Abschiebehaft in Deutschland:Unschuldig im Gefängnis

JVA Mühldorf am Inn, 2014

In der JVA Mühldorf am Inn werden Flüchtlinge vor ihrer Abschiebung untergebracht.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie haben nichts verbrochen, trotzdem sitzen abgelehnte Asylbewerber vor ihrer Abschiebung häufig gemeinsam mit verurteilten Straftätern ein. Der Europäische Gerichtshof prüft, ob das gegen EU-Recht verstößt.

Von Marc Zimmer

Wo ist seine schwangere Frau? Geht es ihr gut? Der junge Mann will endlich Klarheit, doch niemand hilft ihm weiter. Erst nach Stunden erhält er die Nachricht, dass seine Frau und sein ungeborenes Kind in Karlsruhe auf ihre Abschiebung warten. Ihn selbst erwartet das gleiche Schicksal, in der JVA Mannheim. Er will sie anrufen, fragen ob es ihr gutgeht, doch ein Telefonat wird ihm verweigert. Wiedersehen wird er sie erst beim Rückflug in ihr Heimatland.

Diese Szene wird in einem Bericht geschildert, der am Freitag dem Bundesjustizministerium übergeben wurde (hier als PDF). Verfasst hat ihn die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter, ein Beratungsgremium der Bundesregierung mit Sitz in Wiesbaden, das seit 2009 die Zustände in deutschen Haftanstalten untersucht. Die Gutachter stellen der Regierung ein schlechtes Zeugnis aus.

Schwerpunkt ihres aktuellen Berichts ist der Haftvollzug für "Ausreisepflichtige". Also für Menschen, die bald aus Deutschland abgeschoben werden, weil ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Sie werden häufig in Gefängnissen untergebracht, Zellentür an Zellentür mit verurteilten Straftätern. In sechs von neun untersuchten Fällen sei das so gewesen, kritisiert die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter.

Dabei sind Gefängnisstrafe und Abschiebehaft nicht zu vergleichen. Letztere habe eher den Charakter eines Hausarrests, sagt Helmut Roos, Mitverfasser des Berichts. "Wir haben es hier nicht mit Straftätern zu tun. Die Abschiebehaft dient lediglich der Sicherung der Ausreise." In einer Justizvollzugsanstalt unterlägen Abschiebehäftlinge stärkeren Einschränkungen als nötig, kritisiert er. Sie dürften beispielsweise kein Handy benutzen und hätten kurze Besuchs- und lange Einschlusszeiten.

Trennungsgebot im Vollzug

Rechtlich steht die bisherige Praxis auf wackeligen Beinen. In der Richtlinie der EU zur Rückführung ausreisepflichtiger Personen in ihre Heimatländer wird ein sogenanntes "Trennungsgebot" ausgesprochen. Es besagt, dass Abschiebehäftlinge unbedingt vom Strafvollzug getrennt werden müssen. Eine Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten darf demzufolge nur dann erfolgen, wenn "in einem Mitgliedsstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden" sind. Selbst dann sind die Häftlinge jedoch "gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen" unterzubringen.

Weil der Strafvollzug in der Bundesrepublik Ländersache ist, wurde bei der Umsetzung dieser EU-Vorgabe das Wort "Mitgliedsstaat" durch den Terminus "Land" ersetzt, also Bundesland. Folglich konnten die Länder ihre Ausreisepflichtigen auch in gewöhnlichen JVAs unterbringen, sofern sie nicht über spezielle Einrichtungen verfügen.

Der Unterhalt solcher Einrichtungen ist teuer, die Zahl der Abschiebehäftlinge zudem seit langem rückläufig. Im Jahr 2011 waren bundesweit noch 6 781 Personen in Abschiebehaft, im vergangenen Jahr nur noch 4 812. Ein Sprecher des sächsischen Innenministeriums sagte auf Anfrage von Süddeutsche.de, eine gesonderte Unterbringung sei aufgrund der wenigen Häftlinge für sein Bundesland gar nicht zu organisieren.

Luxemburg berät, die Länder reagieren vorsorglich

Deutsche Gerichte haben in der Vergangenheit wiederholt im Sinne des Trennungsgebots geurteilt. 2013 bat der Bundesgerichtshof (BGH) die Kollegen aus Luxemburg um Hilfe: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sollte klären, ob der Wortlaut der EU-Richtlinie gegen die gängige Praxis der Länder spricht.

Am Dienstag fand die mündliche Verhandlung in dieser Angelegenheit statt. Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst, der an der Verhandlung teilnahm, erhofft sich ein Urteil zugunsten der Abschiebehäftlinge: "Der Strafvollzug ist zwar Ländersache, aber das entbindet den Bund nicht von der Pflicht, die EU-Richtlinie umzusetzen." Der Generalanwalt wird seine Empfehlungen am 30. April schriftlich an die Richter übermitteln. Habbe erwartet ein Urteil noch in diesem Sommer - es wäre für die deutschen Gerichte bindend.

Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl glaubt, dass der EuGH die schwierige Rechtslage zugunsten der Ausreisepflichtigen klarstellen wird. "Wir erwarten, dass die Richter in Luxemburg mit ihrem Urteil die gängige Handhabe in Deutschland kippen werden", sagt Marei Pelzer, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. In diesem Fall könnten Habbe zufolge Hunderte Menschen, die aktuell in der falschen Form der Abschiebehaft sitzen, ihre umgehende Entlassung beantragen.

Auch die Länder scheinen ein solches Urteil zu erwarten: Niedersachsen trennt seit Jahresbeginn wieder strikt die Abschiebehäftlinge von den übrigen Gefangenen, auch Bayern quartiert sie nun gesondert im Gefängnis in Mühldorf am Inn ein. Mecklenburg-Vorpommern hat seine Abschiebehäftlinge aus der JVA Bützow, die von den Experten besonders scharf kritisiert wurde, nach Angaben des Innenministeriums bereits im Februar ins benachbarte Brandenburg verlagert. Sie würden nun in der eigens für Abschiebehaft konzipierten Anstalt in Eisenhüttenstadt betreut. Auch Sachsen bringt seine Ausreisepflichtigen nun dorthin.

Obwohl die Bundesländer vorauseilend reagieren, fordert Pro Asyl eine Aussetzung der Abschiebehaft bis zur endgültigen Entscheidung aus Luxemburg. Sprecherin Pelzer: "Der Freiheitsentzug ist in gravierender Grundrechtseingriff. Besteht auch nur der geringste Zweifel an seiner Legitimität, so darf er nicht zum Einsatz kommen."

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