Absturz des polnischen Präsidentenflugzeugs:Leichen sollen vertauscht worden sein

Mehrere Tote mussten schon exhumiert werden: Nach dem Absturz der polnischen Regierungsmaschine vor zwei Jahren sind offenkundig mehrere Opfer vertauscht und Leichen in falschen Gräbern bestattet worden. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, dessen Bruder Lech als Präsident auch unter den Opfern war, spricht von einem "gigantischen Skandal".

Klaus Brill, Warschau

Die Tragödie um den Absturz der Präsidentenmaschine bei Smolensk im Jahr 2010 hat in Polen neuerlich politische Auseinandersetzungen heraufbeschworen. Das Parlament in Warschau debattierte am Donnerstag über die jüngst gemachte Entdeckung, dass offenkundig die Leichen von mehreren der 96 Toten seinerzeit vertauscht und im falschen Grab bestattet worden sind.

Der nationalkonservative Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, dessen Bruder Lech Kaczynski als Präsident ebenfalls unter den Opfern war, sprach von einem "gigantischen Skandal". Die Vorwürfe richten sich ebenso an die Adresse der russischen Behörden wie an die polnische Regierung des Ministerpräsidenten Donald Tusk.

Präsident Kaczynski war am 10. April 2010 mit seiner Frau Maria und 94 weiteren hochrangigen Begleitern auf dem Weg ins russische Smolensk. Er wollte im nahegelegenen Katyn der 4400 polnischen Offiziere gedenken, die dort 1940 auf Befehl Stalins von den Sowjets erschossen worden waren. Beim Landeanflug in Smolensk stürzte die Präsidentenmaschine ab, und alle Insassen kamen ums Leben.

Mehrere Leichen wurden exhumiert

Die Leichen wurden damals mit polnischer Hilfe von russischen Kriminalisten identifiziert. Dabei kam es offenbar zu Verwechslungen. Dies bestätigte sich am Fall der legendären Danziger Kranführerin Anna Walentynowicz, die 1980 eine führende Rolle bei den Streiks in der Lenin-Werft und bei der Gründung der Gewerkschaft Solidarität gespielt hatte. Sie gehörte ebenso wie die Spitze des polnischen Militärs, führende Abgeordnete aller Parlamentsfraktionen und zahlreiche weitere hochrangige Persönlichkeiten zur Delegation des Präsidenten Kaczynski und kam 81-jährig in Smolensk ums Leben. Ihre Familie ließ die seinerzeit in Danzig bestatteten sterblichen Überreste jetzt exhumieren und einen genetischen Vergleich anstellen. Dabei ergab sich, dass es sich gar nicht um Anna Walentynowicz handelte.

In Warschau wurde zugleich auf Wunsch der Angehörigen das Grab von Teresa Walewska-Przyjalkowska geöffnet, die als Präsidentin einer Katyn-Stiftung ebenfalls unter den Opfern war. Nach Presseberichten vom Donnerstag erwägen jetzt die Angehörigen von 15 weiteren Opfern, die Leichen ausgraben zu lassen, um Gewissheit über die Identität der dort Beerdigten zu erlangen. "Ich bin nicht sicher, ob die Leiche meines Mannes in diesem Grab liegt, deshalb habe die Exhumierung beantragt", sagte beispielsweise die Witwe des stellvertretenden früheren Kulturministers Tomasz Merta, Magdalena Merta, im polnischen Rundfunk.

Vorwürfe an die russischen Behörden

Ebenso wie sie erheben nun auch Politiker der nationalkonservativen Opposition den Vorwurf, die russischen Behörden hätten seinerzeit geschlampt. In einer Untersuchung war schon zum Jahresanfang festgestellt worden, dass Leichen falsch benannt oder Leichenteile falsch zugeordnet worden waren.

Radikale Anhänger des toten Präsidenten Kaczynski hatten immer wieder sogar Vermutungen geäußert, der Flugzeugabsturz gehe auf einen russischen Anschlag zurück. Zudem vermuten sie, dass bei den Untersuchungen die wahren Umstände des Hergangs vertuscht worden. Hingegen hieß es in einem Untersuchungsbericht der polnischen Staatsanwaltschaft, die Landung in Smolensk habe nie stattfinden dürfen, weil der Flughafen eigentlich schon stillgelegt gewesen sei. Außerdem habe der polnische Navigator an Bord die falsche Flughöhe abgelesen.

Der polnischen Regierung wird nun vorgeworfen, sie habe es versäumt, 2010 nach Übergabe der Särge eine zweite Autopsie zu veranlassen. Dies sei skandalös und habe gegen kriminalistische Regeln verstoßen, erklärte Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski im Fernsehen. Zugleich äußerte er sich überzeugt, dass im Falle seines Bruders und seiner Schwägerin, die er persönlich identifiziert hatte, eine Verwechslung nicht vorgekommen sei. Die beiden wurden in der Kathedrale des Königsschlosses in Krakau beigesetzt.

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