Abgasskandal:Die Ahnungslosen

Über Jahre hinweg hat die Autoindustrie nicht nur ihre Kunden zum Narren gehalten. Auch die verantwortlichen Politiker wollten der Vorzeigeindustrie nur zu gerne Glauben schenken und fragten nicht nach. Statt sich für die Belange der Bürger einzusetzen, schützten sie die Unternehmen.

Von Markus Balser

Geht das: eine ganze Gesellschaft zum Narren halten? Die Autoindustrie machte über Jahre vor, wie Schwindel und Tricksereien im großen Stil ungestraft funktionieren. Gesetzliche Abgasgrenzwerte, erlassen zum Schutz von Menschen und Umwelt, hielten und halten die Autos der meisten großen Hersteller im Straßenverkehr einfach nicht ein. Und so rollen Millionen Autos mit ungesund hohen Abgaswerten über deutsche Straßen.

Die jüngste Sitzung des Abgas-Untersuchungsausschusses offenbarte am Donnerstag, wie es möglich wurde, dass Autokonzerne Umweltgesetze so lange missachteten. Gleich drei Kabinettsmitglieder sagten vor dem Gremium aus: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, Kanzleramtschef Peter Altmaier - beides ehemalige Umweltminister - und die jetzige Umweltministerin Barbara Hendricks. Unisono gab das Trio zu: Seit Jahren war der Verdacht bekannt, dass Autohersteller tricksen. Beweise für illegale Aktivitäten aber habe ihnen niemand liefern können.

Was zur eigenen Entlastung beitragen sollte, ist in Wahrheit eine Bankrotterklärung der Politik. Dem Verdacht auf den Grund zu gehen, das wäre die ureigene Aufgabe dieser Minister gewesen. Angesichts hoher Abgaswerte in deutschen Städten und Gesundheitsrisiken durch Stickoxide hätten sie durchgreifen müssen. Doch sie taten es nicht. Sie hätten den Managern eindringliche Fragen stellen müssen. Doch es fragte niemand. Sie hätten die wahren Emissionen der Autos im Straßenverkehr bei diesem Verdacht schleunigst prüfen müssen. Doch genau das blieb über Jahre aus - solche Tests wurden zwar vorbereitet, aber seltsamerweise einfach nicht eingesetzt. Der Schutz der Autoindustrie schien Staatsräson zu sein. Die Einhaltung von Umweltgesetzen war dagegen zweitrangig.

Statt das auch endlich offen zuzugegeben, suchen gestandene Minister nach Erklärungen für ihre Untätigkeit. Die Antworten vor dem Ausschuss klingen nach Geschichten aus Schilda. Das Verkehrsministerium habe sich gesträubt, weil das verantwortliche Kraftfahrtbundesamt per Gesetz nur Laborwerte prüfen sollte. Dass sich eine Bundesregierung damit abfindet, ist erstaunlich. Genauso gut könnte die Polizei Geschwindigkeitskontrollen ablehnen, weil es vielleicht einen Verdacht, aber keinen Beweis dafür gibt, dass Tempolimits nicht eingehalten werden.

Das Land erlebt einen der größten Umwelt-, Verbraucher- und Industrieskandale seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Und das hat längst nicht mehr nur mit Autoherstellern zu tun. Der Skandal erreicht die Politik. Immer offensichtlicher wird das organisierte Wegschauen innerhalb der Bundesregierung, wenn es um die wichtigste Branche des Landes geht. Immer klarer zeichnet sich ab, dass die Politik den schweren Verdacht wohl gar nicht unbedingt aufklären wollte.

Wenigstens jetzt, wo Beweise auf dem Tisch liegen, müsste die Regierung doch bei den Emissionen durchgreifen, sollte man meinen. Sie müsste dafür sorgen, dass Grenzwerte durchgesetzt werden. Doch der Skandal geht weiter. Denn stattdessen öffnet sie neue Hintertürchen. Vom kommenden Jahr an werden in Deutschland Emissionen endlich auch im Straßenverkehr geprüft. Wenigstens einige. Dass Umweltgrenzwerte dabei eingehalten werden müssen, bedeutet das allerdings noch lange nicht. Im Gegenteil - und diesmal tricksten Minister gleich mit. Zusammen mit der Autoindustrie ersannen sie den Konformitätsfaktor. Der erlaubt den Herstellern, den Grenzwert um mehr als das Doppelte zu verfehlen - per Gesetz.

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