Ägypten:Mit aller Macht

Präsident Abdel Fattah al-Sisi will Straffreiheit für Offiziere für die Umbruchphase nach dem Militärputsch. In den Zeitraum fällt auch das sogenannte Rabaa-Massaker - eines der blutigsten Ereignisse der Geschichte des Landes.

Von Anna Reuß

Das ägyptische Parlament hat einem Gesetzentwurf zugestimmt, der ranghohen Offizieren Straffreiheit für die Umbruchphase nach dem Militärputsch verleihen könnte. Das Gesetz, dem noch zwei Drittel der Parlamentsabgeordneten verbindlich zustimmen müssen, soll rückwirkend für den Zeitraum von 3. Juli 2013 - dem Tag des Militärputsches - bis 10. Januar 2016 gelten, dem Tag, als sich das aktuell gewählte Parlament zum ersten Mal konstituierte. In den Zeitraum fällt das sogenannte Rabaa-Massaker vom 14. August 2013: Es gilt als eines der blutigsten Ereignisse der Geschichte Ägyptens.

Damals erschossen Sicherheitskräfte unter dem Befehl des damaligen Verteidigungsministers und heutigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi Demonstranten in einem Protestlager auf dem Platz vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee im Kairoer Stadtteil Nasr City. Unter den Opfern waren viele Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohamed Mursi sowie Unterstützer der Muslimbruderschaft. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden bei den Ausschreitungen mindestens 817 Menschen von den Sicherheitskräften getötet.

Mit dem Gesetz will Präsident Abdel Fattah al-Sisi einmal mehr den Machtbereich des Militärs ausweiten. Feldmarschall al-Sisi, der erst vor wenigen Monaten bei den Wahlen mit 97 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde, nachdem er alle Herausforderer aus dem Weg räumen ließ, gilt als Hardliner, der die Zivilgesellschaft unterdrückt und so seinen Einfluss zementieren will. Doch seine Popularität im Volk schwindet: Die Mittelschicht verlor Teile ihres Vermögens, nachdem 2016 die Währung abgewertet worden war. Zudem steigen die Preise für Nahrungsmittel an. Gerade unter den jungen, urbanen Ägyptern wächst der Unmut: Die Jugendarbeitslosenquote beträgt 25 Prozent.

Der Eskalation vor dem Rabaa-Massaker waren Tage der Gewalt vorausgegangen: Mohamed Mursi war der erste gewählte Präsident Ägyptens nach dem sogenannten Arabischen Frühling. Am 3. Juli 2013 war Mursi, Kandidat der Muslimbrüder, vom Militär entmachtet worden. Die Demonstranten auf dem Rabaa-Platz hatten dort campiert und gefordert, dass Mursi als Präsident wiedereingesetzt werde.

Ein neues Gesetzesvorhaben sieht auch eine Reihe von Privilegien für die Streitkräfte vor

Erst Ende Juni 2018, fünf Jahre nach den Ereignissen, wurde von einem Gericht in Kairo der Urteilsspruch in einem Massenprozess gegen 739 Personen verschoben, die an den Demonstrationen beteiligt gewesen sein sollen, darunter ranghohe Mitglieder der Muslimbruderschaft. Ihnen wird Anstiftung zu Gewalt vorgeworfen. Vielen von ihnen droht die Todesstrafe. Von den an den Ausschreitungen im Jahr 2013 beteiligten Sicherheitskräften wurde indes bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen. Führende Militärmitarbeiter dürften gemäß dem neuen Gesetzesentwurf auf Immunität für die damals begangenen Straftaten hoffen. Präsident al-Sisi hätte laut der Vorlage persönlich die Befugnis zu entscheiden, welche Militärbeamten straffrei gestellt werden.

Zudem könnten ranghohe Offiziere wieder in den aktiven Dienst gehoben werden. Gegen sie dürften weder Untersuchungen noch Gerichtsverfahren geführt werden. Der Entwurf sieht auch eine Reihe von Privilegien für bestimmte Angehörige der Streitkräfte vor: Sie sollen einen Status als Reservisten erhalten, welcher sie lebenslang vor Strafverfolgung für bereits begangene Straftaten schützt. Ihnen soll auch eine Art diplomatische Immunität für Reisen ins Ausland gewährt werden, die sonst nur Mitarbeiter in Auslandsvertretungen bekommen. Die unabhängige Nachrichtenplattform Mada Masr zitiert einen Abgeordneten, der sich anonym äußerte: Er nannte das Gesetz verfassungswidrig. Der regierungsnahe Parlamentssprecher Ali Abdel Aal sagte indes, das Gesetz verstoße nicht gegen die Verfassung: "Es ehrt jene, die ihr Leben opferten."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: