Ägypten: Muslimbrüder:Das Herz der Revolution

Sie wurden eingesperrt oder endeten am Galgen - und sind trotzdem die am besten organisierte Oppositionskraft. Ägyptens Muslimbrüder haben das Land von unten islamisiert. US-Präsident Barack Obama graut es vor ihnen.

Tomas Avenarius, Kairo

Wie die Revolution endet, weiß niemand, doch im Westen wird bereits die Angst vor den Fundamentalisten geschürt. Israels Premier Benjamin Netanjahu würdigt mit keinem Wort den bevorstehenden Sturz des Despoten Mubarak, stattdessen warnt er vor dem Chaos danach; das könnten die Islamisten der Muslimbruderschaft nutzen, um den Friedensvertrag Ägyptens mit Israel in Frage zu stellen: "Aus Ägypten könnte ein Gottesstaat wie Iran werden."

Ägypten: Muslimbrüder: Führende Muslimbrüder: Saad El Katatni (l.), Essam El Erian.

Führende Muslimbrüder: Saad El Katatni (l.), Essam El Erian.

(Foto: AP)

Auch dem US-Präsident Barack Obama graut es vor dem politischen Gewicht der Muslimbrüder. Bei den letzten halbwegs fairen Wahlen 2005 eroberten sie ein Fünftel der Sitze. 20 Prozent sind den Fundamentalisten im Normalfall sicher, mindestens. Die Brüder selbst beschreiben sich als demokratische Kraft und arbeiten mit den demokratischen Oppositionsgruppen zusammen. Aber Skepsis ist angebracht.

1929 von Hassan al-Banna aus Protest gegen die britischen Kolonialherren gegründet, ist die heutige Muslimbruderschaft (MB) eine schwer zu durchschauende Organisation. Anfangs hatten die 1952 gegen die Monarchie putschenden Offiziere um Gamal Abdel Nasser die Islamisten mit ihrem anti-kolonialen Zungenschlag nützlich gefunden. Wegen der säkularen Politik der "Freien Offiziere" kam es aber dann zu Konflikten. Nach einem Anschlagsversuch gegen Nasser wurde die Organisation verboten. Einige MB-Führer endeten am Galgen, andere im Gefängnis.

Al-Banna selbst war noch während der Endzeit der Monarchie von Geheimpolizisten erschossen worden, nach einem Attentat seiner Brüder auf einen Minister. Der nach al-Banna wichtigste Vordenker der MB wurde 1966 hingerichtet: Sayed Qutb. Mit dem Buch "Meilensteine" hatte er zur Gewalt gegen den "Pharao" im ägyptischen Präsidentenpalais aufgerufen. Qutb ist einer der Vordenker des militanten Islamismus.

Die Brüder haben zumindest offiziell Abstand von Gewalt genommen. Unter dem Mubarak-Regime hatten sie es dennoch schwer. Sie wurden eingesperrt, von Wahlen ausgeschlossen, bei Bedarf politisch instrumentalisiert. Dennoch bestreitet keiner, dass die Brüder die stärkste und am besten organisierte Opposition sind. Zudem sind sie eine Art Schirm für andere Fundamentalistengruppen; die palästinensische Hamas etwa erwuchs aus der ägyptischen Organisation.

Unter Mubarak haben die Brüder Ägyptens Neo-Islamisierung betrieben. Sie unterwandern Berufsverbände, unterhalten ihren eigenen Wohlfahrtsapparat in einem Land, in dem das staatliche Sozialsystem schwach ist: Kliniken, Suppenküchen, Schulen, Moscheen. Das Graswurzel-Modell funktioniert; parallel zum Trend der Neo-Islamisierung in allen arabischen Staaten ist der ägyptische Alltag re-islamisiert worden.

Das Kopftuch ist längst mehr als die traditionelle Kleidungsform der muslimischen Frau. Es ist Symbol muslimischen Selbstbewusstseins; die auf eigene Weise getragenen Bärte der Männer sind es ebenso. Jetzt müssen die Brüder bald zeigen, ob sie den nicht nur im Westen gefürchteten islamischen Staat wollen oder sich an die demokratischen Spielregeln halten.

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