Afghanistan:Gefahr ist relativ

Lesezeit: 2 min

Die Bundeswehr präzisiert ihre Bewertung der aktuellen Sicherheitslage. Für deutsche Soldaten und Einheimische gelten unterschiedliche Maßstäbe.

Von Christoph Hickmann und Stefan Braun, Berlin

Afghanistan - seit vielen Jahren ist das Land für die deutsche Politik eine besondere Baustelle. Zum einen, weil Deutschland seit 15 Jahren Soldaten dorthin schickt, in einen gefährlichen Auslandseinsatz - am Donnerstag verlängerte der Bundestag wieder einmal das Mandat. Zum anderen, weil immer mehr Flüchtlinge aus Afghanistan nach Deutschland kommen. Beides zusammen scheint sich zu beißen: Während Berlin es immer noch für nötig hält, Soldaten zu entsenden, weil die Sicherheit dort nicht so ist, wie sie sein müsste, will Berlin zugleich immer mehr abgelehnte Asylbewerber in das Land zurückschicken, weil es das Land für sicher genug hält.

Kann das zusammenpassen? Für viele Kritiker tut es das nicht; für die Regierung tut es das sehr wohl. Und um das zu belegen, achtet sie inzwischen sehr auf ihre Wortwahl. So informiert das Verteidigungsministerium den Verteidigungsausschuss des Bundestags regelmäßig schriftlich über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. In dieser "Unterrichtung des Parlaments", kurz UdP, geht es auch um die Sicherheits- und Bedrohungslage in den Einsatzgebieten. In die Karte zur Bedrohungslage, die in Teilen Afghanistans als "hoch" gilt, ist seit Neuestem der Hinweis eingefügt: "Bewertung des Risikos gewaltsamer oder krimineller Aktionen gegen westliche Staatsangehörige, internationale und nationale Sicherheitskräfte sowie Angehörige der staatlichen Administration." Mit anderen Worten: Das "hoch" gilt nicht für die normale Bevölkerung.

Soll damit angesichts der umstrittenen Abschiebungen nach Afghanistan die Bedrohungslage für die Zivilbevölkerung relativiert werden? Das Verteidigungsministerium stellt es anders dar: Tatsächlich müsse man zwischen der Sicherheits- und der Bedrohungslage unterscheiden. Letztere habe sich schon immer lediglich auf Westler und internationale Soldaten bezogen, während die "Sicherheitslage" umfassender definiert gewesen sei. Das stimmt tatsächlich, wie ein Blick in ältere UdP zeigt.

Für die einheimische Bevölkerung sei es teils "hinreichend sicher", sagt Innenminister de Maizière

Dort heißt es in der Definition zur Bedrohungslage, dass eine Gruppe in der Lage und willens sei, "deutsche oder verbündete Streitkräfte", deutsche Staatsbürger oder Angehörige von Nichtregierungsorganisationen anzugreifen. Allerdings war diese Definition bislang hinten in den Anlagen versteckt und sprang nicht gleich aus der Afghanistan-Karte auf der zweiten Seite ins Auge. Offenbar wollte man nun besonders deutlich machen, dass die teils "hohe" Bedrohungslage nicht für alle gilt.

Dazu passt, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Donnerstag exakt die gleiche Trennlinie zog, als er die Abschiebung von 34 Afghanen in der Nacht zuvor begründete. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei "kompliziert"; die Bedrohung für internationale Kräfte bleibe hoch. Aber in verschiedenen Gebieten sei die Lage "für die afghanische Zivilbevölkerung hinreichend sicher". Bedrohungslage für Soldaten, Sicherheitslage für Zivilisten - in Afghanistan ist manches eine Frage der Definition geworden.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: