Westerwelle im Nahen Osten:Gaza würde Guido wählen

Guido Westerwelle reist in den Gaza-Streifen. Die Hamas ist wütend, weil er sie ignoriert, die Kinder mögen ihn. Der Außenminister manövriert ohne Fehltritt durch ein diplomatisches Minenfeld.

Peter Münch, Gaza-Stadt

Gleich hinter der Grenze erwartet den deutschen Außenminister die zerbombte Ödnis: Verlassene Felder, zerstörte Gebäude, und auf dem trocken-braunen Boden hocken Kinder, die aus großen Betonbrocken Steine klopfen. Trümmer werden so zu Baustoffen, Eselskarren stehen zum Abtransport bereit. Das diplomatische Parkett, das muss Guido Westerwelle sogleich erkennen, ist staubig in Gaza - und ungefährlich ist es auch nicht. Denn es sind ja nicht nur Bomben und Raketen, die hier lauern. Der Minister begibt sich in ein politisches Minenfeld - Fehltritt verboten!

Westerwelle in Gaza

"Seid fleißig und grüßt Eure Eltern von mir": Außenminister Guido Westerwelle besuchte eine Mädchenklasse in dem von Israel abgeriegelten Gaza-Streifen.

(Foto: dpa)

Lange war diese Reise geplant und noch länger wahrscheinlich war darum gerungen worden. Seit Ende 2006 schon ist kein deutscher Minister mehr im Gaza-Streifen gesehen worden. Denn seit vier Jahren wird das Gebiet von Israels Militär abgeriegelt - und ausländischer Politiker-Besuch, so glaubt die israelische Regierung, würde nur der dort regierenden Hamas dienen. Selbst das strikte Kontaktverbot mit der Hamas, das sich Europäer und Amerikaner selbst auferlegt haben, ändert nichts an dieser Einschätzung.

Minister müssen gemeinhin draußen bleiben. Westerwelle jedoch wurde nun erlaubt, was noch im Juni Entwicklungsminister Dirk Niebel streng verboten worden war. Auch seinen europäischen Amtskollegen in Paris, London oder Rom hat der deutsche Außenamtschef nun einiges voraus und er feiert den kleinen Unterschied mit einer staatsmännischen Erklärung: "Gaza darf nicht vergessen werden und Gaza wird nicht vergessen werden", sagte er am Montag in Gaza.

Sein Anliegen auf dieser Reise ist es, den Blick auf die Blockade zu lenken, die er selbst gerade ein klein wenig gelockert hat. "Man muss sich das vorstellen", sagt er, "1,5 Millionen Menschen über lange Jahre abzuriegeln, das kann nicht funktionieren". Er glaubt, dass "die Blockade die Radikalen stärkt und die moderaten Kräfte schwächt".

Und genau dies will er umkehren mit einem Konzept, das er tags zuvor schon seinem israelischen Amtskollegen Avigdor Lieberman vorgestellt hat, erwartungsgemäß ohne Erfolg: Westerwelle verlangt, auch im Namen der gesamten EU, die Öffnung der Gaza-Grenzen für Exporte. Er will die Wirtschaftsentwicklung fördern, das Leben der Menschen leichter und besser machen - und so der Hamas den Nährboden entziehen. Damit nun ist das Minenfeld ziemlich genau umrissen: von Israel etwas zu fordern, ohne der Hamas etwas zu geben. Das kann von keiner der beiden Seiten goutiert werden.

Die Erfahrung lehrt, dass man auch bei solch großen Plänen irgendwie klein anfangen muss, weshalb Westerwelle der erste Weg in Gaza zu den Kindern führt. Die von den Vereinten Nationen betriebene "Beach Elementary School" ist ein Farbklecks im Einheitsgrau eines Flüchtlingslagers am Rande von Gaza-Stadt, ein kleines Idyll unter Wellblechdächern und Schatten spendenden Schulhof-Bäumen.

Als der deutsche Minister samt seiner Entourage mit neun Jeeps das Schulgelände einnimmt, steht dort schon das Empfangskomitee bereit: die Direktorin Nema Abu Iyada im schwarzen Umhang und mit Kopftuch samt den beiden Schülerinnen Roba und Amery, elf Jahre alt und in der sechsten Klasse. In der Wartezeit haben sie eingeübt, wie man auf Deutsch "Willikomme" sagt. Schnellen Schritts steuert Westerwelle eines der Klassenzimmer an, wo nicht gerade zufällig 48 Mädchen in frisch gebügelter Schuluniform auf ihn warten.

"Sehr gut", "ganz toll", "exzellent"

Der Lehrer fragt, die Schülerinnen antworten, und was der Minister da in Arabisch erfährt, findet er "sehr gut", "ganz toll" und überhaupt "exzellent". Nach fünf Minuten fasst er zusammen, wie sehr es ihn "beeindruckt, was ihr alles wisst". Zum Dank bekommt er ein Geschenk: eine schöne Micky-Maus-Uhr, eingepackt in ein rosafarbenes Plastiktütchen. Als er sich schließlich verabschiedet, sagt er noch in die Klasse und in die Kameras hinein: "Seid fleißig und grüßt Eure Eltern von mir". Nach einem solchen Auftritt würde Gaza wahrscheinlich Guido wählen.

Beim nächsten Termin müssen dafür die Kameras draußen bleiben - Westerwelle trifft noch auf dem Schulgelände eine fünfköpfige Delegation von Wirtschaftsvertretern aus dem Gaza-Streifen. Weil hier wohl die Gefahr am größten ist, von einer Händeschüttel- Brigade der Hamas überrumpelt zu werden, sind die Teilnehmer des Gesprächs sorgsam ausgewählt worden. "Alle wurden gecleart", heißt es im Tross des Ministers, und auch Westerwelle selbst lässt keine Gelegenheit aus, sich von den Islamisten abzugrenzen.

Appell an Gilad Shalits Entführer

Nicht einmal den Namen der Hamas nimmt er bei diesem Besuch in den Mund, weshalb ihm die Herrscher des Landstreifens noch am Montag wütend hinterherrufen, es sei "ein großer Fehler, nach Gaza zu kommen und nicht mit Regierungsvertretern zu sprechen".

Leicht ist es gewiss nicht für einen Minister, offiziell ein Gebiet zu besuchen und dabei jeden Kontakt mit Offiziellen zu vermeiden. Am Ende führt Westerwelle diese diplomatische Slalomfahrt auf eine holprige Sandpiste, vorbei an Müll und Häusern und Hütten, vorbei an einer aufgelassenen jüdischen Siedlung und einem militärischen Trainingsgelände der Kassam-Brigaden - immer der Nase nach, bis er schließlich Scheich Adschlin erreicht, das Klärwerk.

Dort landen die Abwässer von mehr als 600.000 Bewohnern des Gaza-Streifens, doch nicht einmal die Hälfte davon kann gereinigt werden, weil die Anlage völlig überlastet ist. Zehntausende Kubikmeter Dreckbrühe fließen so täglich ungeklärt ins Mittelmeer. Mit Hilfe der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) soll das Werk für 20 Millionen Euro renoviert werden, am Ende eines jahrelangen Kampfes hat nun auch Israels Regierung die Klärung aller Klärwerksfragen versprochen. Von Marc Engelhardt, der für das Projekt verantwortlich zeichnet, lässt sich Westerwelle auf Schautafeln die Pläne erläutern. Der Wind vom Meer her ist ihm dabei gnädig, weil er den Gestank ein wenig mildert.

Mit den Klär- und Absetzbecken, den Trockenbeeten und Tropfkörperanlagen im Rücken bilanziert der deutsche Chefdiplomat schließlich seinen dreistündigen Blitzbesuch in Gaza. Eines ist ihm dabei noch wichtig zu sagen. Es ist etwas, mit dem er der israelischen Regierung zeigen kann, dass es nicht falsch war, ihn nach Gaza zu lassen. Doch es ist auch etwas, was er wohl am Abend zuvor in Jerusalem einem verzweifelten Vater versprochen hat.

Westerwelle hat Noam Schalit getroffen, den Vater des vor viereinhalb Jahren in den Gaza-Streifen verschleppten israelischen Soldaten Gilad Schalit, in dessen Fall seit langem ein BND-Vermittler eingeschaltet ist. "Ich appelliere an die Entführer, diesen jungen Mann freizulassen. Lasst ihn nach Hause zu seiner Familie gehen", sagt der Außenminister in die Mikrofone. Nun hat er seine Mission komplett erfüllt. Alles ist gut gegangen - Fehltritt vermieden!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: