Ägypten:Die längsten Tage des Jahres

An Egyptian baker is seen beside a vegetable market in Cairo

Ein Händler verkauft in Kairo Brot. Um Punkt sieben Uhr abends ertönt im Ramadan das ersehnte Zeichen, dass das Fasten gebrochen werden darf.

(Foto: Mohamed Abd El Ghany/Reuters)

Viele Ägypter leiden unter den gestiegenen Preisen für Lebensmittel. Die Landeswährung musste gegenüber dem Dollar um 13 Prozent abgewertet werden.

Von P.-A. Krüger, Kairo

Ramadan ist die beste Zeit des Jahres für Said el-Essawi. Im Fastenmonat der Muslime deckt Allah den Tisch, el-Essawi kann besser essen als den Rest des Jahres. Mit neun anderen Männern sitzt der 65-Jährige in eine graue Galabeya gekleidet, Schulter an Schulter um eine Tafel, aus einer weißen und einer braunen Holzplatte zusammengestückelt. Darauf stehen in Styroporschalen Foul, eine braune Paste aus gekochten Fava-Bohnen, Gurken und Tomaten, scharf eingelegtes Gemüse, Fladenbrot und Rucola-Blätter. Für jeden gibt es ein Plastiktöpfchen mit Makkaroni, Kartoffeln, einem gegrillten Hühnerschenkel, dazu Wassermelonen-Stücke und Qatayef, mit Nüssen gefüllte, goldgelb frittierte Teigtaschen, die in Zuckersirup getränkt werden, ein typisches Ramadan-Dessert. Für viele Ägypter, von denen ein Viertel unter der Armutsgrenze von 1,50 Euro pro Tag lebt und viele andere nur knapp darüber, ist das ein Festmahl, das sie sich sonst nicht leisten können. Jeden Abend treffen sie sich in diesen 30 Tagen in einer der engen Gassen zwischen einst herrschaftlichen Häusern im Kairoer Innenstadt-Viertel al-Asbakeya. Am Tag verkaufen Händler hier Autoersatzteile, am Nachmittag stellen ihre Mitarbeiter Tische und Stühle auf für das Iftar-Bankett, das traditionelle Fastenbrechen nach Sonnenuntergang. 1200 Menschen bewirten die Brüder Mohammed und Mahmoud el-Gharib hier, wohlhabende Geschäftsleute. Jeden Abend im Ramadan. 1700 weitere holen sich Essen ab und nehmen es mit nach Hause, sagt Mahmoud el-Gharib. Den Armen zu geben ist Pflicht für die Muslime, im Ramadan noch mehr als sonst.

Um Punkt sieben Uhr abends ertönt der Ruf "Allahu Akbar" von der nahen Moschee. Es ist das ersehnte Zeichen, dass die Sonne untergegangen ist, das Fasten gebrochen werden darf. Sechzehn Stunden haben die Männer nicht getrunken, nicht gegessen, keine Zigarette geraucht. Es sind die längsten Tage des Jahres, bei mehr als 40 Grad im Schatten. Die Gespräche ersterben mit einem Schlag, alle greifen zu den Plastikbechern mit einem aus Dattelpaste bereiteten süßen Getränk, auf dem Kokosflocken schwimmen. In einem Zug trinken sie es hastig aus.

Mahmoud el-Gahrib will nicht darüber reden, was ihn die Großzügigkeit kostet. "Das bleibt zwischen Gott und seinem Diener", sagte er. Aber dass es teurer geworden ist, daraus macht auch er keinen Hehl. "Vor ein paar Jahren habe ich ein Kilo Huhn für 5 Pfund kaufen können, heute sind es 25 Pfund", sagt er. Kostete ein Kilo Reis vor drei Monaten regulär noch vier Pfund, sind es jetzt zehn. Insgesamt sind die Nahrungsmittelpreise durchschnittlich um 25 bis 30 Prozent gestiegen, einzelne Produkte kosten sogar das Doppelte.

Die Zentralbank hat Mitte März die Landeswährung um fast 13 Prozent gegenüber dem Dollar abgewertet - abwerten müssen. Diesen Schnitt, den größten seit 13 Jahren, hatten Ökonomen für längst überfällig gehalten: Ägypten verbrannte Milliarden Dollar, um sein Pfund künstlich zu stützen; die Devisenreserven waren auf weniger als 16 Milliarden Dollar zusammenschnurrt. Das reicht gerade, um die Importe für drei Monate zu bezahlen, und Ägypten ist auch bei Grundnahrungsmitteln auf Einfuhren angewiesen; das Land mit seiner inzwischen auf 91 Millionen Menschen angewachsenen Bevölkerung ist der größte Weizenkäufer der Welt.

Aish ist in Ägypten das Wort für Brot - und zugleich für das Leben. Wenn es davon nicht genug gibt, ist das politischer Sprengstoff, das weiß das Regime nur zu gut. Präsident Abdelfattah al-Sisi versprach im April, Preise für Grundnahrungsmittel würden nicht steigen, zumindest nicht vor Ramadan. Der Staat und die Armee seien verantwortlich dafür.

Im Ramadan geben Ägypter zweieinhalb mal mehr für Essen aus als sonst

Viele Menschen sparen das ganze Jahr auf den Monat hin, um sich dann Fleisch leisten zu können, Nüsse und Trockenfrüchte. Das Fastenbrechen und Zusammensein mit der Familie ist ihnen sehr wichtig, zu eigens produzierten Ramadan-Serien werden Berge von Süßigkeiten genascht. Das Statistikamt erwartet, dass die Ägypter im Fastenmonat 40 Milliarden Pfund für Essen ausgeben, zweieinhalb mal soviel wie in einem normalen Monat. Doch im Mai schon, als viele mit den Einkäufen begannen, sprang die Inflation nach offiziellen Angaben auf 12,3 Prozent, der höchste Stand seit sieben Jahren.

Das Wirtschaftsministerium kündigte an, die Lebensmittelsubventionen von Juni an um 20 Prozent zu erhöhen, doch klagen die Menschen, dass selbst Grundnahrungsmittel wie Reis, Öl und Zucker knapp sind in den staatlichen Läden. Das Militär verkauft aus Lastwagen verbilligte Lebensmittel, die eigentlich für die Versorgung der Soldaten gedacht sind. Zwar ist das ein einfacher Weg, dem Volk zu zeigen, wer sich um seine Nöte kümmert, zugleich verschärft die Regierung damit die Situation. Das Militär ist von Steuern ausgenommen und beschäftigt Wehrpflichtige, private Anbieter können da nicht mithalten und werden aus dem Markt getrieben, klagen Geschäftsleute.

Mit hohen Einfuhrzöllen auf Luxusprodukte, vieles davon nicht wirklich luxuriös, versucht die Regierung den Abfluss von Devisen zu bremsen - ein Ärgernis für die Wohlhabenden, unter denen Sisi einst viele Unterstützer hatte. Auch die spüren die Dollarkrise: Importierte Autos etwa oder elektronische Geräte werden immer teurer. Bei den Banken ist harte Währung knapp, durch die Krise im Tourismus versiegen die Deviseneinnahmen. Es bleiben nur die Schwarzhändler, und sie verlangen schon wieder gut elf Pfund für den Dollar, während die Zentralbank versucht, den offiziellen Kurs bei 8,87 Pfund zu halten.

Mahmoud el-Gharib lässt sich davon nicht beirren. "Wir bieten unseren Gästen das Gleiche an wie in alle den Jahren zuvor", sagte er. Seit mehr als 35 Jahren richten er und sein Bruder die Iftar-Tafel aus. Inflation und Dollarkrise hin oder her. "Sie essen elf Monate Foul und Tameya", die ägyptische Variante von Falafel. Deswegen gibt es bei ihm weiter Fleisch. "Das ist eine Pflicht des Glaubens", sagt er. Halb acht ist es jetzt, die letzten Tische leeren sich. Auch Mahmoud el-Gharib muss los, sich um die Einkäufe kümmern für den nächsten Tag.

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