Ägypten im Umbruch:Übergangsregierung gibt Verfassungsänderung in Auftrag

Egyptian Army soldiers sit on an APC on a tram track, during a patrol, as supporters of deposed president Mursi approach the presidential palace in Cair

Gespannte Ruhe in Kairo: Am Freitagabend sind erneut Kämpfe ausgebrochen.

(Foto: REUTERS)

Ein Komitee aus Rechtsexperten soll eine neue Verfassung für Ägypten erarbeiten - das entschied Übergangspräsident Mansur. Die Anhänger der Muslimbrüder wollen sich nicht mit dem Sturz von Präsident Mursi abfinden, Zehntausende protestieren. Bei Straßenschlachten sterben drei Frauen.

Wenige Tage nach der Bildung einer Übergangsregierung ohne Beteiligung der islamistischen Wahlsieger steuert Ägypten auf eine Verfassungsänderung zu. Übergangspräsident Adli Mansur beauftragte am Samstag ein Komitee aus Rechtsexperten, von Sonntag an die Verfassung des Landes zu überarbeiten. Das meldete die staatliche Nachrichtenwebsite Al-Ahram.

Die Verfassung hatte im vergangenen Jahr eine von Islamisten dominierte Versammlung entworfen. Die Armee setzte sie außer Kraft, nachdem sie am 3. Juli den aus der islamistischen Muslimbruderschaft hervorgegangenen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet hatte. Eine überarbeitete Version muss vorliegen, bevor in Ägypten neu gewählt werden kann. Kritiker hatten in dem Gesetzestext eine Beschneidung von Freiheit und Menschenrechten bemängelt.

Die Regierung ringt um eine Stabilisierung der Lage in dem nordafrikanischen Land, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Mursis kommt. Seit dessen Entmachtung kamen dabei rund 100 Menschen ums Leben. Ägyptens neue Übergangsregierung präzisierte am Samstag zudem ihre Haltung im Syrien-Konflikt. Das Land habe nicht die Absicht, einen "Heiligen Krieg" gegen die syrische Regierung zu führen, sagte Außenminister Nabil Fahmy. Die Muslimbruderschaft Mursis hatte sich im Juni Appellen einiger sunnitischer Prediger zu einem "Dschihad" gegen Präsident Baschar al-Assad und dessen schiitische Verbündete angeschlossen. Allerdings unterstütze Ägypten weiterhin einen Wandel in Syrien, betonte der Außenminister

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat mit seinem ägyptischen Kollegen telefoniert. Fahmy habe Westerwelle den politischen Fahrplan der Übergangsregierung erläutert, teilte das Auswärtige Amt am Samstagabend in Berlin mit. Westerwelle habe seinerseits die "Notwendigkeit der Wiederaufnahme des Demokratisierungs- und Reformprozesses" in dem nordafrikanischen Land hervorgehoben. Dieser müsse "alle wesentlichen Kräfte der Gesellschaft" einschließen.

Drei Frauen sterben bei Straßenschlachten

Die Anhänger der entmachteten Muslimbruderschaft in Ägypten wollen sich mit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi nicht abfinden. Am Freitagabend und in der Nacht zum Samstag protestierten Zehntausende gegen die Absetzung des Staatschefs und lieferten sich Straßenschlachten mit dessen Gegnern, bei denen laut Ärzten drei Frauen getötet wurden. Am Samstag setzten Tausende Mursi-Anhänger mit einem Sitzstreik vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee in Kairo die Proteste fort. Zu den gewaltsamen Zusammenstößen mit drei Toten kam es in der Stadt Mansura im Nildelta. Dort wurden bei Angriffen mit Messern und Schrotmunition nach Angaben der Gesundheitsbehörden außerdem 34 weitere Menschen verletzt.

Zu schweren Auseinandersetzungen kam es auch in Qina in Oberägypten. Dort setzte die Polizei der staatlichen Zeitung Al Ahram zufolge Tränengas ein, um die verfeindeten Parteien auseinanderzuhalten. Die Mursi-Unterstützer hielten bei ihren Kundgebungen vielfach Bilder des gestürzten Politikers hoch, riefen "Mursi ist unser Präsident!" und schrien Parolen gegen Armeekommandeur Abdel Fattah al-Sisi, der den Islamisten vor mehr als zwei Wochen entmachtet hatte.

Die größte Demonstration fand vor der Raba-al-Adawija-Moschee im Osten Kairos statt, wo die Muslimbruderschaft unmittelbar vor dem Sturz Mursis ein Protest-Camp eingerichtet hatte. Gegner der Islamisten versammelten sich zur gleichen Zeit in weitaus kleinerer Zahl auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo.

Militär kündigte Härte an

Damit stieg die Zahl der seit Mursis Entmachtung durch das Militär am 3. Juli gewaltsam Getöteten auf etwa 100. Mehr als die Hälfte von ihnen starb am 8. Juli vor einer Kaserne, in der vermutlich Mursi gefangen war, im Kugelhagel der Armee. Zu Beginn dieser Woche waren bereits sieben Menschen bei Zusammenstößen der gegnerischen Lager umgekommen.

Das Militär hatte vor dem Freitagsgebet angekündigt, die Sicherheitskräfte würden jeden Versuch, bei den Protesten Gewalt anzuwenden, mit aller Härte beantworten. In Kairo zeigte die Armee stärkere Präsenz als sonst. An manchen Stellen waren Panzer zu sehen. Truppen der Bereitschaftspolizei sicherten verstärkt den Präsidentenpalast und die Zugänge zum Tahrir-Platz. Kampfflugzeuge donnerten im Tiefflug über die Stadt.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi war am 3. Juli nach Massenprotesten gegen seine Herrschaft vom Militär gestürzt worden. Das Militär setzte eine zivile Übergangsregierung ein, die das Land zu Neuwahlen in sechs Monaten führen soll. Die Gefolgsleute des Islamisten fordern eine Wiedereinsetzung des Präsidenten, der demokratisch gewählt worden war. Mursi wird seit dem Umsturz an einem unbekannten Ort und ohne formelle Anklage festgehalten.

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