AfD:Die Konflikt-Partei

Lesezeit: 4 min

Einer ganz allein (im Parteivorstand): AfD-Chef Bernd Lucke sieht sich an der Spitze seiner Partei von Gegnern umstellt. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Wo man auch hinschaut, überall herrscht Streit: Kurz vor dem Parteitag könnte die AfD sich selbst zerlegen. Das hat mit einer entscheidenden Frage zu tun: Wie weit nach rechts soll man noch rücken?

Von Jens Schneider

Sehr früh am Montagmorgen ist es, als der Brief des Vorsitzenden die Mitglieder der Alternative für Deutschland in ihren elektronischen Postfächern erreicht. Es ist, wie fast immer bei Bernd Lucke, ein langes Schreiben. Dessen Inhalt bringt Luckes Vertrauter Hans-Olaf Henkel auf eine Formel: Ein Weckruf solle es sein. Lucke bangt um die Existenz der Partei. "Ich bin nicht sicher, dass die AfD in der Form, in der wir sie 2013 gegründet haben, fortbestehen wird", schreibt er. "Es gibt Kräfte in der Partei, die eine andere, radikalere AfD wollen." Er fügt hinzu: "Ich will dies nicht." Jetzt solle der Streit ausgefochten werden bis zum Ende.

Wenn es dafür nach all dem Hin und Her der vergangenen Wochen und Monate noch eines Beweises bedurft hätte, dokumentiert Luckes Brief die tiefe Spaltung der Partei. Einer Partei, hinter der vordergründig eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte liegt - wenn man nur die Zahlen betrachtet: In den zwei Jahren seit der Gründung schlossen sich ihr 21 000 Menschen an, die AfD zog ins Europäische Parlament und fünf Landtage ein. Am Sonntag schaffte sie es in Bremen.

Zum Feiern fand Lucke keine Zeit. Sonntagabend kursierten plötzlich Spekulationen, der Mann, der das Gesicht der AfD ist, wolle sich zurückziehen, eine neue Partei gründen. Die Nachrichten kamen aus der Spitze selbst, wo man kaum noch miteinander redet. Luckes Ko-Vorsitzender Konrad Adam machte die Sache öffentlich. Er gehört wie Lucke zum AfD-Gründerkreis, so wie Alexander Gauland aus Potsdam und Frauke Petry aus Sachsen. Nun treiben diese Gründer ihre Partei immer weiter auseinander. Jede Seite wirft der anderen vor, die AfD zu spalten, die anderen hinausdrängen zu wollen. Luckes Gegner klagen, er wolle aus der AfD eine wirtschaftsliberale Partei machen, die "anschlussfähig zur CDU sein soll", so Gauland. Es gibt keinen, der vermitteln kann. Lucke wolle totale Unterordnung, klagen Widersacher. Er gehe in seinem Machtstreben brutal vor.

Bernd Lucke warnt vor einem deutschnationalen Kurswechsel seiner Partei

Richtig ist in jedem Fall, dass Lucke keine Kompromisslinien mehr sieht. In seinem Brief an die Mitglieder holt er zum großen Schlag aus. "An dem Gerücht ist lediglich wahr, dass ich mir große Sorgen um die AfD mache", schreibt er. "Ich war sehr überrascht, sozusagen die Nachricht meines eigenen Ablebens lesen zu müssen." Lucke klagt über "Karrieristen, Querulanten und Intriganten". Er warnt vor einer "Entbürgerlichung" der AfD, sie verliere Mitglieder aus dem bürgerlichen Lager, die sich abgestoßen fühlen. Er plant für kommenden Montag eine Pressekonferenz. In der Partei sagen manche, dass er mit seinem Rückzug drohen will, falls die AfD ihm nicht komplett folgt. Lucke selbst sagt dazu nichts. Er hat ja seinen Brief geschrieben. "In dieser Form können wir nicht weiter machen", schreibt er darin. In der AfD werden auf allen Ebenen Fehden geführt, inklusive Beleidigungen. Immer mehr, die solche Grobheiten nicht ertragen wollen, ergreifen die Flucht. Hans-Olaf Henkel, der frühere Industriellen-Sprecher, zog sich zurück (wobei er selbst vor bösen E-Mails nicht zurückschreckte, die in der Partei nicht vergessen sind). Unter den Abgeordneten im Europa-Parlament herrscht Streit. In Hessen hat der Landesverband, wieder einmal, nur einen Notvorstand. In Nordrhein-Westfalen traten gerade wieder Vorstandsmitglieder zurück. Eine Kluft trennt Landesverbände im Westen von denen im Osten. Fast überall gibt es Leute, die es kaum aushalten miteinander in derselben Partei. Das hat persönliche, vor allem aber politische Gründe.

Lucke sieht, "vereinfacht gesprochen, zwei sehr unterschiedliche Gruppen von Mitgliedern". Eine will er offenbar loswerden. Sein Lager, wenig verwunderlich, sieht er als Lager der Vernunft. Es kritisiere "wichtige politische Fehlentwicklungen wie den Euro, die Energiepolitik, Bildungspolitik oder Einwanderungsgesetze". Sie akzeptiere aber die wesentlichen gesellschaftlichen Grundentscheidungen der Bundesrepublik. Die andere Gruppe stelle all das in Frage. Sie äußere sich "neutralistisch, deutschnational, antiislamisch, zuwanderungsfeindlich, teilweise auch antikapitalistisch und antiamerikanisch". Diese Leute seien zwar die Minderheit, aber besonders laut. "Es nützt nichts, Konflikte zuzukleistern", warnt er. Der Streit müsse gelöst werden, "auch wenn diese Entscheidung zu Mitgliederverlusten auf der einen oder anderen Seite führen wird".

Dabei dürften beide Seiten aufeinander angewiesen sein. Allein mit der Euro-Kritik hätte Luckes Parteigründung kaum Erfolg gehabt. Im Osten schnitt die AfD so gut ab, weil sie Stimmung gegen Einwanderer und Flüchtlinge machte. Umfragen zeigen, dass diese Themen für sie auch im Westen ziehen. Lucke sah angesichts des Erfolgs gern über das hinweg, was die Parteifreunde im Osten trieben. Nun sind sie ihm zu stark geworden. Nach den Erfolgen bei den Landtagswahlen gingen Frauke Petry in Sachsen und Björn Höcke in Thüringen daran, eine eigene Machtbasis in der Partei aufzubauen und sich bundesweit mit ihresgleichen zu vernetzen. Petry ist viel unterwegs in der AfD, schmiedet Bündnisse.

Lucke will die Kontrahenten am liebsten loswerden. Zuletzt legte er dem thüringischen AfD-Chef Höcke den Parteiaustritt nahe. Die Mitbegründer Gauland, Petry und Adam will er offenbar nicht im neuen Vorstand, der Mitte Juni gewählt werden soll. Doch die wollen nicht klein beigeben. Die Kräfteverhältnisse sind unklar. Der Parteichef glaubt, dass die Mehrheit in der AfD hinter ihm steht. Die Abstimmungen an der Basis, etwa über die Leitlinien der AfD, zeigten, dass seine gemäßigte Position von den meisten unterstützt werde. An die Parteibasis hat er auch seinen Brandbrief gerichtet. Aber warum wartet er nicht in Ruhe den Parteitag im Juni ab?

Dort werden von den Landesverbänden entsandte Delegierte entscheiden. Lucke weiß, dass oft Gegner seines Flügels nominiert worden sind. Selbst wenn er zum alleinigen Vorsitzenden gewählt werden würde, müsste er damit rechnen, von Gegenspielern wie Frauke Petry im Vorstand umstellt zu werden. Ihr aber traut er nicht mehr. Das Hauen und Stechen dürfte weitergehen. Es brauche jetzt die Entscheidung, schreibt Lucke am Montag. Die AfD werde sich "sonst in einem ständig schwelenden und immer wieder aufflackernden Streit über Monate oder Jahre hin" zerreiben. Wenn es überhaupt so lange dauert.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: