Ägypten: Proteste eskalieren:Die Wut wächst

"Mubarak, tritt endlich ab": Nur zwei Wochen nach dem Umsturz in Tunesien eskalieren in Ägypten die Kämpfe gegen die brutale Regierung des Präsidenten. Das Regime antwortet wie erwartet: mit Gewalt und Verboten. Menschen sterben, 500 Demonstranten werden verhaftet.

Tomas Avenarius, Kairo

Am Morgen danach schleppt sich der Verkehr wie immer schwerfällig und laut durch Kairo. Auf dem zentralen Tahrir-Platz huschen die Fußgänger zwischen den Autoschlangen hinüber auf die andere Straßenseite, hupen sich Taxis an mögliche Fahrgäste heran, gehen Menschen zur Arbeit, bummeln Touristen. Nur das Großaufgebot an Bereitschaftspolizisten in Kampfanzügen, mit Helm, Schild und Schlagstock, erinnert an den Vortag. In den Seitenstraßen stehen Wasserwerfer und vergitterte Mannschaftswagen. In anderen Stadtteilen sammeln sich derweil wieder die ersten Demonstranten.

Mittwoch, Kairo am Tag danach. Mit den größten Demonstrationen seit dreißig Jahren haben die Ägypter ihrem seit 1981 regierenden Präsidenten Hosni Mubarak klargemacht, dass sie mehr von ihm erwarten als leere Reformversprechen, Arbeitslosigkeit, Korruption, Folter und Wahlfälschungen. Die Slogans der rund 15.000 Protestierer am Vortag auf dem Tahrir-Platz: "Mubarak, tritt endlich ab. Gestern Tunis, heute Kairo!"

Was am Dienstagmittag in Kairo und anderen ägyptischen Städten als friedlicher Protest begonnen hatte, endete mit Polizeigewalt - und mit mindestens sechs Toten bis zum Mittwochabend. In den frühen Morgenstunden des Mittwochs knüppelten Bereitschaftspolizisten die noch immer Tausenden Demonstranten im Stadtzentrum Kairos auseinander.

"Gegen Mitternacht gingen Gerüchte um, dass der Innenminister befohlen habe, scharf zu schießen", sagt ein Teilnehmer. "Um fünf nach halb eins schossen die Polizisten große Mengen Tränengas. Sie setzten Wasserwerfer ein und gingen auf uns los." Der Mann hält seine blutverschmierten Hosen hoch: "Dann hat mich irgend etwas am Bein getroffen, wegen des Tränengases konnte ich nicht atmen. Um ein Haar hätten sie mich festgenommen." Zum Arzt gehen will der 56-Jährige nicht: "Alle, die sich behandeln lassen, werden verhaftet."

Angeregt durch die "Jasmin-Revolution" in Tunesien waren die Ägypter auf die Straße gezogen. Landesweit sollen es 90.000 gewesen sein. In Kairo zogen sie aus verschiedenen Stadtteilen ins Zentrum: Dort liegt das wichtigste Verwaltungsgebäude des Landes. Innenministerium und Parlament sind nah. Die Polizei setzte anfangs auf Deeskalation. Polizeioffiziere sagten gezwungen lächelnd: "Ägypten ist ein freies Land. Die Bürger können ihre Meinung sagen." Mit Meinungs- und Demonstrationsfreiheit war es jedoch vorbei, als die Demonstranten Richtung Parlament zogen. Es kam zu Straßenschlachten, bei denen nach Angaben des Innenministeriums ein Polizist starb. Auch in anderen Städten flammte der Protest auf. Drei Demonstranten starben durch Polizeigewalt.

Es herrscht Aufruhr in der arabischen Welt. Bei der Revolution in Tunesien hat Zine el-Abedine Ben Ali als einer der hartleibigsten Diktatoren der Region die Macht verloren. Nun bewegt sich auch Ägypten. In dem Touristenparadies lebt die Hälfte der Menschen an der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei zehn Prozent, die Inflation bei 12,8. In Wahrheit fehlen viel mehr Jobs, steigen die Preise immer weiter - als Folge von Mubaraks Wirtschaftsliberalisierung. Nur die Reichen und ein kleiner Teil der Mittelschicht profitieren. Die superreiche Oberschicht baut sich luxuriöse "Gated Communities" und schickt ihre Kinder zum Studieren in die USA.

Systematische Folter, gefälschte Wahlen

Die Bürger des bevölkerungsreichsten arabischen Landes gelten als lethargisch, wenn es um Widerstand gegen das Regime des autoritär regierenden Mubarak geht. Jede Opposition, ob von demokratischen Kräften oder von Islamisten, wird unterdrückt. Es wird systematisch gefoltert. Wahlen werden gefälscht. Bei der jüngsten Parlamentswahl will die regierende Nationaldemokratische Partei NDP rund 80 Prozent der Stimmen gewonnen haben.

Die Muslimbrüder, die im letzten Parlament ein Fünftel der Sitze hatten, zogen sich mit den meisten anderen Oppositionsparteien im zweiten Wahlgang zurück. Kein Ägypter erwartet, dass es bei der nächsten Präsidentschaftswahl sauberer zugehen wird. Entweder es tritt der 82-jährige Mubarak erneut an. Oder er bereitet seinem 46 Jahre alten Sohn Gamal, einem wichtigen Mann in der NDP, den Weg zur Macht.

Doch jetzt gibt es Aufruhr. Nicht, dass der Mubarak-Staat deshalb gleich zusammenbrechen würde: Ägyptens Verhältnisse lassen sich nur in Maßen mit denen in Tunesien vergleichen. Polizei und Geheimdienst sind stark. Die Armee steht offenbar hinter dem früheren Luftwaffenoffizier Mubarak. Sie hat schon in den 70er Jahren Brot-Unruhen unterdrückt. Aber dass die Ägypter auf die Straße gehen, muss das Regime beunruhigen. Innenminister Habib el-Adly hat angekündigt, dass er weitere Proteste nicht dulden werde. Auch vor den Demonstrationen am Dienstag hatte er mit der Zerschlagung der "illegalen Proteste" gedroht.

Vor kurzem ging in Kairo ein Witz um: Der Oppositionelle Mohammed ElBaradei habe zum Wechsel in Ägypten aufgerufen - leider hätten nur die Tunesier reagiert, nicht die Ägypter. Nun haben die Ägypter offenbar doch etwas zu sagen: Auch am Mittwoch kam es wieder zu Demonstrationen, und die Polizei antwortete erneut mit roher Gewalt: Nach Angaben aus Sicherheitskreisen wurden in Kairo ein Demonstrant und ein Polizist getötet. In der Hafenstadt Suez setzten Demonstranten ein Gebäude der Stadtverwaltung teilweise in Brand, mindestens 70 Menschen wurden verletzt.

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