Ägypten:Kampfplatz Sinai

Police inspects cars going into the airport of the Red Sea resort of Sharm el-Sheikh

Seit dem Flugzeugabsturz, der vermutlich durch eine Bombe verursacht wurde, zeigt sich Ägyptens Polizei wachsamer, hier in Scharm el-Scheich.

(Foto: Asmaa Waguih/Reuters)

Die ägyptische IS-Filiale gilt als gefährlichster Ableger der Terrormiliz, deren Kerngruppe in Syrien und Irak wütet. Ihre kampferprobten Dschihadisten attackieren Polizisten, Soldaten - und auch ausländische Ziele.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

El-Marg ist eines der ebenso dicht besiedelten wie unübersichtlichen ärmeren Viertel im Großraum Kairo; 30 000 Menschen leben hier auf einem Quadratkilometer, ein Labyrinth aus engen Straßen und Wohnhäusern. Hier hat die Polizei laut ägyptischem Innenministerium am Montag Ashraf Ali el-Gharably erschossen. Er soll der für Kairo zuständige Kommandeur der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen sein, verantwortlich für mehrere Attentate, darunter den Anschlag auf den damaligen Innenminister Mohammed Ibrahim Anfang September 2013. Damals nannte sich die Gruppe, der el-Gharably angehörte, noch Ansar Beit al-Maqdis, zu deutsch Unterstützer Jerusalems. Und im Bekennervideo zu dem Selbstmordanschlag wurde Aiman al-Zawahiri eingeblendet, der Emir des Terrornetzwerks al-Qaida und Nachfolger des Erzterroristen Osama bin Laden.

Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der ägyptischen IS-Filiale macht verständlich, warum westliche Geheimdienste sie für den gefährlichsten unter den Ablegern der Terrormiliz halten, deren Kerngruppe in Irak und Syrien wütet - und ihr einen Bombenanschlag auf die am vorvergangenen Samstag über der Sinai-Halbinsel abgestürzte russische Passagiermaschine mit 224 Menschen an Bord zutrauen: Die Gruppe besteht aus kampferprobten Dschihadisten, die teils enge Verbindungen zur Al-Qaida-Spitze in Pakistan und Afghanistan hielten, bevor die Gruppe im internen Wettstreit der Dschihadisten im November 2014 das Lager wechselte und dem Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi Treue schwor.

Der Selbstmordattentäter etwa, der versuchte, Innenminister Ibrahim zu ermorden, ein früherer Major der ägyptischen Armee: Laut dem Bekennervideo hatte er in Afghanistan gekämpft, auch in Syrien. Und er war in Iran für ein Jahr inhaftiert worden, als versuchte, nach Irak zu gelangen.

Ägyptens Regierung kämpft seit mehr als zehn Jahren gegen islamistische Aufständische auf der Sinai-Halbinsel. Sie rekrutierten sich aus Beduinen der lange vernachlässigten Region, ägyptischen Dschihadisten und solchen aus dem Gazastreifen. 2004 und 2005 verübten sie Anschläge auf Hotels in Taba und Scharm el-Scheich.

Nach dem Umsturz in Ägypten 2011 wurde der Sinai zum Tummelplatz für Extremisten; einige von ihnen kamen in der Zeit der Militärherrschaft oder später während der Regierungszeit der Muslimbruderschaft aus ägyptischen Gefängnissen frei oder brachen aus. Manche kehrten aus dem Irak in die Heimat zurück, zudem stießen ausländische Kämpfer und militante Palästinenser aus dem Gazastreifen hinzu, die sich mit der Hamas angelegt hatten.

Zunächst sahen die Dschihadisten den Sinai als einen Ausgangspunkt für Angriffe auf Israel. Dutzende Male sprengten sie die Pipeline, über die Ägypten Gas an das Nachbarland lieferte. Mit neuer Stärke flammte die Gewalt auf, nachdem Ägyptens Militär im Sommer 2013 in Kairo den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet hatte, sie richtete sich seither vor allem gegen die Armee und die Polizei.

Da hatten die Extremisten schon weitgehend ungestört zwei Jahre lang Strukturen aufbauen und in der spärlich besiedelten Wüstengegend ihre Kämpfer trainieren können. Das Chaos in Libyen ermöglichte ihnen zudem, an moderne Waffen zu gelangen; vermutlich stammen von dort schultergestützte Igla-Luftabwehrraketen und Kornet-Panzerabwehrraketen aus russischer Produktion, die sie bei mehreren Angriffen auf die Armee eingesetzt haben.

Ansar Beit el-Maqdis, zwischenzeitlich auf mehrere Tausend Mann geschätzt, gelang es, ins Nil-Delta und nach Kairo einzusickern. Die Gruppe bekannte sich zu Anschlägen auf das Sicherheitsdirektorat in Mansoura im Dezember 2013 und im Januar 2014 auf das Polizeihauptquartier in der Hauptstadt, bei dem das gegenübergelegene Museum für Islamische Kunst schwer beschädigt wurde. Beide Male zündeten die Terroristen Autobomben mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff.

Im Laufe des Jahres 2014 mehrten sich Hinweise auf Verbindungen nach Syrien und Irak zu den dortigen Kommandeuren des Islamischen Staats, der im Sommer große Gebiete in beiden Ländern eroberte. Die im November 2014 ausgerufene "Provinz Sinai" soll um finanzielle Hilfe und taktische Unterweisung gebeten haben. Geheimdienste sehen in Ägypten die größte Gefahr, dass die Dschihadisten militärische und organisatorische Strukturen übernehmen, die von Ex-Geheimdienstlern und Armeeoffizieren des gestürzten irakischen Diktators Saddam Hussein ersonnen worden sind. Dafür sprechen Versuche, Beduinen-Stämme auf dem Sinai zu unterwandern, um die Bevölkerung kontrollieren zu können. Ähnlich war der IS in Syrien bei sunnitischen Stämmen vorgegangen.

Die Antwort der Armee: eine Operation mit angeblich mehr als 650 toten Terrorverdächtigen

Die Provinz Sinai attackiert fast täglich ägyptische Soldaten und Polizisten und hat mehrere schwere und komplexe Angriffe auf die Armee verübt. Im Einklang mit der Ideologie des Islamischen Staates versucht sie, im Sinai Territorium unter Kontrolle zu bringen. Anfang Juli überrannten die Extremisten im Morgengrauen den Ort Sheikh Zuweid und die dortige Polizeistation. Die Armee brauchte 24 Stunden, um den Angriff abzuwehren, und musste F-16-Kampfjets und Apache-Hubschrauber herbeirufen. Die Armee antwortete mit einer massiven, wochenlangen Operation, die bis heute andauert. Mehr als 650 Terrorverdächtige will sie dabei getötet haben.

Auch nahmen die Dschihadisten ausländische Ziele ins Visier. So soll der nun erschossene IS-Mann für die Enthauptung eines Kroaten verantwortlich sein, der Mitte August auf einer viel befahrenen Straße nördlich von Kairo aus seinem Auto gekidnappt wurde. Zudem zündeten sie eine schwere Autobombe vor dem italienischen Konsulat in Kairo . Zu diesem Anschlag und der ebenfalls mit einer Autobombe verübten Attacke auf das Hauptquartier der Staatssicherheitspolizei in Schubra al-Khaima bekannte sich allerdings der "Islamische Staat Ägypten". Es ist nicht klar, ob diese Gruppe aus der "Provinz Sinai" hervorgegangen ist oder wie sie mit ihr in Verbindung stehen. Für das Attentat auf Generalstaatsanwalt Hischam Barakat übernahm die Gruppe Ajnad Misr die Verantwortung - die Ansar Beit al-Maqdis früher als Brüder bezeichnet hatte.

Eine Attacke des IS auf einen Ferienflieger wäre eine neue Qualität der Gewalt, der wohl schwerste Anschlag seit dem 11. September 2011 und zudem neu für den Islamischen Staat. Al-Qaida dagegen hat immer auf den "fernen Feind" USA gezielt und wiederholt versucht, Flugzeuge zum Absturz zu bringen. Sowohl die Ideologie als auch Taktiken der Qaida aber sind den Kadern der Provinz Sinai bekannt - sie waren ja früher Qaida-Leute. Die Geheimdienste dürften sich jetzt noch mehr für Verbindungen zwischen Extremisten auf dem Sinai und der in Jemen ansässigen al-Qaida auf der arabischen Halbinsel interessieren. Diese hat die gefährlichsten Bombenbauer in ihren Reihen, die Flüssigsprengstoff und neuartige Sprengsätze entwickelt haben, um die Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen zu überwinden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: