Afghanistan:Ein neuer Spieler

Von Frieden ist Afghanistan weit entfernt, noch immer sterben jährlich Tausende Zivilisten. Jetzt belebt China die Friedensverhandlungen - nicht ganz uneigennützig.

Von Tobias Matern und Kai Strittmatter, München/Peking

Eine lange Liste ist herausgekommen, 18 Punkte stehen darauf: Das Ziel, international nicht wieder isoliert zu werden, taucht auf, die Rechte der Frauen zu stärken, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, weitere Schulen und Straßen zu bauen - mithilfe ausländischer Investoren. Das Dokument schließt mit dem "starken Wunsch", die Treffen so bald wie möglich fortzusetzen.

Es waren zwar keine offiziellen Friedensverhandlungen, die nun in Doha stattgefunden haben. Doch immerhin hat es überhaupt dieses Treffen mit einigen gemeinsamen Bekenntnissen gegeben: Hochrangige Taliban saßen zusammen mit "Persönlichkeiten" aus Kabul, wie es Paolo Cotta-Ramusino, der Generalsekretär der Pugwash Conferences, die das Treffen organisiert haben, bewusst vorsichtig formuliert. Gemeint ist: Es waren keine offiziellen Vertreter der Kabuler Regierung mit am Tisch, aber wohl zumindest Regierungsberater und Dutzende andere Teilnehmer aus der Region. In Doha haben die Taliban im Jahr 2013 ein Büro eröffnet, um für Friedensgespräche eine Repräsentanz zu haben. Doch der Prozess kollabierte, bevor er richtig begonnen hatte. Die nun wieder angestoßenen Konsultationen der Konfliktparteien zeigen zumindest, dass die Taliban entgegen ihrer öffentlichen Stellungnahmen bereit für einen Friedensschluss sind. Die Frage ist nur: Zu welchem Preis?

Bemerkenswert ist, dass der Doha-Prozess im Moment nur "eine Nebenattraktion" ist, wenn auch keine unwichtige, wie es der Taliban-Experte Ahmed Rashid formuliert. Was tatsächlich großes Gewicht habe: Chinas neue Rolle. Bei den lange stagnierenden Versuchen, die afghanische Regierung und die Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen, ist Peking zu einem überraschend aktiven Mitspieler herangewachsen. Afghanistans Außenminister Salahuddin Rabbani ist seit Sonntag für vier Tage in Peking, um über Chinas Rolle bei den Verhandlungen zu sprechen. Rabbani traf am Montag Chinas Außenminister Wang Yi. In der vergangenen Woche hatte Peking schon seinen Afghanistan-Sondergesandten Deng Xijun nach Kabul geschickt, um an Gesprächen der Vierer-Koordinationsgruppe teilzunehmen, in der neben China noch Afghanistan, Pakistan und die USA Mitglied sind. "Wenn die Treffen der vier Nationen zu nichts führen, könnte die Doha-Initiative eine Alternative sein", sagt Experte Rashid. Aber erst dann.

China hat über den schmalen Wachankorridor eine knapp 90 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Afghanistan, doch dass China sich aktiv einbringt bei Konflikten in seiner Nachbarschaft, ist etwas Neues. In der Vergangenheit hatte sich Peking stets auf eine Politik der Nichteinmischung zurückgezogen und sich mit passiver Beobachtung begnügt. Das neue Engagement kommt zu einer Zeit, da China sich generell mehr einbringt auf der internationalen Bühne. Es entspringt aber im afghanischen Szenario vor allem der Erkenntnis, dass der allmähliche Rückzug der Amerikaner das Land am Hindukusch in einem chaotischen Zustand zurücklässt, mit Problemen, die sich leicht auf China auswirken können.

Afghanistan: Frieden beginnt klein: Etwa ein Dutzend ehemalige Taliban-Kämpfer geben im Januar bei einer Zeremonie in Dschalalabad ihre Waffen ab.

Frieden beginnt klein: Etwa ein Dutzend ehemalige Taliban-Kämpfer geben im Januar bei einer Zeremonie in Dschalalabad ihre Waffen ab.

(Foto: Noorullah Shirzada/AFP)

An vorderster Stelle hat Peking Angst vor einem Übergreifen terroristischer und islamistischer Umtriebe in seine Westprovinz Xinjiang. Xinjiang ist die Heimat des muslimischen Turkvolkes der Uiguren. Die Provinz wurde in den vergangenen Jahren verstärkt Schauplatz von gewalttätigen Unruhen und Terrorakten. Beobachter machen dafür die repressive Politik Pekings gegenüber der Religion und Kultur der Uiguren ebenso verantwortlich wie zuletzt die Inspiration durch den Dschihad jenseits der chinesischen Grenze. "Wenn Afghanistan weiter zum chaotischen Schlachtfeld verkommt, könnte es zur Brutstätte des Terrorismus werden, zur Quelle illegaler Drogen und des Waffenhandels. All das bedroht China", sagte Du Youkang, ein Afghanistan-Experte der Shanghaier Fudan-Universität, der South China Morning Post.

Ebenso spielen wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Das größte außenpolitische und wirtschaftliche Prestigeobjekt von Staats- und Parteichef Xi Jinping ist dessen Neue Seidenstraße - das Projekt sieht gewaltige Infrastrukturmaßnahmen und Investitionen in einem transkontinentalen Korridor von China bis nach Europa vor. Afghanistan ist im Moment zwar nicht Teil des Projektes, überhaupt ist Chinas wirtschaftliches Engagement in dem Land noch minimal, doch könnte die Instabilität dort andere Teile des Projekts gefährden.

Für die Bevölkerung bedeutet die neue Friedensinitiative einen Funken Hoffnung - nicht mehr

Pekings Diplomatie versucht sich seit 2014 an engeren Kontakten zur Regierung in Kabul, aber auch zu den Taliban. Der vielleicht größte Pluspunkt des chinesischen Engagements aus Sicht der USA und Afghanistans aber sind seine traditionell engen Bande zu Pakistan. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Pakistans Sicherheitsapparat die Taliban einst als ernst zu nehmende politische Macht erst geschaffen hat und bis heute unterstützt. Kabul und Washington hoffen, dass China seinen Einfluss auf Pakistan nutzt, um Pakistan und die Taliban zu einem Friedensschluss zu bewegen.

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Trotz der neuen Aktivitäten: Große Euphorie ist noch nicht ausgebrochen, dafür hat der afghanische Friedensprozess immer wieder zu herbe Rückschläge erlitten. "Es ist gut, dass es viele Bemühungen gibt, um die Kämpfe in Afghanistan zu beenden", sagt der pensionierte pakistanische Drei-Sterne-General Talat Masood, einer der profiliertesten Analysten seines Landes. Doch die Taliban seien inzwischen so fragmentiert, dass es schwerfalle, auf einen umfassenden Friedensschluss zu hoffen. Zudem gewinnt der sogenannte Islamische Staat (IS) auch am Hindukusch an Stärke.

Für die afghanische Zivilbevölkerung bedeuten die Initiativen aber zumindest einen Funken Hoffnung. Sie leidet ganz besonders unter dem Kampf, den sich die Streitkräfte mit den Taliban liefern. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2015 gab es laut Vereinten Nationen fast 5000 zivile Opfer - die höchste Zahl seit Beginn der Zählung. Die afghanischen Streitkräfte und die Taliban sind seit Langem in einem Patt: Keine Seite gewinnt, ein Ende des Krieges ist nur am Verhandlungstisch möglich.

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