Affäre um den Nürburgring:Der Große Preis von Mainz

Neue Details über die Nöte der Regierung von Kurt Beck: Die landeseigene Förderbank musste im Sommer 2010 mit einem Kredit das Projekt Nürburgring am Leben halten. Sie sollte sogar Bernie Ecclestone Geld zuschanzen.

Klaus Ott und Marc Widmann

Es war, politisch betrachtet, ein heißer Sommer vor zwei Jahren in Mainz. Die von Kurt Beck geführte Landesregierung hatte wieder mal ziemlich viel Ärger mit dem Nürburgring. Die legendäre Rennstrecke war auf Kosten des Landes Rheinland-Pfalz für viel Geld um einen Freizeitpark mit Multi-Media-Theater, Achterbahn und anderen Attraktionen erweitert worden und sollte scharenweise Touristen in die sonst eher unwirtliche Eifel locken. Doch statt den Ruhm von "König Kurt" zu mehren, wie Deutschlands dienstältester Regierungschef spöttisch genannt wird, verursacht das Ring-Projekt nur schlechte Schlagzeilen.

Bernie Ecclestone soll den Ring retten

Treffen im Juli 2011: Kurt Beck (links) und Bernie Ecclestone am Rande des Formel-1-Rennens am Nürburgring.

(Foto: dapd)

Ein Untersuchungsausschuss im Landtag fördert ständig neue, unschöne Details über die Finanzierung der überdimensionierten "Erlebniswelt" in der Eifel zutage. Der Rechnungshof rügt die Regierung. Dann greift auch noch die Koblenzer Staatsanwaltschaft ein, startet eine Razzia, und ermittelt gegen den im Jahr zuvor wegen dubioser Geldflüsse rund um den Ring zurückgetretenen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD). Missbrauch staatlicher Mittel lautet der Verdacht.

Das ist die Lage, als sich am 13. Juli 2010 im Finanzministerium zu Mainz Leiter mehrerer Abteilungen, ein Staatssekretär und zwei Vorstände der landeseigenen Investitions- und Strukturbank (ISB) zusammensetzen. Die kleine ISB soll den Ring retten, mit einem Großkredit über 330 Millionen Euro. Das klappt dann auch; doch wie es bewerkstelligt wird, wirft eine für Beck und seine Partei, die SPD, heikle Frage auf. Hat die Regierung den Ring damals künstlich am Leben gehalten, um vor der Landtagswahl im März 2011 keine politische Pleite eingestehen zu müssen?

Jetzt, zwei Jahre nach der ungewöhnlichen Rettungsaktion und nach der Wahl, in der sich Beck und die ehemals alleinregierende SPD nur mit Hilfe der Grünen an der Macht halten konnten, ist der Nürburgring tatsächlich pleite. Vermerke, E-Mails und Briefe aus der Regierung und der ISB belegen, dass bereits Mitte 2010 ein Desaster drohte. Im Detail sind diese Unterlagen dem Landtag seit Langem bekannt. Aber jetzt, in der Gesamtschau und nach der Pleite, bekommen die Dokumente eine neue Brisanz.

"Für uns kam diese Info völlig überraschend"

An diesem 13. Juli 2010 sind die ISB-Vorstände Ulrich Dexheimer und Ulrich Link perplex über das, was sie im Finanzministerium erfahren. Ihre staatliche Wirtschaftsförderbank mit gerade mal 220 Millionen Eigenkapital soll nicht nur die dringend nötigen 330 Millionen Umschuldung für die Projektkosten am Ring bereitstellen, wie verabredet. Sondern nun ist plötzlich auch davon die Rede, dass darüber hinaus noch 100 Millionen Euro fehlen.

Luftaufnahme Nürburgring

Das Luftbild zeigt den Neubaukomplex des Projekts Freizeitpark Nürburgring, im Hintergrund die Nürburg.

(Foto: dpa)

"Für uns kam diese Info völlig überraschend", hält ISB-Vorstandssprecher Dexheimer noch am selben Tag in einem Vermerk fest, der an seinen Kollegen Link geht und als "vertraulich" gekennzeichnet ist. Das liest sich, als wollten die beiden Vorstände alles schriftlich festhalten, um sich abzusichern.

Dexheimer hält im Vermerk für Link auch deren gemeinsame Reaktion im Finanzministerium fest: "Wir haben erläutert, dass dies das derzeitige Finanzierungskonzept über den Haufen wirft." Eine Vertreterin des Ministeriums habe erklärt, dass dieser zusätzliche Geldbedarf in ihrem Ressort "schon lange bekannt" sei. Doch offenbar erst an diesem Tag rückt die Regierung mit der Wahrheit heraus.

Das geht wohl auch nicht mehr anders, nachdem die für den Nürburgring und das Land tätige Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst & Young tags zuvor in einem Arbeitspapier "für den internen Gebrauch" erläutert hat, wie prekär die finanzielle Situation ist. Bis zum Jahr 2020 könnten bei der landeseigenen Nürburgring GmbH Verluste in Höhe von insgesamt 191,9 Millionen Euro auflaufen. Zwar werde es schon vorher möglich sein, mit der Abzahlung des Großkredits über 330 Millionen Euro zu beginnen. Aber klar ist auch: Bis die Geschäfte am Ring so gut laufen, wie von der Regierung Beck erhofft, ist es noch weit hin.

Das Land muss nicht nur für die 330 Millionen Euro der ISB bürgen, jetzt müssen noch weitere Mittel her. Aber wie? Schließlich hat der Ring die Regierung Beck schon genug Geld gekostet - und Kredit bei den Bürgern. In ihrer Not will sich die Regierung noch stärker bei der ISB bedienen, die eigentlich andere Aufgaben hat, als einen überdimensionierten Freizeitpark zu finanzieren.

Die Förderbank soll einheimischen Unternehmen helfen, Herausforderungen wie die Globalisierung zu bewältigen. Sie soll Firmengründer, Handwerker und Gewerbetreibende unterstützen. Nirgendwo steht, dass die ISB dazu gedacht ist, der Regierung aus einer politischen Klemme zu helfen.

Aber so wird das ja bei staatlichen Förderbanken und bei den Landesbanken seit Jahr und Tag praktiziert - und geschieht nun auch in Mainz. In der Regierung wird einem Vermerk aus dem Wirtschaftsministerium zufolge überlegt, ob die ISB statt 330 nicht vielleicht 370 Millionen Euro Kredit gewähren könne. Oder gar 410 Millionen Euro. Ob die Förderbank auf diese Weise Altschulden übernehmen könne, die aus Formel-1-Rennen am Ring stammen. Ob die ISB für die neuen Schulden aufkommen könne, die bei der landeseigenen Nürburgring GmbH in den nächsten Jahren unweigerlich anfallen werden.

Als "Einschwungphase" wird diese Zeit in Becks Regierung bezeichnet. Diese Jahre müsse man halt noch überstehen, bis der Ring und sein Freizeitpark sich finanziell endlich selbst tragen. Einschwungphase, das hört sich nach einer harmlosen Turnübung an. Für Beck ist es aber gar nicht harmlos, was im Juli 2010 droht.

Geld für Ecclestone? Die Bankchefs sagen: Nein

Um ein Debakel am Ring abzuwenden, kommt ein Staatssekretär bei dem Treffen am 13. Juli 2010 mit den ISB-Vorständen Dexheimer und Link sogar auf die absurde Idee, die Förderbank könne ja einen Zuschuss für die Formel 1 leisten, damit der Rennzirkus im Jahr 2011 wieder auf dem Ring gastiere. Dazu muss man wissen, dass Formel-1-Chef Bernie Ecclestone von den Rennstrecken hohe Antrittsgagen für seinen Wanderzirkus fordert. Wer nicht zahlt, bei dem rasen Sebastian Vettel, Michael Schumacher und all die anderen Helden der Piste eben nicht um die Wette.

Die ISB als Förderbank für den undurchsichtigen Ecclestone, für Spitzenverdiener wie Schumacher und Vettel? Das lehnen Dexheimer und Link klipp und klar ab. Das sei nicht Aufgabe der Bank, bekommt die Regierung zu hören. Die beiden ISB-Chefs sagen auch Nein zu einem höheren Kredit. 330 Millionen Euro sind genug. Das Land muss die Finanzierungslücke selbst stopfen; es muss die Altschulden aus früheren Formel-1-Gastspielen selbst übernehmen; es muss den Rennzirkus auch 2011 aus dem eigenen Haushalt mitfinanzieren, mit 13,5 Millionen Euro.

Steuermittel zum Wohl von Schumacher, Vettel - und Ecclestone, mit dem sich Kurt Beck 2011 am Ring zeigt. Der Regierungschef hat keine Berührungsängste. Und auch keine Bedenken gegen weitere Landesmittel für die Ring-Gesellschaft, damit diese nicht kollabiert. Die Einzigen in der Regierung und deren Umfeld, die Bedenken haben, sind offenbar die beiden ISB-Chefs Dexheimer und Link.

Die Vorstände der Förderbank schützen sich und ihr Institut rundum, bevor die 330 Millionen Euro ausbezahlt werden. Das Land muss sofort einspringen, wenn die landeseigene Nürburgring GmbH den Kredit nicht zurückzahlen kann. Auch alle anderen Risiken trägt das Land. Wegen der Höhe und der "Besonderheiten" des Ring-Kredits und wegen der "großen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Engagements" lassen sich Dexheimer und Link vom ISB-Aufsichtsrat, in dem natürlich Landespolitiker sitzen, und vom Land selbst alles schriftlich geben.

Vier eng beschriebene Seiten umfasst das Schreiben der beiden Förderbank-Chefs vom Juli 2010. Es liest sich wie ein Dokument des Misstrauens. Andere Staatsbanker in anderen Bundesländern, die sich von der Politik in größenwahnsinnige Projekte treiben ließen, haben jetzt die Staatsanwaltschaft am Hals. Den ISB-Chefs wird das nicht passieren. Sie haben sich abgesichert.

Im Gegensatz zu Beck und seinen führenden Ministern. Sie müssen geradestehen für einen "Erlebnispark", der die Steuerzahler Hunderte Millionen Euro kosten könnte. Welch ein Erlebnis.

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