Affäre um Anschlag in Pristina:Im falschen Film

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Ein Bombenanschlag, ein Video und ein schwerer Verdacht: Wie drei BND-Agenten zu Hauptfiguren in einem Skandal wurden.

H. Leyendecker, N. Richter und E. Robelli

Das Video soll von lausiger Qualität sein, aber es liefert Stoff für große politische Konflikte. Glaubt man einem hochrangigen Vertreter der kosovarischen Regierung, zeigt das Filmchen den deutschen Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) Andreas J. in vollem Einsatz. Angeblich schleudert er aus einem Rohbau in Pristina einen Sprengsatz auf das benachbarte Gebäude der Internationalen Verwaltungsbehörde (ICO). Der Politiker hat den Film nicht selbst gesehen, aber die Polizei hat ihm den Inhalt so geschildert.

Drei deutsche Männer, die beschuldigt werden, an einem Sprengstoffanschlag auf die EU-Vertretung in der Kosovo-Hauptstadt Pristina beteiligt zu sein, werden von einem Untersuchungsrichter in Pristina verhört. (Foto: Foto: dpa)

In Berlin heißt es, der Film sei ganz anders. Ein hoher Sicherheitsbeamter sagt, nach seinen Informationen sei in dem Streifen nur zu erkennen, wie ein Sprengsatz auf die ICO-Büros fliege. Der Täter sei nicht zu sehen, jedenfalls sei es nicht der Deutsche Andreas J. Auch dieser Beamte hat den Film nicht selbst gesehen, aber er beteuert: Die Quellen, die den Inhalt schilderten, seien verlässlich.

"Wem vertrauen Sie mehr?"

Staatliche Desinformation vom Balkan oder deutscher Geheimdienst-Skandal? Das ist nun die Frage. "Wem vertrauen Sie mehr?", fragt ein deutscher Nachrichtendienstler. Das ist so leicht nicht zu beantworten. Ohne Zweifel wurde am 14. November ein Sprengstoffanschlag auf das ICO-Gebäude in Pristina verübt, ein Terrorakt gegen die internationale Gemeinschaft.

Aus den Akten der Staatsanwaltschaft in Pristina ergibt sich, dass der deutsche Agent J. unmittelbar nach dem Anschlag im Nachbargebäude beobachtet wurde. Nach Berliner Darstellung hingegen war J. erst vier Stunden später dort, um zu fotografieren. Erst als er das Gebäude verließ, hielten ihn demnach kosovarische Sicherheitskräfte fest. Er erzählte ihnen, dass er für die Firma "Logistic Coordination Assessment Service" (LCAS) arbeite.

Nur Kenner wissen, dass das eine Tarnadresse des BND ist. Als Zeugen dafür, dass er zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen sei, gab J. die Namen der beiden BND-Kollegen Andreas B. und Robert Z. an. Seinen Pass musste J. den Ermittlern aushändigen, am nächsten Tag erhielt er seine Papiere zurück. Der Fall schien erledigt zu sein. Bis die Polizei im Kosovo vergangene Woche die drei Männer festnahm.

Sie kamen ins Untersuchungsgefängnis, angeblich sind sie in den Anschlag verstrickt. Der Haftrichter erklärte, der Täter sei zum Tatort zurückgekehrt. Wenn diese Version stimmen sollte, wäre das einer der ganz großen Skandale der BND-Geschichte, nur noch vergleichbar mit dem Plutonium-Schmuggel des BND im Jahr 1995, der zahlreiche Karrieren beendete und den Dienst jahrelang lähmte. Hohe Vertreter des Geheimdienstes sind sich aber sicher, dass der Fall diesmal anders liegt.

Die drei Männer seien sehr erfahrene Agenten und keine Draufgänger. Sie hätten in der Vergangenheit wichtige Informationen zum Schutz deutscher Soldaten im Kosovo geliefert und seien zuletzt als Informationssammler für die europäische Rechtsstaatsmission Eulex unterwegs gewesen. Gewalttätige Aktionen hätten sie nicht geplant und seien auch damit nicht beauftragt gewesen. In der Tat: Warum sollten Agenten der Bundesregierung die Büros einer internationalen Organisation angreifen, in einem Land, das von Deutschland politisch und finanziell gefördert wird wie kaum ein anderes?

In der Bundesregierung zerbricht man sich eher den Kopf darüber, warum die Behörden in Pristina diesen Fall so auffällig behandeln. Die Deutschen wurden für jedermann sichtbar abgeführt, die örtlichen Medien druckten große Fotos. Als Geheimagenten jedenfalls können die drei Deutschen nie wieder arbeiten. Vorfälle wie diese werden im Geheimdienstgeschäft normalerweise geräuschloser erledigt.

Auf der nächsten Seite: Wie man sich in Berlin das Vorgehen des Kosovo erklärt.

Doch im Kosovo ist ein Dreivierteljahr nach der Unabhängigkeit noch vieles anders als in etablierten Staaten, und es ist nicht auszuschließen, dass die drei Deutschen in eine innenpolitische Intrige geraten sind. In der kosovarischen Regierung herrscht seit längerem erheblicher Unmut über die deutschen Sicherheitsbehörden.

Der Bundesnachrichtendienst hat sich intensiv mit Verstrickungen zwischen der kosovarischen Regierung und der örtlichen Mafia beschäftigt. In einem Bericht von 2005 hatte der BND den heutigen Regierungschef Hashim Thaci und andere Ex-Befehlshaber der Rebellenarmee UCK als Schlüsselfiguren der organisierten Kriminalität beschrieben. Thaci sagte der Süddeutschen Zeitung, diese Berichte seien "frei erfunden".

Für neue Empörung aber sorgte in Pristina eine vertrauliche Analyse, die das Berliner Institut für Europäische Politik im Auftrag der Bundeswehr verfasste. Darin hieß es, der Kosovo sei ein "polykrimineller Multifunktionsraum". In dem Papier, aus dem die Schweizer Weltwoche im Februar zitierte, heißt es, Drogen-, Menschen- und Waffenhandel seien die einzigen wachsenden Wirtschaftssektoren. Richter und Staatsanwälte würden eingeschüchtert oder bestochen; Angst und Korruption hätten auch die höchsten Ebenen internationaler Organisationen im Kosovo erfasst. Es ist nicht auszuschließen, dass die kosovarischen Behörden nun Rache nehmen.

Nach Angaben aus kosovarischen Regierungskreisen gilt dem BND-Mann Robert Z. besondere Aufmerksamkeit. Als ältester in der Gruppe gilt er als "Chef" der Deutschen. In der Untersuchungshaft will ihn die Polizei jetzt auch zu einem Verbrechen befragen, das deutlich länger zurückliegt.

Im Jahr 2000 wurde in Prizren ein früherer Kommandant der UCK-Rebellen ermordet. Ekrem Rexha, einst bekannt als "Kommandant Drini", wurde erschossen, weil er angeblich über kriminelle Machenschaften bei der UCK während des Kosovo-Kriegs auspacken wollte. Im März 2003 wurde ein früherer UCK-Kampfgenosse wegen Anstiftung zu diesem Verbrechen zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Ranküne kosovarischer Politiker?

Die Behörden in Pristina geben zu erkennen, dass auch der Deutsche Z. mit dem Mord zu tun haben könnte. In Regierungskreisen hieß es, der Hinweis auf die illegalen Aktivitäten des Z. stamme von einem anderen wichtigen EU-Land. "Sonst hätte der Zwergstaat Kosovo die Verwicklung in diese Äffäre überhaupt nicht riskiert", hieß es.

In Berlin bleibt man lieber bei der Theorie, es handele sich hier um eine Ranküne kosovarischer Politiker. Die Festnahme sei ein "Revanchefoul" für Berichte über organisierte Kriminalität. Der BND sei in seinen Analysen meist schonungsloser gewesen als andere Geheimdienste, heißt es. Die Briten hätten doch vergleichsweise "weiche Berichte" geliefert.

Unstrittig ist zumindest, dass die Justiz im Kosovo in einem desolaten Zustand ist. Erst unlängst beklagte auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), es gebe "weitreichende Verstöße gegen das Gebot fairer Verfahren". Auch mische sich die Politik ständig in Verwaltung, Justiz, Polizei und Medien ein.

Die deutsch-kosovarischen Spannungen jedenfalls erklären für sich genommen nicht, wie es zu dieser Eskalation in den Beziehungen beider Staaten kommen konnte. Bis Freitagabend sei sich Berlin mit den Kosovaren noch einig gewesen, dass die Agenten nach Deutschland abgeschoben würden, heißt es in Deutschland. Darüber habe es auch Gespräche mit dem Kanzleramt in Pristina gegeben. Am Samstag sollte ein deutsches Flugzeug in Pristina landen, um die drei Deutschen abzuholen, doch dann mussten sie plötzlich doch in Untersuchungshaft. Der Informationsaustausch ist generell schwierig. Da der Kosovo keinen eigenen Nachrichtendienst besitzt, sind Gespräche unter Kollegen über den Fall kaum möglich.

Kosovo äußerst nervös

Ein weiterer Grund für die Eskalation liegt offenbar darin, dass die Regierung des Kosovo derzeit äußerst nervös ist. Sie liegt im Streit mit dem Westen über die geplante europäische Rechtsstaatsmission Eulex. Deren Ziel ist es, staatliche Organe im Kosovo aufzubauen.

Auf Druck Serbiens allerdings wurde der Auftrag von Eulex eingeschränkt; so soll die europäische Mission künftig nur in den albanisch bewohnten Gebieten des Kosovo operieren; der überwiegend von Serben bevölkerte Teil wäre ausgenommen. Die Kosovaren sind empört über diesen Plan, weil er faktisch wieder eine Teilung des Landes bedeutet. Korrupten Mitgliedern der Regierung wäre es wohl am liebsten, wenn Eulex gar nicht die Arbeit aufnähme, denn Eulex soll schwere Verbrechen und bedeutende Korruptionsdelikte selbst aufklären.

Auf jeden Fall fühlt sich die Regierung in Pristina von Eulex bevormundet. Da trifft es sich vielleicht ganz gut, dass die drei verdächtigen Deutschen der Eulex-Mission zuarbeiten sollten. Pristina hat nun einen weiteren Vorwand, die guten Absichten der europäischen Rechtsstaatsgesandten von Eulex infrage zu stellen.

© SZ vom 25.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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