Ägypten: Nach Mubaraks Rede:Der Volkszorn wächst

Wut und Enttäuschung nach Hosni Mubaraks Rede: Ägyptens Präsident klammert sich weiter an die Macht. Er hat mit seinem Starrsinn die Saat für Gewalt ausgebracht - vielleicht sogar für einen Bürgerkrieg.

Stefan Kornelius

In Ägypten haben sich am 17. Tag des Protestes die Machtverhältnisse geändert - geklärt haben sie sich nicht. Der Präsident hält an seinem Amt fest, er sieht sich als Dirigent des Übergangs. Er sieht nicht mehr, wie das Orchester längst ohne ihn spielt. Dies ist eine gefährliche Situation, weil sich nun der Volkszorn unkontrolliert entladen kann. Mubarak hat mit seinem Starrsinn die Saat für Gewalt ausgebracht, vielleicht sogar für einen Bürgerkrieg.

Vor Mubaraks unheiliger Fernsehansprache überwog bei Militär wie bei Demonstranten eine Feststellung: Mit Mubarak würde die Krise nicht mehr zu lösen sein, der Präsident steht jeder Veränderung im Weg, seine Bedeutung als Symbol für Repression und Verkrustung ist übermächtig. Ob nun die Anhänger der Blitzrevolution (sofortiger Rücktritt und Neuwahlen binnen 60 Tagen inklusive aller Risiken) oder des Militärs (kontrollierter Übergang mit Fristen und möglicher Machtübergabe an die alten Kader) Recht haben: Aus beider Perspektive ist mit Mubarak kein Staat mehr zu machen. Der Mann ist unhaltbar.

Aber: Verzweifelt suchte daraufhin Mubarak nach einem winzigen Schlupfloch, blind für die Realität klebte er weiter an der Macht. Mubarak wollte die Signale nicht verstehen, die nun selbst sein Militär aussandte. Das Militär kann die Macht im Staat ergreifen, es allein verfügt über die Werkzeuge, die Kontrolle im ganzen Land erlauben. Die Panzer auf dem Tahrir-Platz waren ja schon seit Tagen eine Mahnung, dass der Apparat über mehr Druckmittel verfügt als Schläger und Folterer.

Dem Militär ist an Ordnung und Stabilität gelegen: Es will den Übergang ohne Demonstrationen, ohne Streiks. Ob das Militär seine Werkzeuge benutzt, hängt nun von der Gegenmacht auf der Straße ab. Sicher ist, dass die Generäle Anarchie nicht dulden werden, weil neben der präsidentiellen nicht auch noch die militärische Autorität geopfert werden kann. Sicher ist aber auch, dass nach Mubaraks störrischer Verweigerung der Protest eher brutaler werden wird. Zwei Züge rasen unerbittlich mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu.

Und dann? Dann gibt es entweder einen wie auch immer lange befristeten Übergang, in dem die Verfassung geändert und die Parteienlandschaft konsolidiert wird. Vielleicht kann das ägyptische Volk am Ende dieser Phase einen Präsidenten wählen. Oder das Militär liefert sich nun einen Deutungskampf mit dem Präsidenten - die Lagerbildung ist unklar, in den Palastfluren muss Verwirrung herrschen. Ägyptens Zukunft ist so ungewiss wie zu Beginn des Aufstands.

Es gibt viele Gründe, die Anlass zum Pessimismus bieten. Das Militär ist gespalten, und es hat viele Pfründe zu verteidigen. Nur mit harter Hand werden die anderen Machtzentren des Systems unter Kontrolle zu halten sein: die Polizei, die Geheimdienste, die Staatspartei und ihre Funktionäre, die Gewerkschaft.

Und schließlich gibt es immer noch die Muslimbrüder, die bereits in düsterer Ahnung von einem Militärputsch sprechen. Schon ihrer Stärke wegen muss die Generalität freie Wahlen fürchten. Die Muslimbruderschaft ist organisiert, sie verfügt über viel Geld aus ausländischen Quellen, sie hat bereits 88 sogenannte unabhängige Kandidaten im Parlament platziert. Was würde passieren, wenn die Ägypter frei wählten?

Anlass zu Pessimismus - aber auch Hoffnung

Aber das Militär kann auch Anlass zur Hoffnung bieten, so widersprüchlich dies klingt, weil es doch in der frühen Phase der Revolution sein Gewicht auf die Seite des Volks geworfen hat, sich als Diener des Staates stilisierte und die Schlägertrupps zurückdrängte. Wenn die vielen in den USA geschulten Offiziere ihrem Land nun einen Dienst erweisen wollen, dann sollten sie dem Mubarak-Spuk ein Ende setzen. Sein Auftritt in der Nacht zeugte nur noch von krassem Realitätsverlust.

Ein Zeitgewinn könnte sich durchaus als Vorteil erweisen. Der geordnete Übergang braucht Zeit. Aber Mubarak hätte zurücktreten müssen, um diese Einsicht wach zu halten. Dass in Kairo am Abend des 18. Tages der Jubel in den Straßen erstarb, ist ein ernüchterndes Zeichen. Nun stehen die Signale auf Sturm, das Volk will sich die Dreistigkeit des Herrschers nicht länger bieten lassen. Es hat sich große Verdienste erworben, mutige und sehr freiheitsliebende Menschen wollen ihr Opfer honoriert sehen. Sie haben einen neuen Staat verdient.

Die Revolution endet nicht hier. Sie endet nicht durch eine Fernsehansprache. Sie beginnt erst. In Algerien greift die Gewalt um sich. In Iran stehen Demonstrationen an. In Jordanien rückt bereits die Königin in die Kritik - ein Sakrileg. In Marokko hadert ein niedrigrangiges Mitglied des Königshauses mit dem Herrscher. Die Potentaten-Dämmerung hat die ganze Region erfasst, sie ist nicht aufzuhalten.

Die Risiken derart tektonischer Umbrüche sind gewaltig. Präsident Mubarak aber hat es geschafft, die Wut und Empörung nur noch zu steigern. Seine Ära geht zu Ende, auch wenn er sich noch so sehr an die Macht klammert. Zu beobachten ist ein entrückter Mann umgeben von mutlosen Schranzen. Sie verstehen den Epochenbruch in der arabische Welt nicht mehr.

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