Abstimmung der Berliner SPD:Gebt das Cannabis frei - Ja, Nein, Vielleicht?

Cannabis

Die Berliner SPD stimmt über die Legalisierung von Cannabis ab.

(Foto: dpa)
  • Die Berliner SPD fragt ihre Mitglieder: Soll sich der Landesverband auf Bundesebene für eine Legalisierung von Cannabis einsetzen?
  • Mediziner, Juristen und Gesundheitspolitiker sprechen sich immer häufiger für eine Legalisierung aus, in der Berliner SPD gibt es aber große Vorbehalte.
  • Die Befragung widmet sich auch weiteren strittigen Themen, die 2016 in Berlin ins Wahlprogramm der SPD einfließen sollen.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Toxikologisch ist Cannabis weniger gefährlich als Alkohol. Die Kriminalisierung der Droge hält keinen einzigen Jugendlichen vom Kiffen ab. Im Gegenteil, dadurch ist ein ungezügelter Schwarzmarkt entstanden - ohne Jugendschutz, ohne Kontrollmöglichkeiten. Letztlich nützt das Verbot nur den Drogenkartellen in Mexiko und anderswo: So in etwa hört sich das an, wenn ein Mediziner, ein Entwicklungsexperte und "Deutschlands härtester Jugendrichter" über Cannabis diskutieren.

Der Berliner Richter Andreas Müller, Sebastian Sperling, Südamerika-Referent der Friedrich-Ebert-Stiftung, und Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, waren am Montagabend zu einer Gesprächsrunde nach Moabit gekommen. Eingeladen hatte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, Thomas Isenberg. Aus aktuellem Anlass: Die Berliner SPD wird in den kommenden Wochen ihre Mitglieder fragen, ob sie sich auf Bundesebene für eine Legalisierung von Cannabis einsetzen soll.

Die Führung der Berliner SPD ist gegen eine Legalisierung

Die Drogenpolitik ist nur eines von zwölf Themen, zu denen die Partei ein Stimmungsbild einholen will. Es geht zum Beispiel auch um das Straßenbahnnetz in Berlin und um die Frage, ob Lehrerinnen, Richterinnen und Polizistinnen ein Kopftuch tragen dürfen. Parteichef Jan Stöß spricht von "Basisdemokratie, wie sie Berlin noch nicht gesehen hat". Die Ergebnisse sollen ins Programm der SPD für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 einfließen.

Mit ihrer Frage nach einem Einsatz für die Legalisierung von Cannabis auf Bundesebene setzt die SPD von vornherein einen anderen Schwerpunkt als etwa die Grünen in Kreuzberg. Die versuchten kürzlich, Coffeeshops in einem deutschlandweit einzigartigen Modellprojekt einzurichten - und sind damit beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte abgeblitzt.

SPD-Gesundheitspolitiker Isenberg setzt sich bereits seit längerem gemeinsam mit anderen Fachpolitikern der SPD für eine Legalisierung ein - wobei er wie viele andere Befürworter lieber von "Regulierung" spricht. Denn er ist keinesfalls für eine schrankenlose Freigabe: Der Verkauf von Cannabis in Fachgeschäften soll nach seiner Vorstellung streng kontrolliert werden, Jugendliche grundsätzlich keinen Zugang zu der Droge erhalten. Über die Mitgliederbefragung freut er sich: "Das ist eine tolle Möglichkeit."

"Deutschlands härtester Jugendrichter" ist für die Legalisierung

Er fühlt sich auch gut unterstützt von der Parteiführung, obwohl die in Berlin eine andere Meinung vertritt als er. Sein Parteichef Stöß ist gegen eine Legalisierung. Er begründet das mit seiner beruflichen Erfahrung als Richter. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller ist ebenfalls skeptisch - aufgrund persönlicher Erfahrungen in seinem Bekanntenkreis. In einer Forsa-Umfrage plädierten berlinweit nur 29 Prozent der SPD-Wähler für eine Freigabe der Droge, das entspricht etwa der deutschen Gesamtbevölkerung. Vielen Gegnern einer Legalisierung gilt Cannabis als Einstiegsdroge, sie fürchten vor allem die Folgen für Kinder und Jugendliche.

Die Experten in der von Isenberg initiierten Diskussionsrunde geben ihm hingegen Recht. Sie sind sich einig, dass die bisherige Drogenpolitik fehlgeschlagen ist, eine Legalisierung von Cannabis unausweichlich sei. "Das Cannabis-Gesetz hat Opfer unter Jugendlichen geschaffen", wird etwa Jugendrichter Andreas Müller nicht müde zu betonen. Müller, der mit seinen ungewöhnlichen Urteilen für jugendliche Intensivtäter als "Deutschlands härtester Jugendrichter" bekannt geworden ist, setzt sich für eine Entkriminalisierung ein.

"Wer im Publikum hat schon einmal gekifft?"

"Mein eigener Bruder hat Cannabis genommen, während mein Vater sich totgesoffen hat", erzählt er offen. Sein Bruder sei stigmatisiert und von der Schule geschmissen worden, im Heim und schließlich bei Heroin gelandet. Vor zwei Jahren habe er sich das Leben genommen. "Geholfen hätte ihm ein offener Umgang mit der Droge", sagt er. "Ich hatte auch als Richter schon zu viele Kiffköpfe vor mir, denen ich gerne geholfen hätte." Das sei jedoch aufgrund der Stigmatisierung der Droge häufig nicht möglich.

Und das, obwohl sie inzwischen weit verbreitet sei. Er wolle da keinen Unterschied machen, ob jemand nach der Arbeit zwei Gläser Wein trinke, oder einen Joint rauche. "Wer im Publikum hat denn schon einmal gekifft?", ruft Richter Müller nach der Diskussionsrunde in den Raum. Zahlreiche Hände gehen nach oben - nicht nur von jüngeren Zuschauern. "Aha, die halbe Sozialdemokratie", scherzt er. In der Tat sind an diesem Abend die meisten der etwa drei Dutzend Zuschauer für eine Legalisierung - wenn auch bestimmt nicht "die halbe Sozialdemokratie", wie die Umfragen zeigen.

Prävention statt Strafverfolgung

"Es gibt Wirkungen von Cannabis, die sind in höchstem Maße erwünscht", ergänzt Mediziner Jonitz eine weitere Komponente der Debatte. So könne die Droge zum Beispiel bei AIDS-Patienten den Appetit fördern, helfe auch gegen Schmerzen und Übelkeit. "Die Verbotspolitik schadet mehr, als sie nützt. Die Nachfrage bleibt, das Angebot bleibt oder steigt und das organisierte Verbrechen gewinnt", beschreibt Entwicklungsexperte Sperling schließlich die internationale Dimension.

Immer mehr Experten - Ärzte, Juristen, Gesundheitspolitiker - sprachen sich in den vergangenen Monaten für eine Entkriminalisierung aus. Die Argumente ähneln sich: Cannabis sei längst in der Bevölkerung angekommen und die Stigmatisierung vor allem im Vergleich zur weit gefährlicheren Droge Alkohol nicht zu begründen. Die Strafverfolgung koste außerdem viel Geld und Personal, das anderswo besser eingesetzt wäre. Zum Beispiel in der Prävention und im Jugendschutz. Das betonen auch Mitarbeiterinnen von Berliner Suchthilfe-Stellen, die im Publikum sitzen.

Für Kinder und Jugendliche besonders gefährlich

Besonders der letzte Punkt ist allen wichtig. "Cannabis ist gerade für Kinder und Jugendliche saugefährlich", sagt Mediziner Jonitz, "Cannabis ist nicht harmlos." Das liege nicht zuletzt daran, dass der THC-Gehalt in den handelsüblichen Präparaten in den vergangenen zehn Jahren um das vierfache gestiegen sei. Entwicklungsexperte Sperling betont: "Regulierung ist das Gegenteil von Verharmlosung."

Richter Müller greift zum Schluss der Diskussionsrunde insbesondere die Sozialdemokraten an. "Die SPD ist in den 40 Jahren Cannabis-Prohibition nicht gerade sozial gewesen", sagt er. "Deswegen sind wir ja heute hier", kontert Isenberg.

Nicht ganz so leicht wird er es in seiner eigenen Partei haben, die es in den kommenden Wochen zu überzeugen gilt. Wie die Mehrheit der Berliner SPD zu Cannabis steht, wird sich bis zum 14. November zeigen. Dann werden die Ergebnisse der Befragung veröffentlicht.

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