Abschiebungen:Wenn die Verantwortung schrumpft

Für Flüchtlinge stehen harte Zeiten an. Die Sammeltransporte nach Kabul zeigen: Der Raum für Mitgefühl und Hilfsbereitschaft wird kleiner; in der Politik und der Gesellschaft.

Von Heribert Prantl

Signal - so heißen bisher eine Zahnpasta und eine Versicherungsgesellschaft. Jetzt heißt auch ein neuer Abschiebungsgrund so. Dieser Abschiebungsgrund "Signal" steht zwar noch nicht ausdrücklich im Gesetz, aber er soll schon praktiziert werden: Der Bundesinnenminister lässt Flüchtlinge per Flugzeug-Sammeltransport nach Kabul/Afghanistan abschieben, weil er ein "Signal" setzen will.

Das "Signal" ist künftig ein Abschiebungsgrund

Das Signal soll zeigen, dass es mit der Willkommenskultur in Deutschland vorbei ist; dass harte Zeichen und Zeiten für Flüchtlinge anstehen; dass auch Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten geflüchtet sind, ihres Bleibens in der Bundesrepublik nicht mehr sicher sind. Es soll, das ist das Signal, künftig nicht mehr lang gefackelt werden. So sollen alte Flüchtlinge verunsichert und neue Flüchtlinge abgeschreckt werden. Wenn aber nicht mehr lang gefackelt wird, bleibt das Recht auf der Strecke. Abschiebung in ein Land, in dem das Leben gefährdet ist, ist verboten; so sagt es die Genfer Flüchtlingskonvention. Aber die Angst vor der AfD ist größer als der Respekt vor dieser Konvention. Der verheerende Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif ist erst vier Wochen her; dort hat die Bundeswehr ihren größten afghanischen Stützpunkt. Gleichwohl spricht der Bundesinnenminister davon, dass es Sicherheit in Afghanistan gebe - irgendwo und irgendwie.

Die Zahl der Flüchtlinge, die aus dem geschundenen Afghanistan nach Deutschland geflohen sind, ist hoch. Das soll die plakativen Abschiebungen rechtfertigen. Weil man seine Not hat, das Flüchtlingsrecht gegen populistische Angriffe zu verteidigen, greift man zu Abschiebung aus vermeintlicher Notwehr. Das Bundesverfassungsgericht wird eingreifen müssen - wenn es sich noch traut.

Vor einem halben Jahr hätte kein Bundesinnenminister eine Sammelabschiebung in ein Kriegsgebiet gewagt; der Protestschrei aus der Zivilgesellschaft wäre laut gewesen. Er ist leiser geworden. Das Gefühl von Überforderung ist gestiegen. Terror auch in Deutschland hat dazu geführt, dass Gewissensbisse beim Anblick von Flüchtlingselend unterdrückt werden.

Das Verbrechen des Flüchtlings in Freiburg, sein kriminelles Vorleben in Griechenland und eklatante Überprüfungsfehler bei der Aufnahme des Mannes in Deutschland haben mit dem Schicksal der afghanischen Flüchtlinge nichts zu tun. Aber angesichts solcher Verbrechen ist es so, dass der Raum kleiner wird, in dem Mitgefühl und Hilfsbereitschaft zum Zuge kommen. Wenn Flüchtlinge öffentlich immer öfter der Kategorie potenzieller Verbrecher und Terroristen zugeordnet werden, wird aus dem Willen zur Hilfe Widerwille; die Verantwortung wird abgeschüttelt. Es zählt nicht mehr der Einzelfall, sondern die Generalprävention. Das ist ein Klima für Abschiebung und Desintegration.

Der militärische Einsatz in Afghanistan ist gescheitert. Aber die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan nährt womöglich die Illusion, dass das gar nicht so ist - sonst könnte man ja nicht abschieben.

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