Abhörskandal:Lippenbekenntnisse und Leisetreter

Die SPD-Generalsekretärin kritisiert wegen der NSA-Affäre die eigene Regierung, auch die Opposition ist empört. Aber die betroffenen Regierungschefs Merkel, Schröder und Kohl schweigen.

Von Christoph Hickmann und Robert Roßmann, Berlin

Es kommt nicht oft vor, dass die Generalsekretärin einer Regierungspartei die Bundesregierung so deutlich kritisiert. Aber die jüngsten Enthüllungen über die Abhöraktionen der NSA scheinen Yasmin Fahimi gehörig aufzuregen. Am Mittwochabend hatte Wikileaks Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass der US-Geheimdienst bereits die Regierungen von Angela Merkels Vorgängern Gerhard Schröder und Helmut Kohl abgehört hat. "Die Bundesregierung muss jetzt endlich klar Stellung beziehen gegen diesen Umgang - ihre bisherige Leisetreterei gegenüber Washington wird offensichtlich nicht ernst genommen", sagte SPD-Generalsekretärin Fahimi am Donnerstag der Süddeutschen Zeitung. In der Regierung, der sie "Leisetreterei" vorwirft, sitzen immerhin auch sechs sozialdemokratische Minister - unter ihnen der Außenminister.

"Die USA haben ihren engen Verbündeten Deutschland offenbar seit Jahrzehnten generalstabsmäßig ausspioniert", sagte Fahimi. "Die neuesten Erkenntnisse über das Gebaren der NSA gegenüber deutschen Stellen überraschen nicht mehr wirklich, sie entlarven aber all die Beschwichtigungsversuche Washingtons in dieser Sache als Lippenbekenntnisse."

Der von den Abhöraktionen betroffene Altkanzler Schröder (SPD) wollte sich auf Nachfrage ebenso wenig zu den neuen Enthüllungen äußern wie sein Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sowie der damalige Kanzleramtschef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Auch Angela Merkel reagierte zurückhaltend. Sie wollte keine Stellungnahme abgeben und verwies lediglich auf frühere Erklärungen ihrer Regierung. Altkanzler Kohl (CDU) ist derzeit dabei, sich von schweren Operationen zu erholen.

Die Oppositionsparteien reagierten dafür umso kritischer. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sagte, Angela Merkel werde beinahe im Wochentakt durch neue NSA-Enthüllungen vorgeführt: Abhören unter Freunden sei offensichtlich längst Realität. "Bundesregierung und Bundeskanzleramt haben in der NSA-Affäre versagt", sagte Göring-Eckardt. Seit den Enthüllungen von Edward Snowden kenne die Regierung nur eine Strategie: "Beschwichtigen, aussitzen, vertuschen." Die Bundesregierung müsse die Spionagefälle jetzt endlich lückenlos aufklären. Alles andere sei "verantwortungslos". Deutschland brauche "eine Reform der Geheimdienste, inklusive eines Neustarts ihrer Kontrolle".

Die Linke will wegen der neuen Enthüllungen eine Sondersitzung des NSA-Untersuchungsausschusses beantragen. In dieser müssten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Kanzleramtschef Peter Altmaier sagen, was die Regierung jetzt unternehme, um die Spionage unter Freunden zu beenden, sagte die Obfrau der Linken im Ausschuss, Martina Renner.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann reagierte deutlich zurückhaltender. "Die Aktivitäten der NSA gegen ihre Partner ärgern mich sehr", sagte er der SZ. Aber es bringe nichts, "immer wieder neue Empörungsstufen zu erklimmen". Daher habe die SPD "als einzige Partei" einen "konkreten Vorschlag erarbeitet, wie die Arbeit unseres Geheimdienstes rechtsstaatlich neu organisiert und kontrolliert werden muss".

Oppermann sagte, er erwarte, "dass sich auch die anderen Fraktionen im Bundestag hier an die Arbeit machen".

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