Abgasskandal:Empörungsrituale

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Die Tests an Affen und Menschen sind eine weitere Ungeheuerlichkeit im Dieselskandal. Doch die Empörung wirkt wohlfeil, macht die Untätigkeit der Politik doch Zehntausende Bürger tagtäglich zu Probanden.

Von Jan Heidtmann

Widerlich", "unentschuldbar", "abscheulich" - die Empörung, die Automanager und führende Politiker gerade vortragen, kennt kaum noch Grenzen. Denn offenbar wurde erst an Affen und dann auch an Menschen getestet, wie sich bestimmte Mengen an Abgasen auswirken. Es ist eine weitere Ungeheuerlichkeit in dem an Ungeheuerlichkeiten reichen Dieselskandal.

Gefördert und finanziert wurden die Tests von einer pseudowissenschaftlichen Vereinigung, die von den Großen in der deutschen Autoindustrie getragen wurde. So als wären die Auswirkungen von Stickoxid nicht hinlänglich bekannt: Es ist ein Gift, das krank macht und töten kann. Doch das Ziel der Tests war nicht etwa, die Gefährlichkeit von Stickoxiden zu ermitteln, sondern Stoff für eine Marketing-Kampagne zum "Clean Diesel", zum sauberen Diesel, zu liefern. Das macht diese Versuche am lebendigen Objekt umso zynischer. Trotzdem ist die Entrüstung, die Politiker und Automanager nun formulieren, wohlfeil.

Vor über zwei Jahren wurden die Manipulationen in der deutschen Autoindustrie publik. Wenn sich seitdem eines gezeigt hat, dann ist es die Selbstherrlichkeit der Branche. Wo die Welt nicht so schön war, wie sie die Unternehmer gerne hätten, da wurde sie eben geschönt: mit Fahrtests im Labor, mit "Thermofenstern", die mehr Ausstoß im Winter zuließen, mit Begriffen wie "Blue Efficiency". Ein Vertreter des Verbands der Automobilindustrie durfte gar öffentlich behaupten, "dass ein moderner Diesel in vielen Situationen sozusagen die Luft reinigt".

Gestützt und gefördert wurden die Autobauer dabei von der Politik. Nur so ist der Realitätsverlust einer ganzen Branche zu erklären. Seit Jahren beklagt die EU-Kommission, dass die Grenzwerte für Stickoxide massiv überschritten werden. Seit Jahren tut die Bundesregierung nichts dagegen. Erfolgreich wehrte der frühere Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) alle Bemühungen ab, die blaue Plakette für Dieselautos einzuführen. Dobrindt war es dann auch, der blockierte, als die EU im Mai 2017 Konsequenzen aus den Abgasskandal ziehen und die Prüfungen verschärfen wollte.

Durch ihr Nichtstun machen Politiker und Automanager Tausende Bürger zu Probanden

Bis heute traut sich kaum ein Politiker an die Autoindustrie heran: Trotz eindeutiger Urteile hat noch kein Kommunalpolitiker ein Fahrverbot erlassen, trotz erwiesenen Betrugs müssen die Autokonzerne ihre defekten Produkte nicht wirksam nachrüsten. Als Mitte Januar die Arbeit einer Expertengruppe der Bundesregierung zum Dieselskandal endete, kam es schließlich zum Eklat. Zu deutlich war die Handschrift der Autoindustrie in den Empfehlungen zu erkennen. Deutliche Worte für dieses liederliche Verhalten gegenüber den Bürgern fand jetzt die Richterin am Verwaltungsgericht München: Die Umwelthilfe hatte den Freistaat Bayern wegen seiner Untätigkeit verklagt. Als "allgemeines Blabla" auf einer "halben Larifari-Seite" bezeichnete sie den daraufhin von der Landesregierung eilig vorgelegten Luftreinhalteplan.

Durch ihr Nichtstun machen Politiker und Automanager tagtäglich Zehntausende Anwohner unfreiwillig zu Probanden; an den Hauptstraßen und Kreuzungen vieler Großstädte sind sie Stickoxidmengen weit über dem zulässigen Grenzwert ausgesetzt. Wenn die recht populistische Empörung über Versuche an Affen und Menschen daran jetzt etwas ändert, dann hätten sich diese Tests fast gelohnt.

© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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