzzusagen bis 2020 erbeten. Für Präsident Ashraf Ghani geht es daher wie stets bei solchen Konferenzen um alles: Zwar ist es den Afghanen zuletzt gelungen, ihre Einnahmen zu erhöhen, etwa durch effektiveres Eintreiben von Zoll. Dennoch kann der afghanische Staat nur 20 Prozent seiner Ausgaben aus eigenen Mitteln aufbringen. Im Sicherheitssektor sind es sogar nur zehn Prozent. Um die Finanzierung von Militär und Sicherheitskräften ging es kürzlich am Rande des Nato-Gipfels in Warschau. In Brüssel nun muss verhütet werden, dass die zivile Seite des Staates zusammenbricht.

Deutschland will bis zu 1,7 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bezahlen

Für die EU stehen dabei zwei Ziele im Vordergrund. Zum einen will die im Inneren krisengeschüttelte Gemeinschaft sich außenpolitisch als handlungsfähiger und wichtiger Akteur beweisen. Die EU verweist dabei auf 3,66 Milliarden Euro an humanitärer und Entwicklungshilfe seit 2002, was sie zum viertgrößten Geber Afghanistans mache. Bis 2020 will sie "bis zu" 300 Millionen Euro jährlich bereitstellen. Zum anderen will die EU auch etwas von Afghanistan, nämlich Entgegenkommen in der Flüchtlingskrise. Die EU sei interessiert an "effektiven Maßnahmen zur Rückkehr und Rücknahme afghanischer Bürger, die sich irregulär in der EU aufhalten", heißt es in einem Papier vom März, das der Guardian kürzlich veröffentlicht hatte. Aus dem Papier geht die Absicht hervor, finanzielle Zusagen an afghanisches Entgegenkommen zu knüpfen. "Es ist schlichtweg verantwortungslos, dass die europäischen Mitgliedstaaten nun 80 000 afghanische Asylbewerber abschieben wollen. Dabei schrecken die Regierungen offenbar nicht einmal mehr davor zurück, die finanzielle Abhängigkeit Afghanistans eiskalt auszunutzen", kritisierte die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler. Vertreter der EU bestreiten allerdings die Absicht einer irgendwie gearteten Erpressung. Vielmehr befinde man sich mit der afghanischen Seite in einem "konstruktiven Dialog" über die Migrationsfrage.

Aus Sicht des Bundesinnenministeriums in Berlin gibt es durch die Unterzeichnung einer deutsch-afghanischen Erklärung am Wochenende "nunmehr eine klare und verlässliche Arbeitsgrundlage für die künftige Zusammenarbeit beider Länder insbesondere in den Bereichen freiwillige Rückkehr und Rückführung der jeweiligen Staatsangehörigen in ihr Heimatland". Rückführungen würden nur "unter voller Achtung der Menschenrechte und der Vorgaben der deutschen Gesetze" durchgeführt.

Deutschland ist nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt bereit, für Entwicklung und Wiederaufbau in Afghanistan in den nächsten vier Jahren bis zu 1,7 Milliarden Euro bereitzustellen. Im Gegenzug verlangt die Bundesregierung Fortschritte in Kabul und eine "weiterhin enge Kooperation" in allen Fragen der Migration. "Die politischen Akteure in Afghanistan müssen jetzt für das Wohl der Menschen in ihrem Land Verantwortung übernehmen - beim Aufbau der Sicherheitskräfte, bei Reformen, bei der Bekämpfung der Korruption. Nur so lässt sich Vertrauen aufbauen, nur so lassen sich wirtschaftliche Chancen verbessern", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Spiegel Online.

Ein hochrangiger Vertreter des amerikanischen Außenministeriums sagte, man hoffe auf eine Zusage der internationalen Gemeinschaft in Höhe von drei Milliarden Dollar jährlich (2,67 Milliarden Euro). Die USA beziffern ihre jährliche zivile Hilfe auf eine Milliarde Dollar.

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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