Ägyptens Präsident Mursi:Versager an der Staatsspitze

A protester opposing Egyptian President Mursi holds an anti-Mursi poster during a sit-in protest at Tahrir Square in Cairo

Viele Ägypter wollen Mursi so schnell wie möglich wieder loswerden

(Foto: REUTERS)

Die Wirtschaft liegt danieder, die Islamisierung spaltet die Gesellschaft zutiefst: Seit einem Jahr ist der frühere Muslimbruder Mursi an der Macht, nun fordern Millionen Ägypter eine zweite Revolution. Die Bilanz des Präsidenten ist desaströs, politisch wie wirtschaftlich.

Von Tomas Avenarius, Kairo

"Wir haben Mursi die Chance gegeben, das Land zu lenken. Er versteht sich nicht darauf. Das Land steht am Rand des Abgrunds." Harte Worte. Doch bei Mohammed ElBaradei hat Ägyptens erster frei gewählter Staatschef keinen Kredit mehr. Der Oppositionsführer und Nobelpreisträger ruft zum Sturz des islamistischen Präsidenten auf.

Nach einem Jahr an der Macht scheint klar zu sein: Der 61-jährige Ingenieur Mursi hat versagt. Und mit ihm die Muslimbruderschaft, die älteste Islamistenorganisation, Wurzel des politischen Islams weltweit. So sehen es jedenfalls Millionen Ägypter, die gegen steigende Preise, fehlende Jobs und chronischen Mangel bei Strom, Gas und Benzin kämpfen.

Und von denen viele erbost sind über die Versuche der neuen Herrscher, ihre Religion politisch zu missbrauchen und die 85 Millionen Ägypter zu spalten - in orthodoxe Muslime auf der einen und halbherzige Gläubige, Christen und gottlose Säkulare auf der anderen Seite.

Die Witze über Fehler und Schnitzer des Präsidenten, der einst viele Ägypter durch sein bescheidenes Auftreten für sich gewonnen hatte, sind inzwischen Legion. Mursi wollte den höllischen Verkehr in Kairo beruhigen, die verwahrlosten Straßen reinigen, die staatlichen Dienstleistungen verbessern lassen, die Schulen reformieren. Das Gegenteil ist eingetreten. Das Land ist hoch verschuldet, die Devisen werden knapp, der Staatshaushalt lebt von den Almosen reicher Golfstaaten, die islamistisch geprägte Reform der Wirtschaft kommt nicht in Gang, die Armut steigt. Ägypten geht es wirtschaftlich schlechter als unter dem Diktator Hosni Mubarak.

Fleischtöpfe und Schlüsselstellen der Macht

Die schwersten Fehler aber machte Mursi in der Innenpolitik. Den Muslimbrüdern und den mit ihnen regierenden ultraorthodoxen Salafisten gehe es nicht um Demokratie und Pluralismus, so die Kritiker, sondern nur um die Fleischtöpfe und die Schlüsselstellen der Macht. Angesichts des unbestreitbaren Widerstands einer zum Teil noch von Mubarak-Seilschaften beherrschten Justiz und Bürokratie hatte Mursi versucht, sich umfassende Sondervollmachten anzueignen und war damit gescheitert. Er brachte eine islamistisch geprägte Verfassung auf den Weg, traf damit aber auf den Widerstand von Richtern und Demonstranten.

Mursi und die Muslimbrüder haben in Ministerien, Justiz, Medien und anderen Institutionen ihre Leute installiert, doch sie scheiterten auch oft am Protest der Opposition und der Straße. So hat der Präsident, der vielen als Marionette der Bruderschaft gilt, bisher keine umfassende Macht gewonnen, aber die Sympathie vieler früherer Wähler verloren.

Die Armee hält sich bisher am Rande. Die Generale haben aber klargestellt, dass sie eingreifen werden, sollte das Chaos ausbrechen. Und sie haben gesagt, dass sie sich nicht gegen das eigene Volk stellen werden - auch das macht die Lage Mursis und der Brüder prekär.

Außenpolitisch anfangs erfolgreich hat Mursi im Ausland, etwa in Berlin, eine blasse, belächelte Figur abgegeben. Er rief zum Heiligen Krieg gegen Syriens Diktator auf und brach die Beziehungen zu Damaskus ab. Im für Ägypten lebensbedrohlichen Streit um das Wasser des Nil hat er Äthiopien ohne Verstand drohen lassen. Auch für Ägyptens Diplomaten ist Mursis Präsidentschaft ein Desaster.

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