Ägyptische Gastarbeiter in Libyen:Flucht aus der Hölle

Beschimpft und beraubt: Die ägyptischen Gastarbeiter haben in Libyen schlimme Tage hinter sich, immer wieder wurde ihnen vorgeworfen, die Unruhen mit der Revolution in ihrem Land provoziert zu haben.

Karin El Minawi und Sarah Mersch

Mahmoud Abdelaziz sitzt auf einem zusammengefalteten Teppich in der Ankunftshalle des Kairoer Flughafens, er atmet tief durch. "So riecht Freiheit", sagt der 30-jährige Ägypter. Vor einer Stunde ist er aus Libyen angekommen. Der Teppich und ein großer Koffer sind die einzigen Gepäckstücke, die er mitgebracht hat, seine restlichen Sachen musste er zurücklassen. Zwölf Stunden hat er am Flughafen in Tripolis gewartet, bis er einen Platz auf einem der 40 Flüge bekam, die nun täglich nach Kairo gehen. "Es war die reinste Qual, wir hatten kein Essen, kein Wasser", sagt Mahmoud Abdelaziz.

Ägyptische Gastarbeiter in Libyen: Im tunesischen Flüchtlingslager Ras Ajdir wird versucht, die Weiterreise der Flüchtlinge zu organisieren.

Im tunesischen Flüchtlingslager Ras Ajdir wird versucht, die Weiterreise der Flüchtlinge zu organisieren.

(Foto: AP)

Die ägyptischen Behörden bemühen sich seit Tagen darum, die in Libyen und Tunesien gestrandeten Ägypter zurück in ihre Heimat zu bringen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat an der tunesisch-libyschen Grenze ein Auffanglager für die Flüchtlinge aufgebaut und versucht deren Weiterreise zu organisieren. Doch das dauert: In Libyen lebten wohl fast 1,5 Millionen Ägypter. Eine genaue Zahl gibt es nicht. Bis Sonntag konnten nach Angaben des ägyptischen Außenministeriums 147.000 Ägypter in ihre Heimat gebracht werden.

Das libysche Volk rebelliert nun seit mehr als zwei Wochen gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi, der gewaltsam gegen die Regimegegner vorgeht. Seit Beginn der Unruhen versuchen die Gastarbeiter Gaddafis Gewalt zu entfliehen. Die ägyptischen Behörden haben Flugzeuge und Schiffe geschickt, auch Deutschland und andere europäische Nationen beteiligen sich an den Rettungsaktionen.

Mahmoud Abdelaziz lebte mehr als vier Jahre in Tripolis, seine Heimat Ägypten hatte er bald nach seiner Hochzeit verlassen. Dort hatte er, wenn es gut lief, einen Job auf dem Bau für zwei Wochen im Monat und verdiente umgerechnet 75 Euro. Zu wenig, um seine sechsköpfige Familie zu ernähren, deshalb ging er nach Libyen. Dort verdiente er als Bauarbeiter monatlich 500 Euro. Seine Ausgaben waren gering, mit zwölf Bekannten wohnte er in einer Drei-Zimmer-Wohnung. Seiner Familie schickte er regelmäßig Geld. Bis die Unruhen ausbrachen. Abdelaziz ist froh, wieder in Ägypten zu sein, weiß aber nicht, wovon er nun seine Familie ernähren soll. Im Land gibt es nach wie vor zu wenig Jobs. "Wenn sich die Lage in Libyen beruhigt, dann fahre ich wieder hin. Dort gibt es wenigstens Arbeit", sagt er.

Ahmed Hassan sieht das anders. "Keine zehn Pferde bekommen mich zurück nach Libyen", sagt der 32-jährige Ägypter. Der seit mehr als zehn Jahren in Tripolis lebende Stahlarbeiter verdiente monatlich umgerechnet 600 Euro - in Ägypten war er arbeitslos. Nach Beginn der Unruhen wurde er mit seinen sechs Mitbewohnern aus der Zwei-Zimmer-Wohnung geworfen. Auf dem Weg zum Flughafen griffen libysche Sicherheitsleute ihn auf. Sie brachten ihn mit verbundenen Augen und Händen auf eine Polizeistation, wo er mehrere Stunden verhört wurde. "Es war die reinste Hölle."

"Gott wird sich schon um uns kümmern"

Immer wieder sei ihnen vorgeworfen worden, durch die Revolution in Ägypten die Unruhen in Libyen provoziert zu haben und mit Drogen zu handeln, sagt der Vater zweier Kinder. Zwei Tage verbrachte er in einer Gefängniszelle, dann wurde er mit 15 anderen Ägyptern in der Wüste ausgesetzt - nachts, ohne Gepäck, ohne Geld. Auch die Schuhe nahmen sie ihm weg, ließen ihm nur seinen Pass. Nachdem er den Flughafen von Tripolis erreichte hatte, wartete er 24 Stunden, bis er in die Heimat fliegen durfte. "Gott wird sich schon um uns kümmern", sagt er erschöpft. Währenddessen landen weitere Maschinen aus Tripolis. Mehrere hundert junge Männer strömen in die Ankunftshalle mit schweren Bündeln, Koffern, Decken, Teppichen und ihren Geschichten über ihre Flucht aus Libyen. Viele tausend andere haben es aber noch nicht so weit geschafft.

Eine schnurgerade schmale Asphaltstraße führt von der libysch-tunesischen Grenze zum Flüchtlingslager Choucha, gut vier Kilometer vom Grenzposten Ras Jdir entfernt. Einige hundert Flüchtende gehen die Strecke zu Fuß, in der prallen Sonne schleppen sie Koffer, Sporttaschen und Kartons über den sandigen Seitenstreifen. Die meisten von ihnen kommen aus Asien, aus Bangladesch, Vietnam und Pakistan. Sie haben in Libyen gearbeitet.

"Ich habe gar nichts"

Mijamer Rahman ist müde, aber erleichtert, dass er es endlich nach Tunesien geschafft hat. Für die indische Firma Simplex hatte er ein Jahr in Tripolis auf einer Baustelle gearbeitet. Als die Gefechte ausbrachen, versuchte er zu fliehen. Nachdem er eine Woche lang in seiner Wohnung festsaß, gelang es dem jungen Mann in der abgerissenen Sportjacke mit anderen Kollegen aus Bangladesch ein Auto zu organisieren, das sie zur Grenze bringen sollte. 150 libysche Dinar, 75 Euro pro Person, verlangte der Fahrer - das Zehnfache des normalen Preises. An den Checkpoints der Polizei kamen die Männer ohne Bestechung nicht weiter. "Hundert Dinar hier, zweihundert da, sogar mein Handy haben sie mir weggenommen", erzählt Rahman tonlos. Tiefe Ringe unter seinen Augen verraten die Strapazen der letzten Tage. "Ich habe gar nichts. Mein letztes Geld musste ich dem Grenzbeamten geben für den Stempel im Pass, sonst wäre ich jetzt nicht hier."

Mehr als hunderttausend Menschen, die vor den Gefechten in Libyen geflohen sind, haben in den vergangenen zwei Wochen in Choucha Station gemacht. Vor allem Ägypter kamen in den ersten Tagen zu Zehntausenden über die Grenze, fast alle wurden inzwischen von der ägyptischen Regierung ausgeflogen.

Am Wochenende gelang es nur noch einigen hundert Menschen, die Grenze zu überqueren. Seit der erste große Andrang vorbei ist, sind die improvisierten Matratzenlager direkt neben dem Grenzposten und längs der Straße verschwunden, Freiwillige sammeln Müll ein. Die Organisation der Zeltstadt im Wüstensand funktioniert von Tag zu Tag reibungsloser. Noch immer kommen täglich mehrere Kleinbusse mit Essen und Medikamenten an, gespendet von der tunesischen Bevölkerung. Die Unterstützung ist so groß, dass die Helfer gar nicht mehr wissen, wohin mit den Lebensmitteln. Im Zeltlager des tunesischen Militärs türmen sich Wasserflaschen, Nudeln und Milchtüten.

"Danke Tunesien, erst habt ihr uns die Revolution gebracht und jetzt bringt ihr uns auch noch nach Hause", ruft ein junger Ägypter strahlend, als er in den gelben Bus einsteigt, der ihn zum Flughafen bringen soll. Unterdessen verlassen einige Ghanaer den daneben stehenden Bus wieder, zerren ihre verbeulten Koffer durch den Sand und trotten mit hängenden Köpfen zurück ins Camp. Eigentlich hätten sie am Samstag nach Hause gebracht werden sollen, dann aber kam das Flugzeug, das die ghanaische Regierung versprochen hatte, doch nicht.

"Ich spreche lieber von Transitreisenden als von Flüchtlingen, denn Flüchtlinge wollen ja dauerhaft im Land bleiben. Die Menschen hier sind nur auf der Durchreise", sagt der Arzt Samir Abdelmoumen, der als Freiwilliger im Krankenzelt arbeitet. Doch wer jetzt noch im Camp ist, der wird es wohl auch noch eine Weile bleiben. Etwa 15.000 Menschen sind es zur Zeit, die allermeisten kommen aus Bangladesch. Neben ihren Zelten flattert die Fahne ihres Heimatlandes im Wind, aber von ihrer Regierung haben sie bis jetzt keinerlei Unterstützung erhalten. Der kleine Mittelmeerstaat Tunesien hat zwar die Erstversorgung der Flüchtlinge hervorragend im Griff, doch um sie in ihre Heimatländer zu bringen, braucht er internationale Hilfe - und die kommt nur schleppend in Gang.

Abdelmoumens Blick fällt auf die Schlange der Neuankömmlinge, die sich registrieren lassen wollen, und er lässt die Schultern sinken. "Wir haben genug Kapazitäten, um die Menschen noch wochenlang zu versorgen, aber die Flüchtlinge wollen natürlich wissen, wie es weitergeht und wann sie nach Hause können. Das ist doch wichtig für die Seele."

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