Äthiopien:Friedensgeste am Horn von Afrika

Es ist einer der bittersten Konflikte der Kontinents: der Grenzstreit zwischen Äthiopien und Eritrea. Jetzt macht der neue Premier in Addis Abeba dem Nachbarland überraschend ein Versöhnungsangebot.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Es gibt Kriege, die um Öl geführt werden oder andere Reichtümer, um den Zugang zum Meer oder die Vorherrschaft in einer Region. Und dann gibt es den Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea, der gute Chancen hat, als einer der sinnlosesten in die Geschichte einzugehen. Er brach aus, weil sich beide Staaten 1998 nicht einig waren, wem das Örtchen Badme gehört. Badme ist ein lächerliches Kaff mit tausend Einwohnern inmitten einer heißen Ebene, dessen einzige und unbegrenzte Ressource seine Trostlosigkeit ist. Darum kämpften die beiden Staaten erbittert, im Krieg starben etwa 100 000 Menschen, und er trieb eine Million in die Flucht aus ihrer Heimat.

Im Jahr 2000 schlossen die beiden Nachbarn Frieden, zwei Jahre später urteilte eine internationale Kommission, dass Badme und ein paar andere Grenzstreifen zu Eritrea gehören sollten, was Äthiopien fast zwanzig Jahre lang nicht anerkannte; seine Truppen ließ es in Badme stationiert. Immer wieder gab es Scharmützel zwischen den Erzfeinden, immer wieder stand die Region vor einem neuen Krieg. So schien es auf ewig weiterzugehen. Auf beiden Seiten hatten die Sturköpfe das Sagen.

In seinem Verfolgungswahn trieb das eritreische Regime etliche Bürger in die Flucht nach Europa

Am Dienstagabend aber kündigte Äthiopiens neuer Ministerpräsident Abiy Ahmed plötzlich an, das Kaff Badme zurückgeben zu wollen und auch den Rest der Grenzziehung zu akzeptieren. Einfach so, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Beginn des Konflikts, der das Leben in beiden Ländern seither prägte. Äthiopien und Eritrea bauten riesige Armeen auf und schränkten die demokratischen Rechte ein. Es durfte keine sogenannten Feinde im Inneren geben, wenn der äußere der Nachbar ist.

Äthiopien: Auf neuem Kurs: Äthiopiens neuer Ministerpräsident Abiy Ahmed tritt im In- und Ausland als entschlossener Reformer auf. Zuletzt ließ er tausende politische Gefangene frei und beendete den Ausnahmezustand im Land.

Auf neuem Kurs: Äthiopiens neuer Ministerpräsident Abiy Ahmed tritt im In- und Ausland als entschlossener Reformer auf. Zuletzt ließ er tausende politische Gefangene frei und beendete den Ausnahmezustand im Land.

(Foto: Ashraf Shazly/AFP)

Vor allem Eritrea steigerte sich in einen Verfolgungswahn hinein, es unterdrückt jegliche Opposition und freie Meinungsäußerung, zwingt alle Bürger zu einem mehrjährigen Militärdienst, der Hunderttausende Menschen als Flüchtlinge nach Europa trieb - mit einer Anerkennungsquote von fast 100 Prozent in Deutschland. Eritrea war bisher das afrikanische Nordkorea. Die Rückgabe der okkupierten Gebiete ist für das Regime einerseits ein großer Erfolg. Andererseits käme ihm mit dem Frieden auch die Staatsräson abhanden. Noch gibt es keine offizielle Reaktion aus der eritreischen Hauptstadt Asmara auf die Offerte aus dem Süden.

Es wäre das Ende eines Konflikts, der oft als "großer Bruder gegen kleinen Bruder" beschrieben wurde. Denn letztlich kämpften enge Verwandte gegeneinander, eine Volksgruppe, die auf der äthiopischen Seite Tigray heißt und auf der eritreischen Tigrinya. Es war eine Familie, die ihr Leben viele Jahrzehnte in unterschiedlichen Staatsgebieten verbrachte. Äthiopien war als einziges Land in Subsahara-Afrika nie wirklich kolonisiert worden und ist bis heute ziemlich stolz darauf. In Eritrea war es genau anders herum, dort sah man sich überlegen, eben weil man eine italienische Kolonie gewesen war, mit europäischen Bildungseinrichtungen und der modernen Hauptstadt Asmara.

Nach dem Ende der Kolonialzeit wurde Eritrea dann dem Kaiserreich Äthiopien zugeschlagen. Es folgte ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg, der in Äthiopien gegen das kommunistische Regime geführt wurde und in Eritrea um die Unabhängigkeit, die 1993 vollzogen wurde. In allem Einvernehmen - es gab eine gemeinsame Währung, Eritrea gewährte dem Nachbarn Zugang zum Meer.

Es gibt viele Erklärungsversuche, warum fünf Jahre später der blutige Krieg ausbrach. Es geht um Stolz, Meereszugang und die Währung. Letztlich war es wohl vor allem so, wie es viele Äthiopier heute scherzhaft zusammenfassen: "Zwei Glatzköpfe kämpfen um ein Grab."

Sie meinen damit die langjährigen Präsidenten von Äthiopien und Eritrea, Meles Zenawi und Isayas Afewerki. Beide hatten zusammen gegen die kommunistischen Unterdrücker gekämpft, beide waren Christen aus Tigray und sollen sich zeitweise recht nahegestanden haben. Dann gerieten sie über ein Wüstenkaff namens Badme aneinander.

Seitdem sind aus Brüdern Erzfeinde geworden. Ein Konflikt, der wohl erst jetzt gelöst werden kann, da in Äthiopien seit zwei Monaten erstmals kein Tigray mehr an der Macht ist, der den Konflikt als persönliche Kränkung betrachtet, sondern in Abiy Ahmed ein Vertreter der Gruppe der Oromo, dem es offensichtlich leichterfällt nachzugeben.

Die große Frage ist nun, wie Isayas Afewerki in Eritrea auf das Angebot reagieren wird. Sechzehn Jahre lang hatte er den UN-Sicherheitsrat gedrängt, den bindenden Richterspruch der Gebietskommission gegenüber Äthiopien durchzusetzen, ohne jeglichen Erfolg. Vor allem den USA war das große Äthiopien wichtiger. Das kleine Eritrea zog sich in die Isolation zurück, aus der es womöglich schwer wieder herauskommt.

"Ich glaube nicht, dass Präsident Isayas positiv reagieren wird, da der feste Griff, in dem er sein Land hält, ja darauf basiert, dass Eritrea eine ständige Bedrohung seiner Sicherheit durch Äthiopien befürchtet", sagte Ahmed Soliman von der Forschungseinrichtung Chatham House der FT. Der neue Frieden ist ein einseitiger.

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