Zehn Jahre nach dem Irak-Krieg:Der Balkan des 21. Jahrhunderts

File photo of U.S. Marine holding an Iraqi child after crossfire ripped apart family in central Iraq

Szene aus dem Irak kurz nach dem Einmarsch der US-Soldaten im März 2003: Trotz tausender Toter ist zehn Jahre nach dem Irak-Krieg der Nahe Osten destabilisiert

(Foto: REUTERS)

Die USA wollten mit dem Irak-Krieg einen neuen Nahen Osten schaffen. Ihre Militärmacht reichte aber nur zur Destabilisierung. Und jetzt verbinden sich die Folgen des Einmarsches unheilvoll mit denen der arabischen Revolution.

Ein Gastbeitrag von Joschka Fischer

Die USA führten nach dem 11. September drei Kriege - gegen al-Qaida, in Afghanistan und im Irak. Die beiden ersten Kriege wurden ihnen aufgezwungen. Der dritte aber war ausschließlich ein mutwillig gewollter Krieg des damaligen Präsidenten George W. Bush, gewollt aus ideologisch-politischen und wahrscheinlich sogar auch aus persönlichen Gründen.

Hätten Bush, Cheney, Rumsfeld und ihre neokonservativen Gefolgsleute damals die Wahrheit gesagt, nämlich dass sie beabsichtigten, die Terroranschläge vom 11. September zu nutzen, um Saddam Hussein mittels eines Krieges zu stürzen, um dadurch einen neuen, pro-westlichen Nahen Osten zu schaffen, so hätten sie niemals die Unterstützung des Kongresses und der amerikanischen Öffentlichkeit erhalten. Denn zu naiv und zugleich zu abenteuerlich war dieser Plan.

Also musste eine Bedrohung herbeigeredet werden: Es gibt irakische Massenvernichtungswaffen! Die Behauptung gründete auf Lügen und sogar krassen Fälschungen: Natururan "Yellowcake" aus Niger eingetroffen! Aluminiumröhren für irakische Atomwaffen entdeckt! Treffen von Repräsentanten von al- Qaida und dem Regime im Irak in Prag enttarnt!

Kosten für den Irak-Krieg: Zwischen einer und drei Billionen US-Dollar

Solcherart waren die Gründe für einen Krieg, der 5000 amerikanischen Soldaten und mehr als 100.000 Irakern das Leben kostete. Hinzu kommen die sehr viel größeren Zahlen von Verwundeten und Verstümmelten und die Millionen Flüchtlinge einschließlich der Zerstörung einer der ältesten christlichen Gemeinden der Welt. Allein die USA sollen für ihren Irak-Krieg zwischen einer und drei Billionen US-Dollar ausgegeben haben.

Präsident Bush hat den Nahen Osten mit seinem Krieg gegen Saddam Hussein gründlich verändert. Allerdings anders als beabsichtigt: Der Irak wurde durch die USA erfolgreich destabilisiert, und auch zehn Jahre danach ist es mehr denn je eine offene Frage, ob das Land zusammengehalten werden kann.

Amerika hat den Krieg gewonnen, Iran den Frieden

Mit dem Ende von Saddam übernahm nach einem furchtbaren Bürgerkrieg die schiitische Mehrheit in Bagdad und im Süden des Landes die Macht. Die Kurden im Norden haben sehr klug und geschickt das sich ihnen bietende Fenster in Richtung faktischer Unabhängigkeit genutzt, nicht mehr und nicht weniger. Und sie werden sich in Zukunft, so sich ein weiteres Fenster öffnet, auch dieses nutzen. Die zentrale Frage allerdings, wem die Stadt Kirkuk gehört, ist immer noch nicht gelöst und bleibt ein tickender Sprengsatz. Die Sunniten sinnen auf Revanche und auf die Gelegenheit, wie sie ihre verlorene Dominanz zurückgewinnen können. Und alle Gruppen kämpfen um einen möglichst großen Anteil an den riesigen Öl- und Gasreserven des Landes.

In einer Bilanz des Irak-Krieges zehn Jahre danach kam die Financial Times zu folgender Schlussfolgerung: Amerika habe den Krieg gewonnen, Iran den Frieden und die Türkei die wirtschaftlichen Aufträge. Ich kann dem nur zustimmen.

Iran ist politisch der große Gewinner von Bushs Krieg. Der Todfeind Nummer 1 des Iran, Saddam Hussein, wurde durch die USA - Todfeind Nummer 2! - erledigt. Und so lieferten die Vereinigten Staaten Iran auf dem silbernen Tablett die goldene Möglichkeit zur Ausdehnung seines Einflusses über die seit 1746 geltende Westgrenze des Landes, tief in den Irak hinein.

Krieg ohne Plan und Ziel

Bushs Krieg ohne Plan und Ziel im Irak betrieb also faktisch die strategische Aufwertung Irans, die das Land aus eigener Kraft wohl kaum erreicht hätte. Iran wurde dadurch in die Lage versetzt, sich als Hegemon am Persischen Golf und in der weiteren Region durchzusetzen, und genau diesen Ambitionen dient sein Nuklearprogramm.

Die regionalen Verlierer sind eindeutig auszumachen: Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten. Sie sehen in den schiitischen Minderheiten in ihren Ländern die fünfte Kolonne Irans und dadurch potenziell ihre Existenz gefährdet. Nach der Machtübernahme durch die schiitische Mehrheit im Irak ist es für sie nur noch eine Frage der Zeit und günstigen Gelegenheit, bis Iran durch die lokalen Schiiten seine hegemonialen Ansprüche durchsetzen wird. Genau darum geht es in dem Konflikt in Bahrain, jenseits der lokalen Gründe für die Unzufriedenheit der schiitischen Mehrheit.

Und damit sind wir, jenseits von Lüge und Fiktion und Moral und persönlicher Verantwortung, bei dem entscheidenden politischen Fehler des Kriegs der USA im Irak angekommen: Bush hat mit konstruierten Gründen einen Krieg begonnen, für den er weder einen Plan noch die dazu notwendige Kraft hatte, um eine neue Pax Americana im Nahen Osten durchzusetzen. Die Macht der USA reichte noch aus, um eine existierende Ordnung zu destabilisieren, nicht aber, um eine neue Ordnung zu schaffen. Das neokonservative Wunschdenken in Washington hatte die Größe der Aufgabe maßlos unterschätzt, anders als die Revolutionäre in Teheran, welche die USA säen ließen, um selbst zu ernten.

In Syrien wird die regionale Hegemoniefrage ausgekämpft

Der Irakkrieg markiert auch den Beginn des relativen Niedergangs der USA seitdem. Bush verschleuderte ohne Not einen Gutteil der militärischen Macht der USA im Zweistromland für eine ideologische Fiktion, die zehn Jahre später gerade in dieser Region allenthalben fehlt. Und jenseits oder gar ohne die USA ist keine Alternative sichtbar.

Die arabische Revolution seit dem Dezember 2010 hatte zwar keinen ursächlichen Zusammenhang mit dem Krieg im Irak, wohl aber verbinden sich auf unheilvolle Art deren beider Folgen. Seit dem Irakkrieg ist die Todfeindschaft zwischen al-Qaida und anderen Gruppen von Salafisten und arabischen (Sunni-)Nationalisten eher der Kooperation oder gar Verschmelzung gewichen. Dies ist ebenfalls ein Ergebnis des Genies der amerikanischen Neokonservativen.

Und die durch die arabische Revolution ausgelöste regionale Destabilisierung verbindet sich zunehmend mit dem Irak, vor allem mittels Syrien und Iran. Die aktuell größte Gefahr ist ein vom syrischen Bürgerkrieg ausgehender Prozess der nationalen Desintegration, der auf den Irak überzuspringen droht und auch Libanon und Jordanien nicht unberührt lassen wird.

Die tatsächlich treibenden Kräfte dahinter sind schon längst nicht mehr die syrischen Akteure, sondern Iran einerseits und Saudi-Arabien, Katar und die Türkei andererseits. In Syrien wird gegenwärtig die regionale Hegemoniefrage ausgekämpft, und das macht die Lage dort so gefährlich. Der Nahe Osten droht zum Balkan des 21. Jahrhunderts zu werden. Und vieles davon begann mit jenem Krieg vor zehn Jahren.

Joschka Fischer, 64, war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler - und beinahe zwanzig Jahre lang führender Politiker der Grünen.

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