Ägypten:Im Zeichen der Gewalt

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Für die Kopten ist es das Halbjahr mit den meisten Toten in der jüngeren Geschichte des Landes: Bei einem Angriff auf einen Reisebus sterben mindestens 28 Menschen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Bei einem Anschlag auf Christen in Ägypten sind am Freitag mindestens 28 Menschen getötet und 22 weitere verletzt worden, wie das Gesundheitsministerium in Kairo bekannt gab. Einige befanden sich in Lebensgefahr, unter den Opfern sind mindestens zwei Kinder. Unbekannte Angreifer attackierten die zwei Busse der Kopten und einen Pritschenwagen mit automatischen Gewehren auf der Zufahrtsstraße zum Kloster Sankt Samuel, das an einem kleinen See am Ende eines Wadi in der Wüste liegt, 15 0 Kilometer südlich Kairos. Es war der vierte schwere Anschlag binnen sechs Monaten auf die christliche Minderheit in Ägypten. Kopten machen etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus, die auf 93 Millionen gewachsen ist.

Die letzte Anschlagsserie auf Kopten in Ägypten liegt noch keine zwei Monate zurück: Während eines Gottesdienstes zum Palmsonntag explodierte in einer Kirche in Tanta eine Bombe, mehr als 20 Menschen kamen ums Leben. Damals bekannte sich die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zu der Tat. (Foto: Mohamed Abd el Ghany/Reuters)

Zu den Bombenattentaten auf Kirchen in Kairo im Dezember mit 29 Toten sowie an Palmsonntag in Tanta und Alexandria mit insgesamt 47 Opfern hatte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt. Sie hatte mit weiteren Anschlägen auf Kopten gedroht. Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte nach den Attacken landesweit den Ausnahmezustand verhängt. Am Freitagabend teilte al-Sisi bei einer Ansprache mit, ägyptisches Militär gehe gegen Terroristen vor: "Während ich mit euch rede, werden die Lager, in denen diese Terroristen Unterschlupf haben, hart angegriffen." Ägypten werde die Terroristen angreifen, egal wo sie seien, so al-Sisi: "In den vergangenen drei Monaten, "haben wir mehr als 300 Fahrzeugen zerstört, die von Libyen über die Grenzen kamen". Das Staatsfernsehen meldete, Ägyptens Luftwaffe greife Terrorlager bei Derna in Libyen an. Für den Angriff bei Minya am Tag vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan übernahm zunächst niemand die Verantwortung. Er unterscheidet sich von bisherigen Selbstmordanschlägen. In den vergangenen Tagen gab es Anschlagswarnungen westlicher Botschaften, die sich aber auf ein Drohvideo der Terrorgruppe Hassm bezogen; sie rekrutiert sich nach Einschätzung westlicher Geheimdienste aus Mitgliedern der verbotenen Muslimbruderschaft. Sie griff bisher aber, anders als der IS, ausschließlich Armee, Polizei und andere ägyptische Staatsvertreter an. Von dem jüngsten Anschlag berichteten Zeugen, nur drei Kinder der Gruppe hätten überlebt; sie waren mit erwachsenen Begleitern von Beni Suef zu dem Kloster gefahren, um dort zu beten. Der Pritschenwagen transportierte Arbeiter und Gärtner, die ebenfalls zum Kloster wollten. Laut Zeugen stoppten acht bis zehn Männer mit Militäruniformen und Sturmhauben die Fahrzeuge und eröffneten das Feuer. Die Polizei sperrte das Gebiet auf der Suche nach den Tätern ab. Das Fernsehen zeigte Bilder der mit Einschusslöchern übersätenWracks. In der Provinz Minya, die mit bis zu 50 Prozent den höchsten Christenanteil hat, gab es immer wieder Übergriffe und Anschläge auf sie. Die Region ist zugleich Hochburg militanter Islamisten. Die Terrorgruppe Jama'a al-Islamiya war hier seit den Siebzigerjahren aktiv, bis sie Ende der Neunzigerjahre den bewaffneten Kampf gegen den Staat nach eigenen Angaben einstellte. Spannungen zwischen Christen und Muslimen, die dort meist in getrennten Vierteln oder Dörfern mehr nebeneinander als miteinander leben, sind seit Monaten hoch wie die Zahl der Übergriffe. Dschihadisten-Gruppen wie der IS werfen den Kopten in Ägypten vor, den Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi 2013 unterstützt zu haben; ihr Papst Tawadros II. hatte sich nach der Machtübernahme durch das Militär z mit dem Großimam der Azhar-Universität an der Seite des damaligen Verteidigungsministers al-Sisi gezeigt. Seither wurden in Ägypten mehr als 40 koptische Kirchen angezündet oder beschädigt. Die Lage der Christen hatte sich unter der von der Muslimbruderschaft dominierten Regierung so verschlechtert, dass viele Christen deren Sturz als Befreiung sahen. Präsident Sisi hat die Weihnachtsmesse der Kopten in Kairo besucht und ihnen Schutz versprochen. Seither macht sich aber Angst unter ihnen breit, viele Kopten fragten sich, ob der Staat genug für ihren Schutz tue. Papst Franziskus sprach ihnen bei seinem Besuch in Kairo jüngst Mut. Ägyptische Militär kämpft im Norden der Sinai-Insel gegen den dortigen IS-Ableger, der mit Morden die Christen aus al-Arisch vertrieben hat; weitere IS-Zellen gibt es nach Einschätzung westlicher Geheimdienste aber im Kernland.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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