Ägypten nach den Anschlägen:Viel Terror, wenig Demokratie

Hosni Mubaraks Regime ist labil, doch die Opposition bietet keine echte Alternative. Denn sie ist Teil des Systems.

Tomas Avenarius

Pfützengroße Blutlachen im Touristenparadies, mehr als 20 Tote, Dutzende Verletzte. Es hätte des Terroranschlags von Dahab nicht bedurft, um zu zeigen, dass Ägypten instabil ist. Obwohl das Land bis heute als treuer Freund der USA in Nahost gilt, wegen des Friedensvertrages mit Israel gelobt wird und die hauseigenen Islamisten der Muslim-Bruderschaft im eisernen Polizeigriff zu halten scheint, ist Ägypten eine politische Zeitbombe eigener Art: Sie kann jederzeit explodieren - sie muss aber nicht.

Die viel zitierte Stabilität des Touristenparadieses wird bald auf dem Prüfstand stehen: Wenn der fast 78-jährige Staatschef Hosni Mubarak nicht länger regieren kann. Mubarak herrscht seit mehr als 20 Jahren vor der Kulisse eines pseudodemokratischen Systems mit Parlament und Wahlurne. Im Hintergrund agiert ein Netz aus Offizieren, Geheimdienstlern und Unternehmern. Zusammengehalten werden sie von Eigennutz, Korruption und Patriotismus. Mubaraks politisches Anliegen konzentriert sich derzeit darauf, wie er seinen Sohn als Nachfolger installieren kann, oder ob das System doch einen anderen in den Vordergrund schieben wird.

Regiert wird seit Jahrzehnten per Notstandsgesetz. Wahlen werden nach Bedarf gefälscht oder verschoben, Oppositionelle nach Scheinprozessen ins Gefängnis geworfen (Sie haben Glück, wenn sie vorher nicht halb tot gefoltert worden sind). Dass die fundamentalistischen Muslimbrüder trotz manipulierter Wahlergebnisse bei der Parlamentswahl ein Fünftel der Sitze gewonnen haben, lässt ahnen, wem große Teile der Wähler wirklich vertrauen. Wie gefährlich die im Untergrund agierenden Islamisten sind, weiß keiner. Dass das Regime die Bombenwerferszene trotz aller gegenteiligen Behauptungen aber nicht im Griff hat, hat der Anschlag gezeigt.

Die Wirtschaftsdaten verdeutlichen, weshalb die Ägypter über Alternativen nachdenken. Das wichtigste Land der arabischen Welt hat fast 80 Millionen Einwohner. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei mehr als zehn Prozent, die Geburtenrate bei 2,4 Prozent: Jedes Jahr werden Millionen Arbeitsplätze für die nachwachsende Generation gebraucht. Woher sollen sie kommen?

Was sollte der Sohn besser machen?

Zwar hat Mubarak versprochen, in sechs Jahren 4,5 Millionen neue Jobs zu schaffen. Aber das wird das System kaum leisten. Knapp die Hälfte der Menschen sind Analphabeten, die staatliche Industrie ist veraltet. Zwar boomt die Börse. Aber zu den wenigen Wachstumsbranchen gehört der krisenanfällige Tourismus. Ein Terrorangriff wie in Dahab genügt, und das Feriengeschäft leidet über Monate.

Beruhigend ist all das nicht. Auch wenn die Muslimbrüder sich in den vergangenen Jahren als Gewaltgegner erwiesen haben, sind sie keine Herolde der westlichen Demokratie. Nur: Gibt es Alternativen? Kaum. Die traditionellen Oppositionsparteien sind Teil des Systems; sie opponieren in Absprache mit dem Regime. Die wirklich demokratisch orientierten Gruppen hingegen sind unzureichend organisiert. Sie haben keinen Rückhalt außerhalb kleiner bürgerlicher Schichten in Großstädten. Es wäre naiv, sie für regierungsfähig zu halten. Bei freien Wahlen würden ohnehin die Fundamentalisten gewinnen.

Wäre also die Fortsetzung des Regimes unter einem Mubarak junior nicht besser? Böte sie allein nicht Schutz vor neuem Terror oder einem undemokratischen islamischen System? Voraussetzung wäre, dass der Erbe Garantien gäbe für echte Reformen: für den geduldigen, langwierigen Aufbau einer Parteienlandschaft und Zivilgesellschaft samt wirtschaftlichem Fortschritt, die kontrollierte Aufhebung des Ausnahmezustands, die faire Einbindung der Muslimbrüder. Doch warum sollte der Sohn besser machen, was der Vater falsch gemacht hat? Und selbst wenn er es wollte: Das Regime wird ihn kaum lassen.

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