Abschied von Wowereit:Die Schwäche der Weltstadt Berlin

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit

Klaus Wowereit lehnt sich zurück: Der Regierende Bürgermeister gibt nach 13 Jahren sein Amt auf.

(Foto: dpa)

Klaus Wowereit gibt nach 13 Jahren sein Amt als Regierender Bürgermeister von Berlin auf. Sein Nachfolger wird nun gebraucht, um den Schalter umzulegen in einer Stadt, die ihrer Größe noch nicht gerecht geworden ist.

Kommentar von Jens Schneider

Falls es jemand noch nicht weiß, soll dies auch hier noch mal festgestellt werden, zum Abschied von Klaus Wowereit: Er hat nie Champagner aus einem roten Frauenschuh getrunken. Er hat das nur angedeutet für jenes Foto, das seine Reputation als Party-Bürgermeister begründete. Das war ein Ruf, der ihm erst nutzte und später um so mehr schadete.

Nun gibt der Regierende Bürgermeister nach 13 Jahren sein Amt auf. Er hatte es vor vier Monaten angekündigt, seither erlebte die Hauptstadt ein Interregnum des Nichts. Vielleicht ist das typisch Berlin: Es wurde kaum noch entschieden, wenig neu begonnen. Man schwelgte in Anekdoten wie der vom roten Schuh, herzte ihn ("Ach, Klaus") wie ein Maskottchen bei vielen Anlässen und freute sich, wie toll alles geworden ist.

Berlin hat sich toll gemacht

Ja, Berlin hat sich toll gemacht, auch wegen dieses ewig Regierenden - vor allem, wenn man bedenkt, welch düstere Perspektiven die Stadt 2001 hatte, als er anfing. Gewonnen hat sie nicht nur an Attraktivität. Unter Wowereit gewöhnte man sich eine solidere Finanzpolitik an, die Wirtschaft wuchs beachtlich.

Vor allem aber entwickelte Berlin Anziehungskraft, die weit über das Programm für Touristen hinausreicht und viele Menschen verlockt, in der Stadt zu leben, zuletzt jedes Jahr 50 000 zusätzlich. Natürlich spielt Berlin in einer anderen Liga als andere deutsche Großstädte. Es ist putzig, wenn in Hamburg oder München darüber noch neidische Debatten geführt werden.

Putzig ist aber auch, wie sehr Berlin sich zu Wowereits Abschied seiner Bedeutung versichern muss - als bräuchte man Trostpflaster für die aufgestauten Probleme, über die man kaum reden mag, weil sie so allgegenwärtig sind.

Nach 13 Jahren Wowereit - den Schalter umlegen

Da sind die maroden S-Bahnen und überfüllten U-Bahnen, die fehlenden Wohnungen, eine konzeptlose Flüchtlingspolitik, die überstrapazierte Verwaltung. Offenbar fehlte es zuletzt an Steuerung und Konstanz, in dieser Diskrepanz zwischen dem Wachstum und den Kapazitäten liegt die Schwäche der Weltstadt.

Wowereits Nachfolger Michael Müller hat bekannt, dass es bei ihm am Glamour-Faktor hapert. Das klang kleinmütig, zeigte aber Gespür für die Stimmung in Berlin. Er will "ernsthaft regieren". Es ist für Wowereit kein Kompliment, dass Müller dieses Versprechen zu seiner zentralen Botschaft machte.

Wo Wachstum erzwungen wurde, ging es schief

Für Glamour braucht Berlin Müller nicht. Gewiss wünscht man der Stadt eine mutigere Kulturpolitik. Aber gebraucht wird er, um den Schalter umzulegen und Entwicklungen zu meistern, die bei Wowereits Start nicht absehbar waren. Als der anfing, blickte man auf eine alternde Stadt, Wohnungen waren billig, Ateliers fast umsonst.

Das ist Geschichte. Müllers Aufgabe wird es sein, im Dialog mit der Stadtgesellschaft, die inzwischen allergisch auf schnelle Veränderungen reagiert, Antworten auf die Engpässe zu entwickeln. Viele Strukturen sind nicht ausreichend mitgewachsen. Wo das Wachstum erzwungen wurde, ging das schief.

Der Neue wird noch diese Woche mit dem schlimmsten Beispiel konfrontiert: Am Freitag wird er bei seiner Premiere im Aufsichtsrat des Hauptstadtflughafens erfahren, warum dessen Chef Hartmut Mehdorn immer noch nicht sagen kann, wann er endlich fertig wird. Weil immer mehr Menschen nach Berlin kamen, wurde der Flughafen immer größer geplant - Stand jetzt, ganz berlinerisch: zu groß, um zu funktionieren.

Wowereit hat nach solchen Sitzungen gern den Gelassenen geben, leidend, aber routiniert. Es musste ja weitergehen. Das konnte man lustig finden in Berlin, es gibt ja noch den Flughafen Tegel, der sowieso leichter zu erreichen ist. Dies ist aber nicht der Gestus, den diese Stadt braucht. Müllers Reaktion kann schon am zweiten Amtstag zeigen, wie er ernsthaft regieren will, damit Berlin seiner Größe gerecht wird.

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