AfD-Parteitag in Bremen:Luckes einsamer Sieg

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Kann mit dem Ergebnis des AfD-Parteitags zufrieden sein: Bernd Lucke. (Foto: dpa)

Erfolg für das Gesicht der Partei: Die AfD-Mitglieder stimmen für die von Bernd Lucke geforderte Straffung der Parteispitze. Dass er den bisherigen Vorstand - inklusive sich selbst - "stümperhaft" nennt, empfinden viele als Affront. Es gibt tiefe Gräben in der AfD-Spitze.

Von Jens Schneider, Bremen

Es muss nicht immer gut sein, alle Zeit der Welt zu haben. Bernd Lucke bekommt so viel Zeit, wie er sich wünscht an diesem Samstagmittag beim 3. Bundesparteitag der Alternative für Deutschland. 42 Minuten dauert die persönliche Erklärung des Vorsitzenden der AfD. Kein anderer redet so lange, kein anderer darf so lange reden.

Schon das bringt einige gegen Lucke auf, in den hinteren Reihen des Bremer Congress-Zentrums regen sich einzelne Basis-Mitglieder enorm auf: Sind sie denn nicht in diese Partei eingetreten, weil sie endlich gleichberechtigt mitreden wollen? Sollen auch in ihrer jetzt knapp zwei Jahre alten AfD inzwischen einige gleicher sein als andere? Es wird nicht der einzige Unmut bleiben, den Luckes langes Statement auslöst.

Lucke hat diese persönliche Erklärung schon vor Monaten angekündigt. Es soll seine Reaktion auf persönliche Angriffe aus der Partei sein, die er damals weitgehend unkommentiert ließ. Im November hatte der Vorstandskollege Alexander Gauland Lucke einen "Kontroll-Freak" genannt, ihn als einen beschrieben, der alles in der Partei in der Hand haben wolle. Solchen Einschätzungen will Lucke hier nun entgegen treten. Und doch wird dies keine reine persönliche Erklärung.

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Den Kampf um die Parteispitze entscheidet Bernd Lucke am AfD-Parteitag in Bremen für sich. Allerdings sorgt er auch für Gräben innerhalb der AfD-Spitze. Kann Lucke die Partei in eine erfolgreiche Zukunft führen?

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Lucke nutzt die Gelegenheit auch, um den Parteitag in seinem Sinne auf die zentrale Entscheidung vorzubereiten. Er wirbt für die Professionalisierung der Führungsstruktur seiner AfD. Nach seinen Vorstellungen soll die Partei künftig nur noch einen Vorsitzenden haben, und nicht wie bisher drei - derzeit gleichberechtigt Lucke, Frauke Petry aus Sachsen und Konrad Adam aus Hessen.

Spaltung der Partei vermieden

Luckes Wunsch ist umstritten. Um die Jahreswende sah es noch so aus, als könne der Streit darüber die Partei spalten. Das war die Sorge etwa von Gauland, dem einflussreichen Brandenburger Landesvorsitzenden. Durch den Vorstand ging ein Riss, einige üble persönliche Beleidigungen in E-Mails wurden öffentlich. Beinahe im letzten Moment hatten Lucke, Gauland, der stellvertretende Parteichef Hans-Olaf Henkel - ein Lucke-Anhänger - und auch Frauke Petry für diesen Parteitag einen Kompromissvorschlag entwickelt.

Er sieht vor, dass Luckes Wunsch später erfüllt wird. Vorher soll die Partei im November ein Programm beschließen, das einen alleinigen Chef binden würde. So soll sichergestellt sein, dass der Vorsitzende auch den Flügel vertreten würde, dem er nicht angehört. In diesem Punkt trauen seine Kritiker gerade Lucke nicht, doch er gilt als erster Kandidat für den Vorsitz. Also soll es von April an zunächst zwei AfD-Vorsitzende geben.

Lucke erinnert in seiner Erklärung zunächst an Angriffe aus der AfD, "die darauf gezielt waren, mein Ansehen in der Partei zu schmälern". Ihm sei Machtstreben unterstellt worden, klagt er. Das hat ihn arg gekränkt, wo er doch im Gefühl lebt, sich nur für die Sache der AfD aufzureiben wie kein anderer. Von seiner Last der ewig langen Arbeitstage, immer unterwegs zwischen seinem Sitz im EU-Parlament in Straßburg und Brüssel und dem Einsatz für die Partei, wollte Lucke der Basis berichten. Von den kurzen Nächten, und den Zumutungen für seine Familie.

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Erbittert hat die AfD-Spitze im Vorfeld über die künftige Führungsstruktur der Partei gestritten. Zum Auftakt des Parteitags in Bremen mahnen Bernd Lucke und Frauke Petry nun durchaus selbstkritisch einen fairen Umgang und Kompromissbereitschaft an.

Eine Reportage von Jens Schneider

Das war vorher angedeutet worden. Nicht öffentlich, sozusagen im Vertrauen nur gegenüber den fast 2000 Mitgliedern, wollte er davon berichten. Es zeugt von einer gewissen Naivität, dass er an dieser Idee bis kurz vor Beginn des Parteitags festhielt, obwohl Kollegen im Parteivorstand abrieten, weil doch sowieso alles nach außen getragen würde. Lucke könne man nicht beraten, heißt es aus diesem Kreis oft. Jetzt aber verzichtet er auf die Vertraulichkeit und begrenzt seine Aussagen zur Privatsphäre auf Andeutungen.

Dann offenbart er dem Parteitag, warum sich alles ändern müsse: "Der Bundesvorstand arbeitete in den letzten zwei Jahren stümperhaft", sagt Lucke, mehrmals wiederholt er das Wort in seiner Rede: stümperhaft! Und zählt lange auf: So seien Beschlüsse des Vorstands nicht gut vorbereitet oder hinterher gar nicht umgesetzt worden. Die Kommunikation mit der Basis sei mangelhaft gewesen. Arbeitsaufträge aus dem Vorstand seien liegen geblieben. Stümperhaft alles das.

Gut möglich, dass Lucke - wieder einmal - den anderen im Vorstand damit gar nicht zu nahe treten will, und sich später wundern wird, was er da ausgelöst hat. Das soll ihm gelegentlich passieren. Lucke fühle sowas nicht, hört man dazu aus dem Umfeld der Spitze. Er habe da kein Gespür. Aber wie kann er hier glauben, dass die Vorstandskollegen über seine Rede glücklich sind?

Lucke sagt kurz, dass er sich da selbst einbeziehe - um wenig später anzufügen, dass er oft der Ausputzer habe sein müssen, und der Motor, der alles vorantreibt. Noch ein Seitenhieb auf Petry, Gauland oder Adam. Lucke spricht von Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit. "Wir dürfen so nicht weiter machen", mahnt er.

Lucke fordert hauptberuflichen Generalsekretär für die AfD

Die AfD brauche jetzt dringend einen hauptberuflichen Generalsekretär, der die Partei für einen ehrenamtlichen Vorsitzenden führe. Dieser Generalsekretär könne nur einer Person verpflichtet sein. "Denn Loyalität kann man nur gegenüber einer Person hundertprozentig wahren." Gäbe es wie bisher mehrere gleichberechtigte Vorsitzende, so sagt Lucke, würde dies den künftigen Generalsekretär in Loyalitätskonflikte bringen, er könne sie auch gegeneinander ausspielen. "Wenn man nur einen Indianer hat, dann kann man nicht drei Häuptlinge haben."

Er gebe ja zu, sagt Lucke, "dass ich kein geborener Team-Arbeiter bin". Er sagt das in jenem selbstgewissen Ton, den man von Menschen kennt, die auf die Frage nach schlechten Eigenschaften in falscher Bescheidenheit ihre Ungeduld nennen. Bei ihm seien nun mal immer so viele Bälle in der Luft, "dann müssen die Dinge auch erledigt werden". Er wolle vorankommen und entscheiden: "Ich bin der Sache überdrüssig, dass so unglaublich viel Zeit in der Partei auf das Abstimmen und Koordinieren verwendet wird." Zum Ende der Erklärung, die tatsächlich eine politische Rede ist, warnt Lucke: "Die einzig wirkliche Gefahr, die uns droht, geht von uns selber aus."

Die Mehrheit der rund 1700 Mitglieder springt auf, als Lucke fertig ist. Euphorisch applaudieren sie dem Mann, der in dieser Rede von sich selbst sagte, dass er das Gesicht der Partei gewesen sei in diesen ersten zwei Jahren. Aber es gibt einige, auch einige Prominente aus der Spitze, die gar nicht glücklich wirken. Stümperhaft?

Was Frauke Petry an Luckes Rede - und seinem Verhalten - stört

Die Vorstandskollegin Frauke Petry ist erbost, in ihrer Erwiderung drückt sie das zunächst moderat aus: "Lieber Bernd, ich muss ein bisschen von dem relativieren, was du gesagt hast." Dann belehrt sie ihn vor allen Mitgliedern, dass es eine Komponente der Führung sei, die Menschen mitzunehmen. Das Wesen von Politik sei auch nicht immer die schnelle Entscheidung. "Es gehört dazu, sich mit Meinungsverschiedenheiten auseinander zu setzen." So weist sie Lucke in einem heiteren Ton zu Recht, lässt aber inhaltlich keine Zweifel daran, dass er eine Grenze überschritten hat - und ihm jetzt Grenzen setzen will.

Petry erinnert Lucke daran, wie er im letzten Sommer im Europäischen Parlament für Sanktionen gegen Russland stimmte, obwohl es einen gegenteiligen Beschluss der Partei gibt. "Das kann nicht sein", sagt Petry. Ein Schlag wie eine Ohrfeige. Ein Teil der Mitglieder bricht in Jubel aus. Der Brandenburger AfD-Chef Gauland springt auf, schlägt als Zeichen der Zustimmung lange mit beiden Händen auf den Tisch. Luckes Verhalten in der Russland-Frage hatte ihn seinerzeit in Rage gebracht, seither ist das Vertrauen zwischen beiden dahin.

Stümperhaft? Das möchte Gauland, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender ist, für sich nicht gelten lassen. Die zwischenmenschlichen Gräben in der Parteispitze sind schon tief gewesen. Besser wird es nun nicht werden. Konrad Adam, der noch amtierende Ko-Vorsitzende von Lucke und Petry, wirkt empört. Er spricht sogar gegen den mühsam gefundenen Kompromiss des Vorstands. Schon heute gebe es im Vorstand Mitglieder erster und zweiter Klasse. Weil er keinen Parlamentssitz und damit keinen Apparat habe, gehöre er bestenfalls zur zweiten Klasse. Dieses Gefälle würde noch vermehrt, warnt Adam, wenn es nun einen Generalsekretär für den ersten Vorsitzenden geben soll. "Effizienz, Professionalisierung, Geschlossenheit - ich möchte davor warnen, dass diese Begriffe missbraucht werden."

So geht es weiter, und bald fragt man sich, ob Lucke auch eine Schmerzgrenze hat. Da klagt ein Mitglied aus Reutlingen, Lucke habe die nötige Führungseigenschaft fehlen lassen, die Flügel einzubinden: "Verzichten Sie auf diesen Pyrrhussieg zugunsten der Partei!" Ein anderer wirft ihm vor, Lucke riskiere für seinen Plan die Spaltung der Partei, "er riskiert den Bürgerkrieg."

Ein Vertreter aus Baden-Württemberg warnt, dass ein Flügel der Partei sich nicht mehr vertreten fühlen werde, "wenn Herr Lucke zum Alleinherrscher wird". Und der nächste sagt ihm einen narzisstischen Anspruch nach. Es gibt Buh-Rufe für solche Töne, aber auch Applaus, und für einige Minuten sieht es aus, als ob Lucke in dieser Debatte am Scheideweg der AfD auf dem Weg zur Professionalisierung sich selbst ein Bein gestellt hat. Seine Widersacher in der Parteispitze würde das kaum stören.

Deutliche Mehrheit für den Satzungskompromiss

Ein langes Ringen um die Satzung setzt nun ein. Am Nachmittag gibt es eine erste Beruhigung für die Parteispitze. In einer Teil-Abstimmung stimmt eine klare Mehrheit von etwa 80 Prozent für den Satzungskompromiss, den Lucke und seine Kontrahenten ausgehandelt haben. Lucke jubelt, er muss aber noch bis zum Abend warten, bis über die gesamte neue Satzung abgestimmt wird. Inzwischen wird disziplinierter verhandelt.

Immer mehr Mitglieder verlassen den Saal. Aber es braucht für die endgültige Entscheidung eine Zweidrittelmehrheit für die neue Satzung. Um kurz vor 21 Uhr kommt diese Mehrheit zustande, doch sie ist denkbar knapp. 67,5 Prozent der Mitglieder stimmen dafür, 30,9 Prozent dagegen. Nur ein paar Stimmen mehr für die Widersacher und dieser Satzungskompromiss wäre durchgefallen.

So ist die Professionalisierung der Partei, wie Lucke sie wollte, beschlossen. Ist es ein Triumph für ihn? Zäh ist der Parteitag gelaufen, aber dabei sehr ernsthaft um Lösungen gerungen worden. Nach dem peinlichen, arg turbulenten Start vom Freitag bleibt das große Chaos aus. Manche Kritiker beklagen, dass man sich nun, nach sehr kurzer Zeit schon kaum noch von den anderen Parteien unterscheide.

Einige besonders widerspenstige Mitglieder wie der Hamburger Markus E. Wegner, einst Gründer der Statt Partei in Hamburg und wegen seiner vielen Geschäftsordnungsanträge berüchtigt, kündigen am Rande an, dass sie sich wohl zurück ziehen werden. Er ist aufgebracht. In der AfD werden viele seinen Abschied erleichtert aufnehmen. Es ist ein weiterer Preis der Professionalisierung, einer, den sie gern zahlen. Voraussichtlich Ende April will man zunächst zwei neue Vorsitzende wählen, einer der beiden soll die Partei dann ab Dezember führen, vermutlich Lucke. Noch hat er seine Kandidatur nicht erklärt.

Seine Widersacher in der Spitze, die sich nicht als Stümper sehen wollen, werden ihn nach diesem Tag noch kritischer beobachten. "In der Programmdebatte werden wir um jede Position hart ringen müssen", sagt Frauke Petry am Samstagabend zur Süddeutschen Zeitung. "Ich erwarte dann auch, dass der künftige Vorsitzende dieses Programm nach den Vorgaben der Partei voll nach außen vertritt." Das sollen die Leitplanken sein, denen Lucke folgen muss.

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