Ärzte ohne Grenzen über Syrien:"Medizin als Mittel der Verfolgung"

Im Kampf gegen syrische Oppositionelle scheint das Assad-Regime vor kaum einer Brutalität mehr zurückzuschrecken. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichtet, dass Verwundete und sie behandelnde Ärzte Gefahr laufen, verhaftet und gefoltert zu werden. Die Protesthochburg Homs steht weiter unter Dauerbeschuss.

Mit aller Macht versucht das syrische Regime, den Willen der Aufständischen zu brechen. Die Protesthochburg Homs steht unter Dauerbeschuss. Bei Angriffen auf die Viertel Bajada, Baba Amr, Chaldije und Karm el-Sejtun seien mindestens 53 Menschen getötet worden, berichtete die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Auch aus der nördlichen Provinz Idlib, dem Umkreis der südlichen Stadt Daraa und Sabadani wurden Kämpfe gemeldet.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen berichten von neuen Gräueltaten: Assads Schergen sollen sogar Ärzte gezielt ins Visier nehmen und gezielt gegen verwundete Demonstranten vorgehen. Das geht aus Aussagen von Ärzten in Syrien sowie von Verwundeten, die außerhalb Syriens medizinisch versorgt werden, hervor, die Ärzte ohne Grenzen in einem Bericht zusammengefasst und nun in Paris vorgestellt hat.

"In Syrien werden verwundete Patienten und Ärzte verfolgt. Sie sind in Gefahr, durch Sicherheitskräfte verhaftet und gefoltert zu werden", sagt Marie-Pierre Allié, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen in Frankreich. "Medizin wird als Mittel der Verfolgung eingesetzt."

Die meisten Verwundeten berichten, dass sie aus Furcht vor Verhaftung und Folter keine öffentlichen Krankenhäuser aufsuchen. Falls doch, werden manchmal falsche Namen verwendet, um die Identität zu verschleiern. Ärzte stellen mitunter bewusst falsche Diagnosen, damit die Patienten den Sicherheitskräften entkommen, die gezielt nach Verwundungen suchen, die Demonstranten oft aufweisen.

Ärzte werden verhaftet

Die Verletzten geben an, größtenteils an geheim gehaltenen Orten behandelt zu werden. Auf diesem Wege versuchen Ärzte ihrer Verpflichtung nachzukommen, den Menschen medizinisch zu helfen. Improvisierte Kliniken sind etwa in Wohnungen und auf Bauernhöfen errichtet worden. Wohnräume wurden zu provisorischen Operationssälen umfunktioniert.

In diesen als "mobile Krankenhäuser" bekannten Einrichtungen sind die hygienischen Bedingungen und die Möglichkeiten, Instrumente zu sterilisieren, begrenzt. Die Vorräte an Narkosemitteln sind knapp. Dazu kommt, dass allein der Besitz von Medikamenten und einfachem medizinischem Material wie Mullbinden als ein Verbrechen angesehen wird. "Die Sicherheitskräfte greifen die mobilen Kliniken an und zerstören sie", sagte ein Arzt, der anonym bleiben will. "Sie dringen in Häuser ein und suchen nach Medikamenten und medizinischem Material".

BBC-Reporter Paul Wood, einer der wenigen Journalisten, die derzeit aus Syrien berichten, beschreibt, welche Auswirkung der Dauerbeschuss auf die Menschen in Homs hat: "Es herrscht eine Art Hysterie hier. Die Menschen sind absolut panisch. Es gibt alle möglichen Gerüchte - wir hörten Leute sagen, die Armee komme, die Armee nutze chemische Waffen. Die Menschen sind außer sich."

Wood berichtet von Granatenbeschuss und Scharfschützen. "Sie scheinen absichtlich auf Zivilisten zu zielen", schreibt er weiter. Was immer die syrische Armee beabsichtige, es sei offensichtlich, dass Zivilisten die Hauptlast der Kämpfe tragen müssten.

Ein Bewohner von Baba Amr in Homs berichtete der BBC, dass auch die Granatenattacken völlig unterschiedslos stattfänden. "Jedes Haus in Baba Amr ist ein Ziel", sagte er. "Man muss Glück haben, um zu überleben." Anderen unbestätigten Berichten zufolge sollen regierungstreue Milizen von Haus zu Haus gehen und die Bewohner wahllos töten, schreibt die BBC.

In der südlichen Provinz Daraa haben regimetreue syrische Truppen unterdessen nach Angaben von Aktivisten eine Offensive gegen fahnenflüchtige Soldaten gestartet. Wie der Nachrichtensender al-Arabija unter Berufung auf das oppositionelle syrische Medienzentrum der Protesthochburg berichtete, gingen die Streitkräfte in mehreren Regionen ähnlich massiv gegen Regimegegner vor, wie in der seit Tagen heftig umkämpften Stadt Homs. Da die Gefechte andauerten, war die Zahl der Opfer den Angaben nach zunächst unklar.

Arabische Liga zieht Beobachter ab

Die USA sagten, nach dem Veto Russlands und Chinas gegen eine UN-Resolution verfügten sie über keine Mittel, um das Töten in Homs zu stoppen. Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte der BBC, es sei unrealistisch, zu erwarten, dass kurzfristig etwas gegen die Gewalt unternomen werden könne, aber dass die USA immer noch auf eine politische Lösung hofften.

Ärzte ohne Grenzen über Syrien: Gefährliche Arbeit? Ärzte ohne Grenze zufolge schon. Ein Arzt versorgt einen Verwundeten im syrischen Homs.

Gefährliche Arbeit? Ärzte ohne Grenze zufolge schon. Ein Arzt versorgt einen Verwundeten im syrischen Homs. 

(Foto: AP)

Die Arabische Liga forderte angesichts der anhaltenden Gewalt ihre Beobachter auf, Syrien zu verlassen. Das bestätigte ein Mitarbeiter der Liga in Kairo. Der Leiter der Beobachtermission, Mohammed al-Dabi, und sein Stab sollen jedoch vorerst noch in Damaskus bleiben. Die Beobachtermission war wegen der andauernden Gewalt bereits Ende Januar ausgesetzt worden.

Trotzdem hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit Präsident Assad am Dienstag noch erklärt, die Beobachtermission solle ausgeweitet werden. Einen Tag nach einem Treffen mit Assad in Damaskus sagte Lawrow, der Präsident habe seinen Vizepräsidenten Faruk al-Scharaa beauftragt, Reformen umzusetzen, Kontakt mit allen Oppositionsgruppen zu halten und einen nationalen Dialog zu organisieren. Diesem Dialog dürfe die Weltgemeinschaft nicht vorgreifen, forderte Lawrow. Russland hatte am Samstag zum zweiten Mal mit einem Veto eine Resolution gegen das Assad-Regime verhindert.

Die EU plant unterdessen, das syrische Regime mit einer Verschärfung ihrer Sanktionen zum Ende der Gewalt gegen die Opposition zu drängen. Erwogen würden ein Verbot kommerzieller Flüge nach Europa sowie das Kappen der Geschäfte mit der syrischen Zentralbank, sagte ein hoher Mitarbeiter des diplomatischen Dienstes der EU in Brüssel. Auch ein Einfuhrverbot für Phosphate werde geprüft.

Entscheidungen könnten auf dem nächsten Treffen der EU-Außenminister am 27. Februar fallen. Die EU hat schon ein Öl-Embargo gegen Syrien sowie Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Dutzende Regimeangehörige verhängt.

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