Änderung der EU-Verträge:Merkel lässt Cameron zappeln

Merkel empfängt Cameron

Der britische Premier Cameron (l.) will eine Reform der EU. Kanzlerin Merkel will das nicht ausschließen, verfolgt aber auch eigene Interessen.

(Foto: dpa)

Der britische Premier Cameron will eine Reform der EU, die Kanzlerin die Briten in der Gemeinschaft halten. Ein Kompromiss ist durchaus möglich, aber Merkel wartet ab - nicht ohne Hintergedanken.

Kommentar von Nico Fried

Schöner hätten sich die unterschiedlichen Temperamente nicht zeigen können: David Cameron sprach entschieden, unmissverständlich und ohne Rücksicht auf Verluste, Angela Merkel ausweichend, lavierend und bewusst an der Sache vorbei. Es ging in der Pressekonferenz um die Frage, ob Fifa-Boss Sepp Blatter gehen solle. Cameron ist dafür, Merkel vielleicht. Der britische Premier weiß, was er will, Merkel wahrscheinlich auch, aber sie sagt es nicht. Damit freilich ist auch die Ausgangslage in der Diskussion über eine Reform der Europäischen Union exakt beschrieben.

Cameron ist auf Tour durch die Hauptstädte des Kontinents. Er will die EU verändern, weil er nur so eine Chance sieht, die Briten für ein Ja zum Verbleib in der Gemeinschaft zu gewinnen - und weil er Mitschuldige braucht, wenn die Sache schiefgehen sollte. Das wären dann all jene, die sich seinen Wünschen verweigern. Merkel hat sich alles angehört und dann in aus ihrer Sicht zu diesem Zeitpunkt größtmöglicher Konkretion gesagt, wo ein Wille sei, sei auch ein Weg.

Unterstützung gegen Abrüstung

Diese abwartende Haltung war zu erwarten. Und das nicht nur, weil noch nie jemand auf die Idee gekommen wäre, an Merkels Politikstil Voreiligkeit zu konstatieren. Vielmehr wird es vor allem in wirtschaftlichen Fragen manches geben, was sie für richtig halten dürfte. Ihre Unterstützung aber wird sie insbesondere gegen eine Abrüstung Camerons bei dessen harter Haltung gegen die Freizügigkeit in der EU tauschen wollen, für die Merkel selbst das Verständnis fehlt, aber auch einer großen Mehrheit in der deutschen Politik - jedenfalls soweit diese Freizügigkeit nicht mit Sozialleistungen verbunden ist. Doch die Mobilität grundsätzlich einzuschränken wäre keine Reform einer Regel, sondern das Ende eines Grundgedankens der europäischen Integration.

Merkel will Großbritannien in der EU halten, genau so wie sie Griechenland im Euro halten will. Mindestens in einem Fall tut sie das aus voller Überzeugung. Hinzu kommt freilich auch, dass die Kanzlerin kaum als diejenige in die Geschichte eingehen will, die das Europa, das sie von Helmut Kohl und Gerhard Schröder geerbt hat, nicht beisammenhalten konnte. Da würde ihr auch der berechtigte Hinweis nicht helfen, dass die Vorgänger zwar historische Chancen zu Vertiefung und Erweiterung des Friedensprojekts EU genutzt haben, sich aber wenig kümmerten um all das Kleingedruckte, das nun zur Großbaustelle Europa geführt hat. Wohl noch nie hatte ein deutscher Regierungschef eine so starke Stellung in der EU. Wäre das Ergebnis dieser Führung der allmähliche Zerfall Europas, dann wäre auch Merkel gescheitert.

Merkels Pragmatismus ist eine Qualität

Cameron wiederum hat mit Merkel schon einschlägige Erfahrungen gemacht. Wenn der Premier besonders hart auf den Tisch haut, verrückt die Kanzlerin gerne mal die Möbel. Zuletzt war das bei der Berufung von Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der EU-Kommission zu beobachten. Camerons Widerstand gegen den Luxemburger zerfiel unter dem Druck des Parlaments und unter tätiger Mithilfe der deutschen Kanzlerin, obwohl sie selbst Vorbehalte gegen Juncker hatte. Merkels Pragmatismus, in der Innenpolitik gelegentlich an Opportunismus grenzend, ist in europapolitischen Fragen eine Qualität, weil Europa ohne Kompromiss nicht existieren kann.

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