Wiesehügel im SPD-Kompetenzteam:Steinbrück verspricht Agenda-Gegner Ministeramt

Ohne Pannen kann es die SPD nicht. Früher als geplant muss Steinbrück die ersten Mitglieder seines Kompetenzteams vorstellen. Dazu gehört Gewerkschaftsboss Klaus Wiesehügel, ein alter Erzfeind Gerhard Schröders. Kein Problem für Kanzlerkandidat Steinbrück.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Ganz links Peer Steinbrück, dann Thomas Oppermann, Klaus Wiesehügel und Gesche Joost. Die Kameras klicken. Alle vier lächeln vor der lila Fotowand im Atrium der SPD-Zentrale. "Okay, das Foto hätte ich auch gerne", witzelt Kanzlerkandidat Steinbrück und grinst. Die Welt scheint in diesem Moment in Ordnung zu sein für die SPD.

Dabei hatte es wieder nicht geklappt, die Personalien geheim zu halten. An diesem Dienstag erst hätten die drei vorgestellt werden sollen. Nicht schon am Montag. Einzelne Namen sickerten aber schon Ende der vergangenen Woche an die Presse durch. Da ging es nicht, länger mit der Präsentation zu warten.

Das war schon mit der Kür des Kanzlerkandidaten so. Weit vor der beabsichtigten Zeit musste SPD-Chef Sigmar Gabriel Ende September 2012 den Genossen Steinbrück als Kandidaten ausrufen. Weil plötzlich klar war, dass weder Gabriel noch Frank-Walter Steinmeier das Amt wollten. Pannenfrei scheint es die SPD einfach nicht zu können.

Also stellt sich Steinbrück schon an diesem Montag vor die Presse und präsentiert die ersten drei Köpfe für sein Kompetenzteam: Gesche Joost, Professorin an der Hochschule der Künste in Berlin, soll Steinbrück in Sachen Internet auf die Spur bringen und eine gewisse Jugendlichkeit versprühen. Ihre ersten Sätze an die Nation: "Ja, wow, die Hütte ist voll." Dann berichtet sie, dass sie solche Pressekonferenzen bisher selbst nur aus dem Fernsehen kenne.

Allgemeines über Netzpolitik

Es folgen ein paar Allgemeinplätze aus der netzpolitischen Debatte: Netzpolitik sei Gesellschaftspolitik. Geistiges Eigentum müsse Vergütung erfahren. Nutzer dürften nicht über Gebühr kriminalisiert werden. Netzneutralität solle gesetzlich verankert werden. Letzteres war schon ihre konkreteste Einlassung zum Thema.

Ganz Routinier dagegen Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Er soll die Themen Inneres und Recht beackern. Ein scharfzüngiger Wadenbeißer ist Oppermann. Er schmeißt gleich mal abgekupferte Doktorarbeiten, die bayerische Amigoaffäre um angestellte Ehepartner und überzogene Managerboni in einen Topf, verrührt alles gut und löffelt daraus Kellen voller "erodierendem Rechtsbewusstsein" und "gestörtem Rechtsempfinden". Eine übelriechende Suppe, von der er sagt, dass vor allem die schwarz-gelbe Bundesregierung sie eingebrockt habe.

Viel interessanter aber ist die Personalie Klaus Wiesehügel, Chef der mächtigen Industrie-Gewerkschaft Bauen, Agrar und Umwelt. Ein Gewerkschafter "aus altem Schrot und Korn", wie Steinbrück ihn preist. Einer, der die "notwendige Wasserverdrängung" mitbringe, um seine Themen durchzusetzen.

Fragt sich, wie er das mit seiner Rolle als überparteilicher Gewerkschaftsboss einerseits und voll integriertem Wahlkämpfer im Dienste Steinbrücks andererseits machen will. Die Linke forderte deshalb schon seinen Rücktritt als Chef der IG Bau.

Wiesehügel hat die Fragen dazu erwartet, sagt er. Er streckt seinen massigen Körper durch, bevor er zur Antwort ansetzt. Nein, er werde im Sommer nicht erneut für das Amt des Vorsitzenden kandidieren. "Ich habe mich entschieden: Hopp oder Top!" Damit er nach einer gewonnenen Bundestagswahl unbelastet von der Frage sein Ministeramt übernehmen könne.

Sein Ministeramt? Steht das schon fest? Es ist ja doch eher unüblich, dass einzelne schon Posten zugeschustert bekommen, bevor eine Wahl überhaupt gelaufen ist. Vielleicht ein Missverständnis? Nein. Steinbrück erklärt nur Minuten später: "Wenn er diesen Kabinettsposten gerne wahrnehmen will, dann wird er diesen Posten bekommen."

SPD will sich Gewerkschaften annähern

Steinbrück verspricht Wiesehügel also ein Ministeramt. Interessant. Da hilft es auch nichts mehr, dass der noch glücklose Kanzlerkandidat ergänzt, er halte wenig davon, das "Fell des Bären zu verteilen, bevor der erlegt ist". Dabei hat Steinbrück gerade höchstselbst dem noch quicklebendigen Bären ein ordentliches Stück Fell aus dem jetzt blutigen Wanst geschnitten.

Das ist ein geradezu erstaunliches Zugeständnis an einen Mann, der die bisherige Regierungspolitik der SPD unter Gerhard Schröder in Bausch und Bogen abgelehnt hat. Er war und ist einer der schärfsten Kritiker der Agenda-Reformen, die Steinbrück damals immer verteidigt hat. Gerhard Schröder und er sind sich in gegenseitiger Abneigung verbunden. Mit Franz Müntefering und seiner Rente mit 67 ist er nicht weniger zimperlich umgegangen.

SPD - Kompetenzteam

Dem Gewerkschaftschef Klaus Wiesehügel wurde von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ein Ministeramt garantiert.

(Foto: dpa)

So ganz sicher scheint er selbst nicht zu sein, ob er hier im Willy-Brandt-Haus im richtigen Film gelandet ist: "Ich weiß noch nicht so richtig, ob ich Danke sagen soll", sagt er zu Beginn. Zu alt sei er, zu bullerig, nicht geeignet für neue Ideen. Das sei ihm am Wochenende schon alles vorgehalten worden. Er habe aber noch "viele Ideen in meiner privaten Schublade", verspricht er vom Rednerpult.

Der Rest klingt wie eine Abrechnung mit der Agenda 2010. Zu viel prekäre Beschäftigung. Sozial sei nur, was "gute" Arbeit schaffe. Unternehmer, die Aufstocker beschäftigten, müsse "man an die Kette legen". Mit der Ausweitung der sachgrundlosen Befristung sei die "Kette überspannt" worden.

Und die Rente mit 67? Er bleibe dabei, in der Baubranche seien die Menschen "nicht in der Lage, bis zum 67. Lebensjahr diesen schweren Beruf auszuüben". Diesen Leuten dürfe nicht gesagt werden, da hätten sie Pech gehabt und müssten eben Rentenkürzungen hinnehmen. "Unversöhnbar bin ich, wenn wir die Menschen allein lassen mit der Angst, im Alter verharzt zu werden."

Er finde es aber gut, dass "ihr anfangt neue Lösungen reinzunehmen". Das sagt er in Richtung von Peer Steinbrück und meint das Wahlprogramm der SPD. Wiesehügel fordert "Haltemarken".

Da ist er dann wieder nah an der SPD im Jahr 2013, denn Mindestlöhne seien solche Haltemarken. "Hätte Schröder damals schon Mindestlöhne eingeführt, hätten manche Diskussion auch von mir nicht so stattgefunden."

SPD will sich den Gewerkschaften annähern

Steinbrück hätte gerne, dass die Personalie Wiesehügel als Öffnung der SPD hin zu den Gewerkschaften verstanden wird. "Die SPD wird mit den Gewerkschaften alleine keine Wahlen gewinnen", sagt er. Er wiederholt den Satz sogar noch einmal. Aber er betont: "Ohne sie wird sie die Wahlen verlieren." Darum Wiesehügel.

Dass manche damit einen "Modernisierungsabbruch" verbinden könnten kümmert Steinbrück nicht: "Nehmen Sie es mir nicht übel, das ist nicht mein Problem." Er jedenfalls habe kein Problem damit, unterschiedliche Auffassungen in seinem Kompetenzteam auszuhalten. Er gesteht sogar zu, dass die SPD Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt "Tür und Tor geöffnet" habe. Das wolle er jetzt korrigieren. "So sieht das der Autor der Agenda 2010 selber", sagt Steinbrück. Er meint Gerhard Schröder.

Am Schluss wird Wiesehügel noch mal zu seiner bevorstehenden Ministerkarriere gefragt. Ob er die auch in einer großen Koalition anstrebe. Wiesehügel weicht der Frage überraschend nicht aus. Normalerweise sagen Sozialdemokraten an der Stelle, dass es zu einer großen Koalition niemals nicht kommen werde. Und Punkt.

In einer großen Koalition würde er nur Minister sein wollen, wenn er inhaltlich auch etwas umsetzen könne, sagt Wiesehügel also. Doch dann bemerkt er wohl, dass das alles zu sehr danach klingt, als sei seine Ministerkarriere schon beschlossene Sache. Eilig setzt er hinterher: "Ich muss nicht unbedingt Minister werden." Aber: "Ich möchte schon."

Ob das die Sache jetzt besser gemacht hat?

In einer früheren Version des Textes haben wir Klaus Wiesehügel mit den Worten zitiert, Gerhard Schröder sei ein "asozialer Desperado". Das ist allerdings falsch. Auf der oben wiedergegebenen Pressekonferenz hatte der Welt-Journalist Daniel Sturm, ein ausgesprochener Kenner der SPD, Wiesehügel mit diesem Zitat konfrontiert. Der hat nicht dementiert, dass es von ihm sei. Sturm hat auch in seinem Buch "Wohin geht die SPD?", eine Art Standardwerk der jüngsten SPD-Geschichte aus dem Jahr 2009, Wiesehügel mit dem Desperado-Satz zitiert. Auf Nachfrage aber räumte Sturm jetzt ein, dass er das wohl in falscher Erinnerung hatte. Verbürgt ist lediglich, dass auf der Kundgebung zum 1.Mai des DGB im Jahr 2003 Schröder ein Plakat entgegengehalten wurde mit der Aufschrift "asozialer Desperado". Was allerdings unbestritten ist: Wiesehügel und Schröder waren damals erbitterte Gegner.

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