Ägypten nach Mubarak:Die unfertige Revolution

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Die Generäle regieren Ägypten. Doch die Menschen wollen an der Staatsspitze keine Uniformierten mehr sehen. Noch haben die Putschisten das Vertrauen der Ägypter. Sollten sie es missbrauchen, werden die Bürger wieder auf die Straße gehen. Diese Revolution ist nicht zu Ende. Sie fängt erst an.

Tomas Avenarius

Ägyptens Opposition hinterlässt den Tahrir-Platz besenrein. Die Regimegegner haben ihren Müll und die herausgerissenen Pflastersteine weggeräumt. Auf dem Befreiungsplatz staut sich wieder der unerträgliche Kairoer Autoverkehr. Das Land scheint zurück zum Alltag zu finden. Politisch aber findet gerade der nächste Umsturz statt: Das Militär hat die Verfassung außer Kraft gesetzt, das Parlament aufgelöst und einen Fahrplan für die Rückkehr zur politischen Normalität vorgegeben. Die Generäle wollen nach der Parlamentswahl die Macht abgeben, höchstens ein halbes Jahr lang regieren. Die Militärführung hat den gordischen Knoten durchschlagen, der das Land und die Revolution nach dem Sturz Mubaraks gefesselt hat. Mit der alten Verfassung und dem unter dem Autokraten gewählten Scheinparlament hätten sich die notwendigen Reformen weder technisch noch politisch umsetzen lassen.

Das Militär hat in Ägypten die Macht übernommen: Wenn es sie missbraucht, werden die Menschen wieder auf die Straße gehen. (Foto: dpa)

Warum handeln die Generäle? Signalisieren sie der Opposition, dass der Wandel unaufhaltbar ist? Oder verschaffen sie sich mit dem Aussetzen der Verfassung freie Hand zum Erhalt des Ancien Regime? Opposition und Volk können noch lange nicht umschalten von Revolte auf parlamentarische Mitbestimmung. Die Militärführung hat den halbherzigen Putsch jetzt vollendet: Die Putschisten mimen nicht länger die Schiedsrichter, sie sind nun Regisseure. Eine Verfassungsreform muss auf den Weg gebracht werden, die Wahlen müssen fair und frei sein. Noch mehr: Die wichtigsten der für Gewalt und Korruption verantwortlichen Minister des Mubarak-Regimes sollten zur Verantwortung gezogen werden.

Einen Vorgeschmack ihres Denkens haben die neuen Herrscher gegeben: Die noch von Mubarak eingesetzte Regierung bleibt im Amt. An ihrer Spitze steht ein Ex-General. Man kennt sich, man vertraut sich. Die Opposition wird das nicht hinnehmen. Die Regimegegner haben bewiesen, dass sie mehr sind als der zerstrittene Haufen von früher. Sie sind durchaus in der Lage, schon während des Übergangs mitzuregieren und sie verdienen Vertrauen: Die Jugend, die Liberalen, die Linken, bisher auch die Islamisten. Das ist eine gute Basis für die Vorbereitung von freien Wahlen.

Aber was von den verbleibenden Männern des Mubarak-Staats zu erwarten ist, weiß auch jeder. Sie werden die Bremsklötze ausfahren, persönliche und institutionelle Kontakte zum Militär nutzen. Sie wollen die Revolution verwässern. Kein Regime löst sich von selbst auf, solange seine Nutznießer Zugang zur Macht haben. Jetzt wird sich erweisen, ob die Putschisten Reform und Demokratie wirklich können. An den Militärakademien fehlen Parlamentarismus und Zivilgesellschaft im Lehrplan. Dennoch scheinen die Uniformierten den Zivilisten den Weg frei räumen zu wollen: Um wirkliches Vertrauen zu verdienen, müssten sie nach dem Parlament aber auch die alte Mubarak-Regierung feuern und durch eine aus Regimegegnern und unbelasteten Vertretern des Mubarak-Staates ersetzen. Aufgabe wohlmeinender Putschisten ist die Landesverteidigung nach innen, mit zivilem Augenmaß: als Garanten für eine Verfassungsreform und für Wahlen. Eine Schiedsrichterrolle stünde ihnen allenfalls noch zu, wenn sich die Parteien hoffnungslos verrennen sollten. Je weniger sich die Offiziere in die Politik einmischen, desto mehr Ruhm werden sie ernten.

Putschisten sind keine Samariter. Die Kairoer Generäle sind seit 30 Jahren Teil des Mubarak-Regimes: mit Orden behängt, mit Privilegien belohnt. In einem Land wie Ägypten sind Privilegien mehr als nur Dienstwagen und Privatsekretärin: Die Männer mit den goldenen Achselstücken sind hauptberufliche Spesenritter. Ihre Streitkräfte sind zugleich ein Industrie- und Handelsunternehmen. Das Militär unterhält Ländereien, seine Fabriken produzieren Lebensmittel, Fernseher und Küchenmöbel. Klar, dass die Einnahmen zum Teil in den Taschen der Uniformierten landen. Jetzt sollen diese Männer selbstlos das Regime demontieren, unter dem sie groß geworden sind?

Derzeit setzen die Generäle Recht. Keiner kann sie kontrollieren, auch nicht von außen. Die Ägypter haben Mubarak ohne Hilfe gestürzt und die Offiziere haben sich ihren Putsch anscheinend nicht von der CIA genehmigen lassen. Die USA können nur ihre Militärhilfe ins Feld führen; das Militär will die jährlich 1,3 Milliarden Dollar aus Washington nicht missen. Aber für Amerika bleibt der Frieden mit Israel wichtiger als der Umbau der ägyptischen Gesellschaft. Das wissen die Generäle. Die Justiz wäre die einzige Institution, die Reformen garantieren könnte. Aber im Mubarak-Staat wurden die Richter kujoniert. Wer seinen Beruf ernst nahm, wurde ausgetauscht. Gleichzeitig haben die Muslimbrüder die berufsständischen Organisationen unterwandert: Ägypten hat keine unabhängige, politisch neutrale Richterschaft.

Bleibt das Volk. Seit dem Sturz der Monarchie 1952 wird das Land von Männern des Militärs regiert. Die Menschen wollen an der Staatsspitze keine Uniformierten mehr sehen, weder aktive noch pensionierte. Noch haben die Putschisten das Vertrauen der Ägypter. Sollten sie es missbrauchen, werden die Bürger wieder auf die Straße gehen. Diese Revolution ist nicht zu Ende. Sie fängt erst an.

© SZ vom 14.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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