Ägypten: Präsident Mubarak unter Druck:Der Pharao am Abgrund

Gummigeschosse, Tränengas, Knüppel: Hosni Mubaraks Regime lässt die Proteste niederschlagen - und stachelt den Volkszorn nur an. Friedensnobelpreisträger ElBaradei bietet sich als Oppositionsführer an - doch wollen die Menschen ihn überhaupt?

Tomas Avenarius, Kairo

Am Freitagabend kam die Armee. Da war die Zentrale der Staatspartei NDP im Zentrum Kairos schon in Brand gesteckt. Flammen schlugen auch aus einem Fünf-Sterne-Hotel und einer Shopping-Mall. Randalierer drohten, das nahe gelegene Ägyptische Museum und die Luxushotels an der Nil-Promenade zu plündern. In den Straßen rund um die Stadtmitte kokelten zerstörte Truppentransporter der Bereitschaftspolizei, zerschlagene Polizeiwagen standen auf den Brücken. Mindestens einen Toten und 870 Verletzte gab es allein in Kairo, einige mit Schusswunden.

Präsident Hosni Mubarak, seit 30 Jahren an der Macht und seit Jahrzehnten Zivilist, meldete sich am Freitag Abend mit dem Titel "Oberbefehlshaber" zu Wort - zunächst nur in einer schriftlichen Erklärung. Er habe die Armee in Gang gesetzt, ließ der 82-Jährige wissen. Da waren die gepanzerten Fahrzeuge schon auf den Straßen von Kairo und Suez zu sehen. Eigentlich war ein Fernsehauftritt Mubaraks erwartet worden. Ein Gerücht blieb zunächst, was eine gewöhnlich gut informierten Internet-Webseite meldete: Von einem Militärflughafen in Kairo seien zwei Privatmaschinen gestartet, möglicherweise mit Mubarak an Bord. Ziel: unbekannt.

Der Tag hatte friedlich angefangen.In der Mustafa-Mahmud-Moschee hatte der Imam sein Bestes versucht: "Wir lieben unsere Jugend. Wir verstehen eure Probleme. Aber die Wut trübt euer Denken. Bleibt doch bitte friedlich." Die Freitagspredigt klang, als ob der ägyptische Regierungssprecher das Manuskript verfasst hatte. Der Imam der Mustafa-Mahmud-Moschee hatte kaum die letzten Worte des anschließenden Gebets gesprochen, da erschallten zwischen den Gläubigen die Sprechchöre, wehten ägyptische und tunesische Flaggen: "Hosni, das ägyptische Volk fordert seine Freiheit."

Die Polizeikordons mit ihren Schilden und Schlagstöcken, die die Moschee im Stadtteil Mohandessin schon Stunden vor dem Freitagsgebet umstellt hatten, lösten sich widerstandslos auf: Es waren Tausende, die sich innerhalb von Minuten in Richtung Stadtzentrum wälzten. Friedlich, aber mit einer radikalen Forderung auf den Lippen: "Nieder, nieder! Nieder mit Hosni Mubarak!"

Auch in gut einem Dutzend anderer Moscheen in der ägyptischen Hauptstadt haben sich am Mittag die Menschen versammelt. Junge Menschen vor allem, deren früheste Kindheitserinnerungen dieses Regime beherrscht: Hosni Mubarak, das ist das Gesicht Ägyptens. Oder besser: Das war das Gesicht Ägyptens. Selbst wenn das Militär das Chaos in Kairo am Wochenende in den Griff kriegen sollte: Der Freitag dürfte der entscheidende Schritt zum Ende der Mubarak-Herrschaft gewesen sein.

Das brennende Hauptquartier seiner Nationaldemokratischen Partei NDP stand als Sinnbild dafür, dass die eiserne Macht des 82-Jährigen nach diesem Tag des Zorns in ihren Grundfesten erschüttert ist. Von einer Opposition, die sich über das Internet-Netzwerk Facebook organisiert hatte.

Das Wunder von Tunis als Vorbild

Am Morgen vor dem großen Chaos waren die Demonstranten von der Mustafa-Mahmoud-Moschee ungestört bis zur Galaa-Brücke am Nil gezogen. So wie auch von den anderen Moscheen aus. Ein paar Polizei-Offiziere liefen lässig neben ihnen her, unbewaffnet. Die Demonstrationszüge waren friedvolle Polit-Prozessionen von Jungen und Alten, Männern und Frauen, Familien und Rentnern, Armen und Reichen. Aber sie alle wollen, was der 25-jährige Islam Imad ruft: "Freiheit! Demokratie! Schluss mit der Mubarak-Herrschaft!"

Mubarak regiert Ägypten seit 30 Jahren

Hosni Mubarak regiert Ägypten seit 30 Jahren. Jetzt setzt ihn der Straßenprotest unter Druck.

(Foto: dpa)

Dann heulten Sirenen, flogen Tränengasgranaten, schossen Bereitschaftspolizisten hinter den quer gestellten Mannschaftswagen auf der Galaa-Brücke aus ihren Pump-Guns mit Gummigeschossen, angeblich sogar mit Schrot. Verletzte wurden von schützenden Menschenketten umgeben, und auf Motorrädern abtransportiert. Demonstrationsführer verteilten in Essig getränkte Tücher gegen das die Lungen reizende Tränengas, wuschen den Leuten mit Coca-Cola die tränenden Augen aus.

Wie auf der Galaa-Brücke hielten die Polizeikordons den Zehntausenden nur drei, vier Stunden stand: Am Ende des Tages, kurz vor Dunkelheit, standen die Demonstranten im Herzen der Hauptstadt: auf dem Tahrir-Platz. Tahrir heißt "Befreiung". Kurz darauf quoll dann der Rauch aus den Fenstern der NDP-Parteizentrale. "Das ist ein wunderbarer Anblick", rief ein Demonstrant, "das haben sie verdient."

Noch bis in die sehr frühen Morgenstunden hatten das Internet und die Mobiltelefone funktioniert, hatten die seit drei Tagen zu Protesten aufrufenden Facebook-Gruppen die Menschen dazu motiviert, nach dem Gebet von 15 großen Kairoer Moscheen in Richtung Stadtzentrum zu marschieren. Die Gebetshäuser sind in islamischen Ländern der Ort, wo die Männer sich in großer Zahl versammeln, wo sie sich mobilisieren lassen, wo sich das Volk zusammengehörig fühlt.

Das Ziel aller Protestierenden: der Tahrir-Platz. Hier, im Herzen des modernen Kairo, hatte der Aufruhr am Dienstag auch begonnen. 15.000 bis 20.000 Demonstranten hatten dabei die in großer Zahl angetretene Polizei überrascht. Auf die Beine gebracht durch das Internet. Das Vorbild für die ägyptische Opposition ist Tunesien: Mit ihrer "Jasmin-Revolution" hatten die Maghrebiner im Dezember und Januar gegen ihren Diktator Zine el-Abidine Ben Ali aufbegehrt. Nach vier Wochen floh der wegen seiner Härte 23 Jahre lang gefürchtete Ben Ali ins Exil.

Das schwer durchschaubare Wunder von Tunis ist nun das Vorbild für Menschen in der gesamten arabischen Welt: Es wird demonstriert, protestiert, randaliert. Ägypten ist mit seinen 80 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land im Nahen Osten und es ist immer noch eine Vorbildnation für die arabische Welt. "Einen Monat haben die Tunesier gebraucht, um Ben Ali zu stürzen", rief ein Mann auf Kairos Straßen Polizisten zu. "Wir Ägypter sind schon nach vier Tagen fast am Ziel."

Polizisten schießen wie Großwildjäger

A protester stands in front of a burning barricade during a demonstration in Cairo

Feuer auf den Straßen von Kairo: Ein junger Demonstrant vor einer brennenden Barrikade.

(Foto: REUTERS)

Begonnen hatte all das am Dienstag als friedlicher Protest, gegen den "Pharao", gegen sein Regime, das in den Augen vieler für soziale Ungerechtigkeit steht, das geprägt ist von der Unterdrückung der Opposition, von Polizeigewalt und Folter. Am Dienstag gab es nur vereinzelte Straßenschlachten, Tränengasgranaten und Wasserwerfereinsätze. Nach ein paar Stunden, es war nach Mitternacht, startete die Bereitschaftspolizei dann ihren Großangriff auf die Anti-Mubarak-Opposition. Tausende Demonstranten, meist Vertreter der Mittelklasse und meist friedlich, wurden mit Stöcken und Gummigeschossen auseinander getrieben. Außer Repression und Gewalt schien dem Regime nichts einzufallen, angesichts seines frustrierten Volkes.

Mittwoch und Donnerstag waren nicht besser. Innenminister Habib Adly, die harte Hand des Autokraten, hatte gedroht, jede "unerlaubte Demonstration zu unterdrücken". Doch die Menschen scheinen sein Polizeiregime nicht länger zu fürchten: Sie gingen wieder auf die Straße. Meist noch friedlich.

Adlys Polizisten aber setzten von Anfang auf den Schlagstock. Gepanzerte Mannschaftswagen verfolgen auch am Freitag die Flüchtenden, aus Dachluken schießen Polizisten mit Gummigeschossen wie Großwildjäger auf eine Herde Gnus. Wasserwerfer drohen Menschen zu überrollen. Ein blutüberströmter Reporter der BBC berichtete vor der Kamera seines Senders, Zivilpolizisten hätten ihn festgesetzt und heftig geschlagen Auch andere Journalisten seien von den Beamten mitgenommen worden.

Die Demonstranten hatten sich aber auch weit besser organisiert als in den ersten Tagen des Protests, und die Masse war breiter. Nicht mehr nur die Computerkinder der Mittelklasse, sondern auch die Unterschicht war auf der Straße. Dazu die Islamisten, "Allahu akbar" (Gott ist groß) rufend. Sie alle liefen in einer Front. Während ältere Frauen sich am Straßenrand vom Tränengas erholten, zerhackten junge Männer Steinplatten und warfen die Steinbrocken von Brücken auf Polizeiwagen. Andere hoben die glühend heißen Tränengasgranaten vom Boden auf und schleuderten sie zurück in Richtung der Polizisten in Kampfmontur. Als es am späten Nachmittag dämmrig wird und die Zeit zum Gebet naht, knien sich zahlreiche Demonstranten auf den Asphalt, fangen an zu beten.

In der Stadt Suez hatte die Menge schon am Mittwoch und Donnerstag das Rathaus, eine Feuerwache und eine Polizeistation in Brand gesteckt, mit Gewehren und einer Panzerfaust auf die Polizei geschossen: Weil die Behörden die Leiche eines in Suez getöteten Demonstranten nicht herausgeben wollten. Weshalb auch die Demonstranten vor der Mustafa-Machmud-Moschee am Freitag riefen: "Mubarak, das Blut unserer Brüder aus Suez ist uns teuer."

Klar war, dass der Freitag der Tag der Entscheidung werden könnte. Sollte das Regime der Unruhen an diesem Tag nicht Herr werden, wird es schwer werden für Mubarak. Denn die Opposition, das sind längst nicht mehr nur die Internet-Aktivisten und ein paar versprengte Regimekritiker. Es ist längst ein guter Teil des Volk, möglicherweise bald das ganze. Im Internet schrieb ein Aktivist: "Ägyptens Muslime und Christen werden auf die Straße gehen, um gegen Korruption, Arbeitslosigkeit, Unterdrückung und fehlende Freiheit zu protestieren."

Auch die einflussreichen Muslimbrüder hatten bis Freitag Position bezogen. Die Islamisten-Führer hatten erklärt, dass sie ihre bisherige Zurückhaltung aufgeben und die Demonstrationen offen unterstützen würden. Die Muslimbrüder sind eine starke Kraft im Land: Bei den vorletzten Parlamentswahlen gewann die offiziell verbotene Islamistengruppe ein Fünftel der Sitze. Die letzte Wahl, im November 2010, war so erkennbar offen manipuliert worden, dass die Brüder und andere Ernst zu nehmende Oppositionellen sich im zweiten Wahlgang zurückzogen und völlig leer ausgingen. Mubaraks NDP bekam offiziell etwa 80 Prozent der Mandate.

Zudem kam zu den Freitagsdemonstrationen ein möglicher Führer der politisch bisher weitgehend führungslosen Opposition aus dem Ausland zurück: ein weltbekanntes Gesicht. Mohamed ElBaradei, Friedensnobelpreisträger und Gegner Mubaraks. Der frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA forderte den wankenden Mubarak noch vor dem Abflug nach Kairo am Wiener Flughafen zum Rücktritt auf: "Es ist Zeit, dass der Präsident in den Ruhestand geht." ElBaradei bot sich selbst gleich als Führer einer Übergangsregierung an. "Wenn die Menschen, besonders die jungen, auf mich setzen als Mann des Übergangs, dann werde ich sie nicht hängen lassen." Das war die Kampfansage an Mubarak. ElBaradei reihte sich in die Demonstrationen in Kairo ein, umringt von Anhängern, die ihn zu schützen suchten. Dies gelang ihnen aber nicht wirklich. Am Abend erklärte das Staatsfernsehen, ElBaradei stehe unter Hausarrest.

ElBaradei enttschäuschte die Ägypter bisher

ElBaradei bleibt eine umstrittene Figur: Im Februar 2010 hatte er eine lockere Allianz verschiedener Oppositionsgruppen geschmiedet. Er hatte auch die verbotenen Muslimbrüder einbezogen, suchte eine breite Basis für seine Anti-Mubarak-Koalition. Baradeis "Bündnis für den Wandel" gehört zwar zu den Organisatoren der Proteste. Er selbst hat die Hoffnungen der Ägypter aber bisher enttäuscht. Der in Europa lebende Ägypter blieb bislang immer nur kurz in seiner Heimat, gab seine Interviews dann wieder von der Schweiz, von Österreich oder den USA aus. Zur Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im September hatte er sich nur halbherzig bereit erklärt: Er stehe nur bei fairen Wahlen und nach einer Verfassungsänderung zur Verfügung. ElBaradeis Halbherzigkeit kam bei der Opposition nicht gut an.

Als er am Donnerstag Abend auf dem Kairoer Flughafen landete, warteten vor allem die Journalisten auf ihn. Begeisterte Gefolgsleute ließen sich wenige sehen. Aber das könnte sich noch ändern. So könnte ElBaradei in diesen Tagen doch noch seine Rolle spielen als Vermittler und Mann des Übergangs - auch wenn der 68-Jährige auf Ägyptens flachem Land weit weniger bekannt ist als im Ausland. Zumindest vorübergehend könnte der Weltmann aus Wien zur Führungsfigur der Anti-Mubarak-Bewegung werden. Denn der Opposition, auch der virtuellen, fehlt eine Galionsfigur.

Und Mubarak, der Pharao? Auf der Straße vom eigenen Volk geschmäht als Wahlfälscher und Diktator, dann von Demonstranten in die Enge gedrängt, dass er die Armee rufen muss. Er schwieg drei Tage in seinem Palast im Kairoer Stadtteil Heliopolis. Auch Mubaraks Gefolgsleute gaben sich bis zuletzt unerschüttert. Sawfat el Sherif, Generalsekretär von Mubaraks NDP und einer der hartleibigsten Vertreter des Regimes, sagt nach einem eilig einberufenen Krisentreffen der Partei: "Die NDP kennt keine Flucht. Wir sind hier, um die Nation zu schützen. Die Nation hat ein Recht auf uns."

Schon seit Donnerstag gehen Gerüchte um, dass auf der Startbahn des Kairoer Flughafens zwei Dutzend startbereite Privatjets bereitstünden. Für die, die schnell flüchten möchten. Oder, dass die superreichen Geschäftsleute ihr Geld bereits eilig ins Ausland transferieren würden. Im Internet wird auch verbreitet, dass Präsidentensohn Gamal Mubarak mit seiner Familie nach London ausgeflogen sei - mit 100 Koffern. Eine Bestätigung dafür gab es natürlich nicht.

Gamal Mubarak ist einer der wichtigsten Männer in der Regierungspartei NDP. Er bereitet sich angeblich auf die Nachfolge im Präsidentenamt vor - als politischer Erbe seines Vaters. Sollte Gamal fliehen, wäre das Regime Mubarak wohl am Ende. Am Internationalen Flughafen jedenfalls war auch ohne Gamal Mubarak Hochbetrieb. Eine Augenzeugin berichtete, am frühen Morgen seien sehr viel mehr Menschen in der Abflughalle gewesen als sonst. "Keine Touristen, sondern auffällig viele Ägypter."

"Wir sind eure Familie"

Aber die meisten werden bleiben müssen. Auch die, die nicht hinter der Revolte stehen. Es sind nicht nur die Gefolgsleute des Regimes, die Zweifel am Verlauf des Aufstandes haben. "Es geht um die Sicherheit unseres Landes", sagt ein Mann, der nur seinen Vornamen sagt: Mahmud. "Die Leute werden alles kaputt schlagen, die Menschen hier kennen keine Grenzen", meint er.

Mahmud ist einer aus dem Mittelstand, er hat ein bisschen Geld angelegt an der Börse. Was er sah: Schon am Mittwoch waren die Kurse um sechs Prozent gefallen. Am Donnerstag musste der Handel eingestellt werden. "Jetzt geht als erstes die Aktienbörse kaputt. Da wurden Millionen vernichtet. Wir verlieren alles, was in den letzten sieben Jahren langsam aufgebaut wurde. Wegen dieser Leute!"

Der 50-Jährige, der oft genug laut über Präsident Mubarak geschimpft und den politischen Stillstand samt Inflation und Korruption beklagt hat, sagt nun: "Wenn morgen gewählt wird, wähle ich Gamal Mubarak. Der hat bei seinem Vater gelernt, wie man Ägypten regiert. Das ist kein Opportunist wie ElBaradei." Mahmud macht sich Sorgen: "Das ist kein Spiel mehr. Jetzt geht es um das Ganze." Er fügt hinzu: "Wenn ich der Innenminister wäre, ich würde schießen lassen. Dann wäre schnell Ruhe."

Die 300.000 Mann starke Armee gilt als loyal zum Ex-Luftwaffenoffizier Mubarak. Aber in Wahrheit weiß kaum keiner, was die Offiziere der Streitkräfte denken. Ob sie wirklich auf die eigenen Bürger schießen würden? Auch die Offiziere dürften wissen, wie das Volk denkt. In den Worten eines Demonstranten, der sich vor die Polizisten stellte: "Kommt zu uns. Wir sind eure Familie."

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