Abschiebung:Rechtliche Grauzonen im Vorzeigeland

Nach schweren Anschlägen herrscht in Tunesien immer noch der Ausnahmezustand - und Folter gibt es nach wie vor.

Von Dunja Ramadan

Tunesien weigert sich, den mutmaßlichen Islamisten Sami A. nach Deutschland auszuliefern. Nach dem Gelsenkirchener Gerichtsurteil zur Rückholung des mutmaßlichen Leibwächters des früheren Al-Qaida-Führers Osama bin Laden hat die tunesische Justiz die Zuständigkeit für den Abgeschobenen für sich reklamiert. Der 42-Jährige wurde am Freitag in Untersuchungshaft genommen und werde von Anti-Terror-Richtern vernommen, erklärte der Sprecher der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft, Sofiène Sliti, am Samstag in Tunis. "Wir haben eine unabhängige Justiz, die ihn befragt, und deshalb müssen wir auf die Ergebnisse der Untersuchung warten." Seit Januar 2018 habe man Informationen, dass Sami A. in terroristische Aktivitäten in Deutschland und Afghanistan verwickelt sei, weshalb er zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Zur politischen Frage einer möglichen Rückholung A.s nach Deutschland wollte sich Sliti nicht äußern.

Bereits im vergangenen Mai soll Tunesien den deutschen Behörden zugesichert haben, keine Folter oder sonstige unmenschliche Verhörmethoden anzuwenden, berichten einige arabische Medien. Doch in der Begründung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen steht, es läge keine "diplomatisch verbindliche Zusicherung der tunesischen Regierung vor." Die Richter entschieden deshalb am Donnerstag, dass Sami A. nicht abgeschoben werden dürfe.

Zwar hat Tunesien den Übergang zur Demokratie geschafft, im Vergleich zu Syrien oder Libyen gilt es als Vorzeigeland im arabischen Raum. Doch auch nach dem Arabischen Frühling, den Tunesien vor sieben Jahren eingeleitet hat, gibt es noch rechtliche Grauzonen wie einst unter Langzeitherrscher Zine el-Abidine Ben Ali. Nach schweren Terroranschlägen gilt seit November 2015 zusätzlich der Ausnahmezustand in Tunesien. Damals wurden bei einem Anschlag in Tunis, zu dem sich die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) bekannte, zwölf Mitglieder der Präsidialgarde getötet. Zuvor waren bei einem IS-Anschlag im Juni in einem Badeort in der Nähe von Sousse fast 40 Touristen getötet worden, unter ihnen 30 Briten und zwei Deutsche. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kommt es durch den Ausnahmezustand, der nun bis zum 10. Oktober 2018 verlängert wurde, zu willkürlichen Verhaftungen und Folter.

Dagegen kämpft die tunesische Menschenrechtsanwältin Radhia Nasraoui seit Jahrzehnten. 2003 war sie Mitbegründerin der "Vereinigung des Kampfs gegen Folter in Tunesien". Auch nach der Revolution sah sie die Notwendigkeit, ihre Arbeit fortzusetzen und gründete 2011 die "Organisation gegen Folter in Tunesien" (OCTT). Im vergangenen Jahr veröffentlichte OCTT einen Bericht, der zwar belegte, dass die Anzahl von Folter- und Misshandlungsfällen in tunesischen Haftanstalten im Jahr 2016 abgenommen hat - aber eben nicht verschwunden ist. So gab es zwischen Januar und November 2016 über 153 dokumentierte Fälle von Folter in Gefängnissen und anderen Einrichtungen. Im Jahr zuvor waren es noch 250 Fälle.

Der Terrorismus ist für das nordafrikanische Land, das bei westlichen Touristen beliebt ist, eine ernsthafte wirtschaftliche Bedrohung. In den vergangenen Jahren kam die Tourismusbranche als wichtigster Wirtschaftszweig fast zum Erliegen. Das setzt die Regierung in Tunis unter Druck. Anfang des Jahres protestierten die Menschen landesweit gegen steigende Lebenshaltungskosten.

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