Ägyptens Machtverlust:Das Gesetz der Wüste

Israel fühlt sich verwundbar wie lange nicht mehr angesichts der Revolution in den Nachbarstaaten - vor allem das Verhältnis zu Ägypten, bislang ein verlässlicher Partner, ist nun schwer belastet: Die Terroristen waren über die Sinai-Halbinsel nach Israel eingedrungen. Und: Ägypten verliert die Kontrolle über die Halbinsel Sinai: Unter den Augen korrupter Polizisten schmuggeln Beduinen Waffen in den Gaza-Streifen.

Tomas Avenarius

Die Operation hieß "Eagle", Adler, und sie sollte Stärke demonstrieren. Nur wenige Tage vor dem Terroranschlag auf israelische Soldaten an der gemeinsamen Grenze auf dem Sinai wollte Kairos Armee mit der Verlegung zusätzlicher Truppen und Panzer für mehr Sicherheit auf der Halbinsel sorgen. Nach dem Sturz des Mubarak-Regimes im Februar hatte sich die Sicherheitslage dort dramatisch verschlechtert. Die Gaspipeline nach Israel war fünfmal in die Luft gesprengt worden. Ägyptische Polizeistationen im Norden wurden überfallen, Polizisten entführt. Radikale Fundamentalisten erklärten die Städte El-Arisch, Rafah und Scheich Zuweid angeblich zu souveränen Gebieten. Die Regierung in Kairo sprach schon von einer Al-Qaida-Zelle. Es gebe Bekennerschreiben von "al-Qaida auf dem Sinai".

Egal, ob es wirklich Islamisten sind oder nur Sinai-Beduinen, die auf Kriegsfuß stehen mit der Zentralmacht: Die ägyptische Übergangsregierung hat auf dem Sinai ein Problem - und damit auch ein Problem mit dem ungeliebten Nachbarn Israel. Da nützt es nicht viel, dass der für den Süd-Sinai zuständige Gouverneur eine erwartbare Stellungnahme zu den Terroranschlägen abgab: "Von Ägypten aus wurde nicht nach Eilat geschossen." Zwar hatte Jerusalem die Stationierung weiterer 1000 ägyptischer Soldaten auf dem Sinai kurz vor dem Terroranschlag gestattet. Ihre Zahl wird aber kaum ausreichen, ein 61 000 Quadratkilometer großes Gebiet zu kontrollieren, das von Wüsten, Gebirgen und Kamelpfaden geprägt ist. Der ägyptisch-israelische Friedensvertrag von 1979 begrenzt die Truppenzahl in dem Gebiet. Er staffelt sie so, dass entlang der eigentlichen Grenze nur wenige Soldaten stehen dürfen. Kontrolle über den Sinai kann Kairo nur mit Hilfe der einheimischen Beduinen ausüben, nicht gegen sie.

Die Sinai-Halbinsel Ägyptens war im Sechs-Tage-Krieg 1967 von den Israelis besetzt worden, anschließend hatte die jüdische Besiedelung begonnen. Die Niederlage wurde zum nationalen Trauma aller Ägypter. Im Oktober-Krieg 1973 konnte Kairos Armee die Halbinsel aber mit einem Überraschungsangriff teilweise zurückerobern. Nach dem Camp-David-Friedensvertrag von 1979 gab Israel das gesamte Territorium zurück. Präsident Anwar al-Sadats militärisch-politischer Erfolg prägt das Selbstverständnis der heutigen Ägypter: Der Sinai, der seit 3000 vor Christus besiedelt ist und durch dessen steinige Wüsten der Prophet Moses zog, ist und bleibt ägyptisch.

Weniger strahlend sieht der Alltag aus. Der Süden der Halbinsel mag in Reiseprospekten als Feriengebiet mit Traumstränden oder dem Moses-Berg samt dem Katharinen-Kloster und dem biblischen Dornbusch beworben werden. Aber das Verhältnis der auf der Halbinsel siedelnden Beduinen zur Zentralregierung in Kairo ist schlecht: Die Bedus fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Die Sinai-Beduinen sind konservativer als viele Ägypter aus dem Niltal. Ihre Kultur ist stärker von arabischen Einflüssen geprägt, ihr Islam strenger. Hinzu kommt die Politik der Zentralregierung. Die Beduinen argumentieren, Ägypter aus dem Niltal kontrollierten den Massentourismus in den südlichen Badeorten wie Scharm el-Scheich, während die Infrastruktur auf dem Nord-Sinai und außerhalb der Feriensiedlungen vernachlässigt bleibe. Im vergangenen Jahrzehnt gab es auch Terroranschläge auf Hotels. Tatsache ist: Es gibt zu wenig Arbeitsplätze auf dem Sinai, die Straßen sind schlecht, die Schulen auch. Zusätzlich fürchten die Einheimischen die Pläne, auf der Halbinsel Ägypter aus dem völlig übervölkerten Niltal anzusiedeln.

Kairos Sicherheitskräfte sind auf dem Sinai verrufen. In den Mubarak-Jahren gingen sie brutal gegen die in Stämmen und Clans organisierten Bedus vor. Häufig wurden die Frauen der Familien festgenommen, um flüchtige Beduinen zur Aufgabe zu bewegen - ein schwerer Verstoß gegen den Ehrenkodex einer Gesellschaft, die die Blutrache hochhält. Die Einheimischen selbst mögen keine Arbeit auf dem unterentwickelten Nord-Sinai finden, aber sie verdienen am Schmuggelgeschäft mit Waffen, Benzin und Waren im palästinensischen Gaza-Streifen. Andere schleusen illegale Arbeiter aus Schwarzafrika oder Prostituierte über die Wüstengrenze nach Israel. All dies geschieht seit Jahren unter den Augen ägyptischer Polizeioffiziere, die sich am Bestechungsgeld bereichern.

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