Korruption:Dr. Müller-Pharma

Die Einstellung vieler Mediziner zum Thema Korruption ist dringend behandlungsbedürftig. Schon als Studenten wurden sie von Big Pharma gepäppelt, auch später bleiben Pharmavertreter ihre treuen Begleiter.

Kommentar von Christina Berndt

Sie nennen sich "forschende Arzneimittelhersteller". Aber mit der Forschung ist es oft gar nicht so weit her. Weit mehr als Innovation zählt in der Pharmabranche die Vermarktung. Drei Milliarden Euro gibt zum Beispiel Bayer pro Jahr für Forschung aus, aber neun Milliarden für Vertrieb und Marketing. Und da Pharmafirmen ihre verschreibungspflichtigen Medikamente nicht direkt an die Patienten bringen dürfen, richten sie ihre Überzeugungskraft vor allem auf die Ärzte, als Herrscher über die Rezeptblöcke.

Gerade erst haben Recherchen unter anderem der Süddeutschen Zeitung das Ausmaß einer hinterlistigen Art der Einflussnahme ans Licht gebracht: "Anwendungsbeobachtungen". Jedes Jahr zahlen Pharmafirmen mehr als 100 Millionen Euro an Ärzte, wenn diese das gewünschte Medikament verschreiben und in Pseudo-Studien dessen Wirkung auf ihre Patienten erfassen.

Eines aber ist noch unklar: wer die Ärzte genau sind, die sich an den meist belanglosen "Studien" beteiligen. Hat Doktor Müller nicht vor Kurzem angeregt, man solle es einmal mit anderen Tabletten versuchen, obwohl die alten gut wirkten? Wer als Patient solchen Verdacht schöpft, kann nicht überprüfen, ob sein Arzt am Pharma-Tropf hängt. Gewiss ist nur, dass es hinter dem Rücken von Patienten Verflechtungen gibt, die die Behandlung empfindlich beeinflussen können.

Wer weiß das schon: Doktoren bekommen Geld von der Industrie

In den USA erhellt dagegen seit 2014 ein Gesetz namens "Sunshine Act" die Beziehungen zwischen Industrie und Therapeuten. Sämtliche Zuwendungen von Pharmafirmen an Ärzte müssen veröffentlicht werden, auch Kleinstbeträge. Auf den ersten Blick planen die Mitglieder des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Deutschland Ähnliches vom kommenden Juni an. Aber dem Sonnenschein werden die Ärzte damit nicht ausgesetzt, allenfalls dem Halbschatten: Unter Berufung auf den Datenschutz werden Namen von Ärzten nur dann veröffentlicht, wenn diese zustimmen.

Die Ausgaben der Industrie für Forschung sollen ohnehin nur pauschal angegeben werden. Welcher Arzt wie viel bekommt und um was für eine "Forschung" es sich jeweils handelt, soll ein Geheimnis bleiben. Müßig zu erwähnen, dass die Firmen auch Marketing-Studien als Forschung verstehen.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, fordert, dass Pharmakonzerne nur noch mit Ärzten zusammenarbeiten, die einer Veröffentlichung ihres Namens zustimmen. Die Forderung ist richtig - auch wenn viele Ärzte das nicht einsehen. Die Einstellung vieler Mediziner in Deutschland zum Thema Korruption ist dringend behandlungsbedürftig. Schon als Studenten wurden sie von Big Pharma gepäppelt, nach der Approbation bleiben Pharmavertreter ihre treuen Begleiter, und selbst die Fortbildung liegt fest in den Händen der Industrie. Doch die meisten Ärzte sehen darin nichts Schlimmes, wie Analysen immer wieder gezeigt haben: Manche glauben, Fakten von Werbung unterscheiden zu können. Andere halten sich schon deshalb für unabhängig, weil sie doch von fast allen Pharmafirmen Geld bekommen. So setzt sich eine ganze Zunft dem Generalverdacht aus.

Nur harte Daten können da Abhilfe schaffen. Deshalb sollten Medizin und Industrie ein Interesse an echter Transparenz haben. Denn sie schafft das Bewusstsein für eine grundlegende Erkenntnis: Ein Arzt sollte kein Geld von Pharmafirmen nehmen. Deren vorrangiges Interesse deckt sich nicht unbedingt mit dem Interesse des Patienten. Die Einflussnahme der Industrie auf die Ärzte muss weniger werden. Eine vertrauenswürdige Medizin braucht pharmaunabhängige Fortbildungen, freie Forschung - und am besten auch ein Zertifikat für Ärzte, die ohne Interessenkonflikte arbeiten.

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