AfD:Lohn der Wut

Spitzenkandidat Alexander Gauland sieht sich am Ziel: Als mächtigster Mann der AfD hat er alle Versuche blockiert, die Partei zum äußersten rechten Rand hin abzugrenzen. Das Wahlergebnis stärkt ihn.

Von Jens Schneider

Der Traffic-Club liegt am Alexanderplatz mitten in Berlin. Er wirbt für sich als "Party Club im Herzen der Stadt, mit Ausblick auf den Fernsehturm". Draußen stehen am Sonntagabend kurz vor 18 Uhr etwa achtzig Demonstranten hinter Absperrungen der Polizei. Die AfD sei "Rassistendreck", ist da zu lesen. Drinnen kommt in diesen Minuten Euphorie auf, am Rand der mit Rotlicht beleuchteten Tanzfläche des Clubs wartet der Spitzenkandidat Alexander Gauland auf seinen Auftritt. Vor der Bühne stehen Anhänger der AfD, fast ausschließlich Männer. Einer sagt, dies sei ein Tag, auf den er viele Monate gewartet habe. Die AfD-Anhänger zählen von zehn bis eins, bis im Fernsehen auf der Leinwand hinter ihnen die Prognose veröffentlicht wird. Sie ist eindeutig: Die AfD wird drittstärkste Kraft im Bundestag. Sie stimmen die Nationalhymne an. Blaue und weiße Luftballons fliegen von der Decke. "Das ist ein großer Tag in unserer Parteiengeschichte", sagt Gauland, als er kurz darauf auf der Bühne steht. "Wir haben es geschafft. Wir werden dieses Land verändern." Er kündigt an: "Wir werden diese Bundesregierung jagen." Und ruft seinen Anhängern zu: "Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen." Vor der Bühne skandieren seine Parteifreunde: "Gauland, Gauland!" Dieser Tag markiert eine Zäsur in der deutschen Geschichte, und genau das ist es, was bei den Aktivisten der AfD die Euphorie auslöst. Sie haben - so wie der Spitzenkandidat und mächtigste Mann der Partei, Alexander Gauland - seit Monaten alles in ihrem Leben auf diesen Tag ausgerichtet.

Viele in der AfD wirken schon in den Tagen vor diesem Erfolg, als würde dies der glücklichste Tag ihres Lebens, auch der 76-jährige Gauland.

Die AfD ist seit ihrer Gründung im Frühjahr 2013 in 13 der 16 deutschen Landtage eingezogen, aber für ihre Spitzen waren diese Erfolge nur Wegmarken in Richtung Bundestag. Bis auf Ausnahmen kümmern sich ihre Landtagsfraktionen nur wenig um Landespolitik. Die Parlamente nutzen sie als Forum, um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin anzugreifen - polemisch, zugespitzt, auf Schlagzeilen bedacht.

Bundestagswahl

Woher stammt das Geld? Die AfD-Sitzenkandidaten Alexander Gauland und Alice Weidel bei der Wahlparty 2017 in Berlin.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Und weil Gauland seine Partei kennt, schließt er seine Rede mit einem Appell, einer "kleinen Warnung". Der Kampf sei nicht vorbei, sagt er. Man werde versuchen, die AfD in die rechte Ecke zu stellen. "Wenn ihr eurer Freude Ausdruck gebt, gebt ihr vernünftig Ausdruck." Die Anhänger sollten "bitte keine Sprüche" machen, "die uns später auf die Füße fallen".

Schwer vorstellbar, dass sich Parteichefin Petry nun mit einer untergeordneten Rolle abfindet

Begonnen hat alles im Frühjahr vor viereinhalb Jahren, als ein kleiner Kreis von bürgerlichen Konservativen die Gründung der Partei beschloss. Allerdings hat die Partei heute nur noch wenig mit dem gemein, was diesen Zirkel ausmachte. Die Runde um den Ökonomen Bernd Lucke wollte eine Alternative zur Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung anbieten. Sie galt bald als "Professorenpartei" und war stolz darauf. Heute sind die meisten Professoren nicht mehr dabei, erst recht fehlt das Professorale, oft auch das Bürgerliche. An die Stelle von Luckes Reden im Stil eines Proseminars traten Parolen, skandiert auf Parteitagen und Demonstrationen, vor allem eine: "Merkel muss weg!"

Die Symbolfigur der Gründung wurde vor zwei Jahren von der Partei davongejagt. Als zentrale Führungsfigur löste ihn Frauke Petry ab, die schon in der Gründungszeit als gleichberechtigte Vorsitzende die AfD mit aufgebaut hatte. Lucke verließ die Partei, mit ihm gingen etwa 2000 Mitglieder.

Wie zuvor Lucke galt nun Frauke Petry als unersetzliche Führungsfigur der AfD, und war es doch nicht. Bald stieß auch sie in der Führung an ihre Grenzen. Der erfahrene Machtpolitiker Gauland, offiziell nur Parteivize und einst ihr Weggefährte, blockierte Petrys Versuche, die AfD zum äußerst rechten Rand hin abzugrenzen. Im Frühjahr konnte sie noch einen Beschluss im Parteivorstand gegen den Rechtsaußen-Mann Björn Höcke durchsetzen. Er sollte aus der AfD ausgeschlossen werden, Auslöser war seine Dresdner Rede, in der Höcke eine Wende in der deutschen Geschichtspolitik forderte.

Zu diesem Ausschluss kam es aber nicht, das Verfahren plätschert dahin, ganz zur Freude des Höcke-Freunds Gauland. Petry scheiterte schließlich Ende April auf dem Parteitag in Köln mit ihrem vorerst letzten Versuch, in der AfD Linien gegen den Rechtsrutsch zu ziehen. Sie ist immer noch Parteivorsitzende, aber eine Randfigur. Auch sie wird in den Bundestag einziehen, aber sogar ihr sächsischer Landesverband ist mehrheitlich auf Distanz gegangen. Petry ist den äußerst Rechten dort nicht rechts genug. Wie groß ihre Distanz zur restlichen Führungsspitze geworden ist, zeigte ein Interview kurz vor der Wahl. Da zeigte sie Verständnis für bürgerliche Wähler, die sich abgestoßen fühlen von Aussagen der Spitzenkandidaten ihrer Partei, wie etwa jenem Satz von Gauland, der "Stolz auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen" einforderte. Gauland nannte Petrys Kritik hysterisch.

So ein Konflikt hätte einer normalen Partei geschadet, die AfD und ihre Anhänger aber bewegen sich derzeit in einer eigenen Welt, in der es allein um den Erfolg in dieser Bundestagswahl geht.

Das gute Wahlergebnis dürfte Petry nun schwächen, denn es wurde eben ohne die Abgrenzung von ganz rechts erreicht. Es ist an diesem Abend unklar, welche Rolle Petry künftig in der Fraktion haben wird. Ihre parteiinternen Konkurrenten können sich nicht vorstellen, dass die noch amtierende Parteivorsitzende sich im Bundestag mit einer untergeordneten Aufgabe abfinden wird. Sogar über die Gründung einer eigenen Fraktion wird spekuliert. Der mächtigste Mann in der AfD ist seit dem Parteitag Ende April der Potsdamer Gauland. Er war einst in Hessen unter Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) Chef der Staatskanzlei. Gauland versteht sich darauf, nützliche Bündnisse auf Zeit zu schmieden. Er galt einst als feinsinniger Konservativer, war geschätzt als Gesprächspartner auch bei liberalen Medien. Als Politiker treibt ihn die Wut auf die CDU-Chefin Angela Merkel an, das Gefühl, dass er durch deren Modernisierung der CDU seine politische Heimat verlor.

Mit der zweiten Spitzenkandidatin Alice Weidel verbindet ihn die Bereitschaft, für den Erfolg Prinzipien über Bord zu werfen. Auch Weidel wollte eigentlich, im Gegensatz zu Gauland, dass Höcke aus der AfD ausgeschlossen wird. Aber dieser Dissens störte weder Gauland noch Weidel. Die Ökonomin hatte anfangs den Ruf, für eine gemäßigte AfD zu stehen.

Sie sollte den wirtschaftsliberalen Flügel vertreten. Doch Weidel schürte ähnlich radikal Ängste vor Fremden und dem Islam. Das Zweckbündnis der beiden Spitzenkandidaten könnte nach der Wahl schnell sein Ende finden. Als sicher gilt in AfD-Kreisen, dass in der neuen Fraktion die nächsten Wochen und Tage eine Entscheidungsschlacht bringen. Gauland nennt die Partei einen "gärigen Haufen", die Fraktion wird diesen Zustand widerspiegeln. Am Sonntagabend kommt Alice Weidel im Traffic-Club zu wummernder Discomusik auf die Bühne, "Crying at the discotheque" heißt der Song. Draußen werden die Proteste immer lauter, drinnen spricht Weidel von einem fulminanten Wahlergebnis. Mit dem habe sie nicht gerechnet, sagt sie und wählt nun mehrmals das Wort "Demut". Sie richtet sich auch an die künftigen Abgeordneten der AfD. "Nehmen Sie dieses Amt an, mit Demut, mit Sorgfalt", ruft Weidel aus. Sie verspricht eine "vernünftige Opposition" und kündigt an, dass die AfD als Erstes einen "Untersuchungsausschuss Angela Merkel initiieren" werde; der solle sich "ganz dezidiert mit den Rechtsbrüchen dieser Dame beschäftigen". In diesem Ton hatte die AfD auch im Wahlkampf die Kanzlerin wegen der Flüchtlingspolitik und der Euro-Rettung angegriffen, ihr immer wieder vorgeworfen, sie habe Recht gebrochen. Später am Abend taucht auch Petry bei der Wahlparty auf, weitgehend unbemerkt bleibt sie zunächst im Hintergrund. Eine Ansprache an die Basis ist von ihr erst mal nicht zu hören. Der "gärige Haufen" ist einer mit starkem Drall nach rechtsaußen. Dabei werden die relativ gemäßigten Petry-Anhänger in der Minderheit sein. Je mehr Kandidaten es in den Bundestag schafften, desto schwieriger werde es sein, die neue Fraktion zu führen, hieß es aus dem Umfeld des Spitzenteams. Von Gauland hörte man zuletzt, dass nach dem Wahlkampf eine neue Epoche anfangen werde. Man werde sich mäßigen, erklärte er. Das hat er freilich schon oft gesagt. Es kam stets anders.

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