Äußerungen von Papst Franziskus zur Sexualität:Wende von großer Tragweite

General Audience in the Vatican

Papst Franziskus bei einer Generalaudienz im Vatikan: Erst ein halbes Jahr im Amt, hat er die katholische Kirche bereits verändert.

(Foto: dpa)

"Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben": In einem Interview stellt Papst Franziskus das Selbstverständnis der katholischen Kirche infrage. Schwulen und Lesben solle mit Respekt begegnet werden, Geschiedenen mit Barmherzigkeit und Frauen, die abtreiben, mit Anteilnahme. Ein halbes Jahr ist Franziskus nun im Amt, schon jetzt hat er viel verändert.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Am Montag, den 19. August, stellte Antonio Spadaro, Chefredakteur der italienischen Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica, das Aufnahmegerät an. Eigentlich, sagte ihm sein Gegenüber, lägen ihm solche Interviews nicht. Lieber rede er frei von der Seele weg. Das hat Papst Franziskus, der Interviewpartner Spadaros, dann auch getan. Was er sagte, ist eine Befreiung für die katholische Kirche. Es ist die Befreiung aus der ewigen Gefangenschaft einer merkwürdigen Sexualfixierung, die diese katholische Kirche über Jahrzehnte hinweg gelähmt hat.

Der Papst hat nicht geändert, zurückgenommen oder geleugnet, was die katholische Kirche über Sexualität außerhalb der Ehe, über künstliche Verhütung oder Homosexualität sagt; das war auch gar nicht seine Absicht. Nach wie vor wird man also mit ihm und überhaupt den Vertretern des katholischen Lehramts trefflich darüber streiten können, ob es der Schöpfungsordnung Gottes entspricht oder nicht, wenn Schwule respektive Lesben miteinander schlafen oder eine Frau die Pille nimmt.

Aber Franziskus rückt die Maßstäbe zurecht: Dies sind zweitletzte Fragen. Nicht auf sie soll sich die Kirche konzentrieren, sondern auf die Menschen, die ihnen da begegnen. Sie soll Schwulen und Lesben mit Anstand und Respekt begegnen, Geschiedenen, die wieder heiraten, mit Barmherzigkeit, Frauen, die abtreiben, mit Anteilnahme. "Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben", sagt der Papst, und dass die Kirche zuerst die Wunden und Verletzungen der Menschen zu heilen habe, statt sie moralisch zu kategorisieren.

Wende von großer Tragweite

Das klingt außerhalb der katholischen Kirche selbstverständlich, geradezu banal. In dieser Kirche, die immerhin die größte Glaubensgemeinschaft der Welt ist, ist dies aber eine Wende von großer Tragweite. Vor allem unter Papst Johannes Paul II. wirkte diese Kirche manchmal so, als sei Jesus am Kreuz gestorben, damit Schwule und Lesben enthaltsam leben, katholische Paare natürlich verhüten und Frauen niemals Priester werden. Als ob der Rand der Morallehre der Kern des Glaubens sei. Schon Benedikt XVI. hatte dies vorsichtig geändert, ohne aber den Mut zur offenen Korrektur zu finden. Den hat nun sein Nachfolger gefunden. Franziskus hat mit diesem Interview ein Fenster in seiner Kirche aufgerissen, wie 1959 Johannes XXIII., als er völlig überraschend ein Konzil einberief und seine Kirche aus der damaligen Erstarrung befreite.

Ein halbes Jahr ist Franziskus nun im Amt, schon jetzt hat er die katholische Kirche verändert, denn kaum woanders sind die Worte eines einzelnen Menschen an der Spitze so wirkmächtig wie hier. Es ist eine Kirche, in der noch das Alte und das Neue nebeneinander stehen - wenn zum Beispiel Gerhard Ludwig Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, den Streit um die Lebens- und Amtsführung des Limburger Bischofs als "Lügengebäude" der Medien abtut. Doch das Alte wird so nicht bleiben können. Lange nicht mehr war die katholische Kirche so spannend wie jetzt.

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